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282

Nachdem die letzten Sterne am morgendlichen Himmel zu einem Nichts verblaßt waren und die Brise an Frische verlor in dem kaum orangen Gelb des Lichts über den wenigen tiefen Wolken, konnte ich, der ich nicht geschlafen hatte, endlich meinen von nichts erschöpften Körper aus dem Bett erheben, von dem aus ich das Universum gedacht hatte.

Ich trat ans Fenster, mit vom Wachsein brennenden Augen. Auf den dichtgedrängten Dächern spielte das Licht mit blaßgelben Reflexen. Ich betrachtete alles mit dem großen Stumpfsinn des Schlafmangels. Auf den Fassaden der höheren Häuser war das Gelb ätherisch und nichtig. Weit hinten im Westen, wohin ich sah, war der Horizont schon von grünlichem Weiß.

Dieser Tag wird auf mir lasten wie ein Nicht-Verstehen. Ich weiß, alles, was ich heute tun werde, wird bestimmt sein, nicht von der Müdigkeit durch den Schlaf, den ich nicht fand, sondern von der Schlaflosigkeit, die mich quälte. Ich weiß, ich werde mein Schlafwandlertum heute noch ausgeprägter, noch hautnaher leben, nicht nur, weil ich nicht geschlafen habe, sondern weil ich nicht schlafen konnte.

Es gibt Tage, die sind philosophische Einsichten, Tage, die uns Deutungen des Lebens nahelegen, Randbemerkungen voll großartiger Kritik im Buch unseres universalen Schicksals. Ich empfinde diesen Tag als einen solchen. Und habe den absurden Eindruck, meine schweren Lider und mein nichtiges Gehirn schreiben, wie mit einem absurden Bleistift, Buchstabe um Buchstabe diesen nutzlosen, tiefsinnigen Kommentar.

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Freiheit ist die Möglichkeit zur Isolation. Du bist frei, wenn du dich von den Menschen fernhalten kannst und nichts dich zwingt, ihre Nähe zu suchen, weder Geld noch Herdentrieb, weder Liebe, Ruhm noch Neugier, die in Stille und Einsamkeit keine Nahrung finden können. Ist es dir unmöglich, allein zu leben, bist du zum Sklaven geboren. Du kannst alle Geistes- und Seelengröße besitzen und bist doch Sklave, ein nobler und kluger vielleicht, aber kein freier Mensch. Sieh dies nicht als deine Tragödie an, deine Geburt ist allein die Tragödie des Schicksals. Doch wehe dir, wenn das Leben dich so knechtet, daß du gezwungen bist, Sklave zu sein. Wehe dir, wenn die Not dich, obwohl frei geboren und fähig, dir zu genügen und allein zu sein, zum Leben mit anderen zwingt. Das, ja, das ist deine Tragödie, und sie folgt dir auf Schritt und Tritt.

Frei geboren zu sein verleiht einem Menschen erhabene Größe, erhebt den untertänigen Eremiten über Könige und selbst Götter, die sich in ihrer Macht selbst genügen, nicht aber in der Verachtung dieser Macht.

Der Tod ist eine Befreiung, denn wer tot ist, braucht niemanden mehr. Der armselige Sklave sieht sich gezwungenermaßen befreit von seinen Freuden, seinen Kümmernissen, seinem ersehnten und gleichmäßig verlaufenden Leben. Auch der König ist befreit von seinem Besitz, von dem er nicht lassen wollte. Und die Frauen, die verführten, sind befreit von ihren Triumphen, für die sie alles taten. Die Sieger sind befreit vom Siegen, dem ihr Leben gewidmet war.

Der Tod adelt, er hüllt den armen absurden Leib in ein nie gekanntes Festgewand. Im Tod ist der Mensch frei, selbst wenn er nie frei sein wollte. Im Tod ist er kein Sklave mehr, auch wenn er weinte, als man ihn aus der Sklaverei erlöste. Wie ein König, dessen prächtigster Schmuck sein königlicher Titel ist und der als Mensch noch so lächerlich sein mag, als König aber erhaben, so mag ein Toter noch so verunstaltet sein, ist aber dennoch erhaben, weil der Tod ihn befreit hat.

Müde schließe ich die Fensterläden, schließe die Welt aus und bin für einen Augenblick frei. Morgen werde ich wieder Sklave sein; jetzt aber, allein, niemanden benötigend, nur fürchtend, eine fremde Stimme oder Gegenwart könne mich stören, erlebe ich meine kleine Freiheit, meine Augenblicke »in excelsis«.

Zurückgelehnt auf meinem Stuhl, vergesse ich das Leben, das mich knechtet. Es schmerzt mich nicht mehr, nur noch, daß es mich geschmerzt hat.

