»Ich glaube schon«, meinte der alte Herr.
»Schön. Nun stellt sich natürlich die Frage, ist das alles? Ich meine, diese Gegenteile, die sich da von morgens bis abends von außen nach innen und von innen nach außen kehren, ist das schon das ganze Spiel? Und um jetzt zum Schönsten an der ganzen Sache zu kommen, es ist nicht! Nein, mein Herr. Diese Gegenteile, die da herumflippen wie trainierte Seehunde sind nur ein Aspekt von dem, was wirklich geschieht. Weil -« Und hier machte ich eine bedeutsame Pause und sprach dann mit gesenkter Stimme weiter. »- weil es eine Weisheit gibt, die hinter das Toben und Wirbeln der Welt mit ihren äußeren Phänomenen blickt. Diese Weisheit durchschaut die illusionäre Qualität der realen Dinge und erblickt dahinter das geheime Wirken des Universums, das sich in einem Zustand großartiger und wunderbarer Harmonie befindet.«
»Wie können Dinge zugleich Realität und Illusion sein«, hakte der alte Bursche ruckzuck nach.
»Es steht mir nicht zu, eine solche Frage zu beantworten«, erklärte ich ihm. »Ich bin nur ein einfacher wissenschaftlich arbeitender Ingenieur, und ich sehe, was ich sehe, und handele danach. Aber es könnte doch sein, daß hinter all dem ein ethischer Grund steht.«
Der alte Knabe dachte eine ganze Weile darüber nach, und ich konnte ihm ansehen, daß er kräftig daran zu kauen hatte. Er konnte einen logischen Widerspruch so gut entdecken, wie jeder andere auch, und meine Argumentation war völlig durchsetzt mit solchen Widersprüchen. Aber wie alle philosophischen Eierköpfe faszinierten ihn Widersprüchlichkeiten, und er hatte das starke Bedürfnis sie in sein eigenes System einzubringen. Und all diese Behauptungen, die ich da aufgestellt hatte, nun, sein gesunder Menschenverstand mußte ihm sagen, daß die Dinge nicht wirklich so verwickelt sein konnten. Aber seine Intellektualität, die sagte ihm wahrscheinlich, daß die Dinge möglicherweise doch so kompliziert aussehen könnten, dahinter aber dann ein hübsches einfaches vereinendes Prinzip stand. Oder, wenn schon kein vereinendes Prinzip, so doch wenigstens eine gute solide Moral. Und schließlich hatte ich ihn mir geangelt, indem ich von Ethik sprach. Denn dieser alte Gentleman war verrückt nach Ethik, er ging richtig in ethischen Problemen auf. Um es deutlich zu sagen, man hätte ihn ohne
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Übertreibung zum Mister Ethik des Universums ausrufen können, oder zum Mister Universum der Ethik. Jedenfalls hatte ich ihm so ganz zufällig die Idee eingegeben, das ganze verdammte Universum wäre eine Serie von Gardinenpredigten und Widersprüchlichkeiten, von Gesetzen und Ausnahmen, alles zu einer sehr exquisiten und seltenen ethischen Ordnung führend.
»Dies hat eine größere Tiefe, als ich zunächst den Eindruck hatte«, gestand er schließlich. »Ich hatte vorgehabt, mein Volk nur in Ethik zu unterweisen und seine Aufmerksamkeit auf moralische Fragen zu lenken - Fragen, wie >warum und wie der Mensch leben soll<, nicht Fragen danach, woraus die lebende Materie entstanden sein könnte. Ich wollte meine Kinder die Tiefen der Freude, der Furcht, der Frömmigkeit, des Glaubens und der Hoffnung erforschen lassen, und sie nicht zu Wissenschaftlern machen, die Sterne vermessen und Regentropfen und großartige und unpraktische Hypothesen aufstellen, auf der Basis dessen was sie dabei herausfinden. Ich war mir des Universums wohl bewußt, aber ich hielt es für überflüssig. Sie haben mich in dieser Ansicht korrigiert.«
»Ja, sehen Sie«, sagte ich, »ich wollte Ihnen keinen Ärger machen, müssen Sie mir glauben. Ich dachte nur, man sollte Sie vielleicht auf solche Sachen hinweisen . . .«
Der alte Herr lächelte. »Indem Sie mir Ärger bereitet haben«, sagte er, »haben Sie mir größeren Ärger erspart. Ich kann nach meinem eigenen Bilde erschaffen, aber ich werde keine Welt erschaffen, die von Miniaturversionen meiner selbst bevölkert wird. Freier Wille ist wichtig für mich. Meine Geschöpfe sollen ihn haben, zu ihrem Ruhm und ihrem Leid. Sie werden dieses glitzernde, verführerische nutzlose Spielzeug, die Wissenschaft, ergreifen, und sie werden es zu einer Gottheit erheben. Physikalische Widersprüche und Abstraktionen werden sie faszinieren. Sie werden dem Wissen über solche Dinge nachlaufen und darüber vergessen, das Wissen in ihrem Herzen zu erforschen. Sie haben mich davon überzeugt, daß es so kommen wird, und für diese Warnung bin ich Ihnen dankbar.«
Ich gebe ganz offen zu, daß er mich mit solchen Worten damals doch irgendwie nervös gemacht hat. Ich meine, er war ein Niemand. Er kannte keinerlei wichtige Leute, hatte nirgendwo Einfluß. Aber er hatte diesen gewissen Stil, dieses großartige Benehmen. Und ich bekam das Gefühl, er könnte mir eine Menge Ärger machen einfach mit ein paar Worten, einem Satz, der sich wie ein vergifteter Dolch in meine Gedanken bohren würde und niemals wieder loszuwerden wäre. Um die Wahrheit zu sagen, das machte mir richtig ein bißchen Angst.