284

Rühren wir nicht am Leben, nicht einmal mit den Fingerspitzen!

Nur nicht lieben, nicht einmal in Gedanken!

Einen Frauenkuß fühlen? Nie! Nicht einmal im Traum!

Handwerker des Morbiden, seien wir den anderen Meister im Unterweisen, Illusionen aufzugeben! Neugierige des Lebens, laßt uns hinter alle Mauern spähen, ermüdet schon im voraus vom Wissen, daß wir weder Neues noch Schönes entdecken werden!

Weber der Hoffnungslosigkeit, laßt uns nur Leichentücher weben – weiße Leichentücher für die Träume, die wir niemals geträumt haben, schwarze Leichentücher für die Tage, an denen wir gestorben sind, graue Leichentücher für die Gesten, die wir nur geträumt haben, und kaiserlich purpurne für unsere unnützen Empfindungen!

In den Eichenwäldern, den Tälern und längs […] der Sümpfe jagen Jäger Wolf, Reh […] und Wildente. Laßt uns die Jäger hassen, nicht weil sie jagen, sondern weil sie sich der Jagd erfreuen (und wir nicht)!

Unser Gesichtsausdruck möge ein blasses Lächeln sein, wie von einem, der den Tränen nahe ist, ein flüchtiger Blick, wie von einem, der nicht sehen will, eine in jedem Gesichtszug sichtbare Verachtung, wie von einem, der das Leben verachtet und nur lebt, um es zu verachten!

Und möge unsere Verachtung all denen gelten, die arbeiten und kämpfen, und unser Haß all denen, die hoffen und vertrauen!

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20121931

Ich bin fast überzeugt, daß ich nie wach bin. Ich weiß nicht, ob ich nicht träume, wenn ich lebe, ob ich nicht lebe, wenn ich träume, oder ob Traum und Leben bei mir nicht sich einander überschneidende, vermischende, gegenseitig durchdringende Dinge sind, die mein bewußtes Sein bilden.

Zuweilen befällt mich mitten im tätigen Leben, in dem ich selbstverständlich eine ebenso klare Vorstellung von mir habe wie jeder andere auch, ein sonderbares Gefühl des Zweifels, und ich weiß nicht, existiere ich oder bin ich vielleicht der Traum eines anderen; fast körperlich kann ich mir vorstellen, ich sei eine Romanfigur und bewegte mich in den weiten Wellen eines Stils, in der vielschichtigen Wahrheit großen Erzählens.

Ich habe oftmals bemerkt, daß bestimmte fiktive Gestalten für uns eine so herausragende Stellung einnehmen, wie es unsere Bekannten und Freunde, diejenigen, die im sichtbaren, wirklichen Leben mit uns sprechen und uns zuhören, niemals könnten. Und das hat zur Folge, daß ich darüber nachsinne, ob nicht alles in diesem Weltgetriebe eine Abfolge von Träumen und Romanen ist, die wie Schachteln ineinanderstecken, kleine in größeren, die einen in den anderen, und immer so weiter und immer so fort, und das Ganze ist eine Geschichte aus lauter Geschichten, eine »1001 Nacht«, die trügerisch in der einen, nie endenden Nacht spielt.

Wenn ich denke, erscheint mir alles absurd; wenn ich fühle, erscheint mir alles fremd; wenn ich etwas will, will etwas in mir nichts. Wann immer etwas handelt in mir, begreife ich, daß nicht ich es war. Wenn ich träume, ist es, als schreibe man mich. Wenn ich fühle, ist es, als male man mich. Wenn ich will, ist es, als packe man mich auf ein Gefährt wie eine Ware, die man auf den Weg bringt, und ich lasse mich mit einer Bewegung befördern, die ich für meine eigene halte, an ein Ziel, dem ich mich verweigere, bis ich dort bin.

Wie verwirrend dies alles! Wieviel besser doch ist sehen als denken und wieviel besser lesen als schreiben! Was ich sehe, kann mich trügen, aber ich betrachte es nicht als mein. Was ich lese, kann mich bedrücken, aber ich muß mich nicht sorgen, es geschrieben zu haben. Wie schmerzhaft ist doch alles, wenn wir es als bewußt Denkende bedenken, als Kopfmenschen, deren Bewußtsein jene zweite Stufe erreicht hat, durch die wir wissen, was wir wissen! Obgleich der Tag wunderschön ist, kann ich nicht aufhören, so zu denken … Denken oder fühlen oder etwa noch ein Drittes zwischen den abgeräumten Bühnenbildern? Überdruß des Zwielichts und der Verwirrung, geschlossene Fächer und die Müdigkeit, gelebt haben zu müssen …