Na, der alte Gauner mußte meine Gedanken gelesen haben. Denn er sagte: »Fürchte dich nicht. Ich werde die Welt, die du für mich erschaffen hast, so nehmen wie sie ist. Und die Fehler und die Mängel werde ich auch so nehmen, wie sie sind. Und dies alles nehme ich an, und ich bin dir dankbar dafür, und du sollst deinen gerechten Lohn erhalten - auch für die Fehler.«
»Wie?« fragte ich. »Wie zahlen Sie für Fehler?«
»Indern ich sie ohne Einspruch nehme, wie sie sind«, sagte er. »Und indem ich mich nun abwende von dir und mich meinen eigenen Dingen und den Dingen meines Volkes zuwende und dich in Frieden lasse.«
Und der alte Herr ging ohne jedes weitere Wort.
So schloß Maudsley seine Erzählung, aber nach einer kurzen Pause ergriff er noch einmal das Wort. »Nun, der Alte ließ mich ganz schön nachdenklich zurück«, erzählte er weiter. »Ich hatte die guten Argumente alle auf meiner Seite gehabt, aber der alte Knabe hatte irgendwie das letzte Wort behalten. Ich wußte, was er meinte. Er hatte seinen Vertrag mit mir erfüllt, und damit war die Sache erledigt. Er verließ mich, ohne ein persönliches Wort für mich. Aus seiner Sicht war das eine Art Strafe.
Aber das war natürlich nur aus seiner Sicht so. Was hätte ich schon von einem Wort gehabt, das er mir noch dagelassen hätte? Ich hätte natürlich gerne so etwas gehört, so eine persönliche Botschaft eben, das kann man ja verstehen. Und eine Zeitlang versuchte ich ihn noch einmal zu sprechen. Aber er ging mir aus dem Weg, und es kam kein Termin zustande.
Alles in allem machte es mir nicht viel aus. Ich hatte bei der Welt einen hübschen Profit herausgeschlagen, und selbst wenn ich den Vertrag an der ein oder anderen Stelle sehr frei ausgelegt habe, so habe ich ihn doch nirgendwo wirklich gebrochen. So stehen die Dinge nun einmal. Man ist es sich ja schließlich schuldig in seinem eigenen Geschäft mit Gewinn zu arbeiten, sonst bricht das Unternehmen irgendwann zusammen. Und mit den Konsequenzen kann man sich nicht lange aufhalten, sonst fängt man besser gar nicht erst mit unserem Job an.
Aber ich habe das alles nicht ohne Grund erzählt. Und ich will, daß ihr Jungs mir deshalb jetzt mal genau zuhört und etwas daraus lernt. Wissenschaft besteht aus einer Unmenge von Gesetzmäßigkeiten, weil ich es so erfunden habe. Warum habe ich das so erfunden? Weil Gesetzmäßigkeiten eine große Hilfe für einen cleveren Ingenieur sind, genau wie Gesetze eben eine große Hilfe für Rechtsanwälte sind. Die Gesetzmäßigkeiten, Doktrinen, Axiomen, Gesetze und Prinzipien der Wissenschaft sind dazu da euch zu helfen, nicht euch zu behindern in euerer Arbeit. Sie sind dazu da, damit ihr begründen könnt, was ihr tut. Die meisten von ihnen sind außerdem wahr, mehr oder weniger jedenfalls, und das ist eine große Hilfe.«