»Ich werde ihm das sagen«, versprach Carmody. »Aber, um mal ganz offen zu sein, ich glaube nicht, daß er so ein Angebot annimmt.«
»Ich glaube das auch nicht«, bestätigte Maudsley mit einem schwermütigen Lächeln. »Er ist ein eigensinniger alter Bursche, und er läßt sich von niemandem einen Gefallen tun. Trotzdem möchte ich dieses Angebot machen, und ich meine es völlig ernst und aufrichtig.« Maudsley zögerte kurz, dann fügte er hinzu: »Sie könnten ihn außerdem fragen, ob er nicht mal für ein Schwätzchen vorbeischaut.«
»Warum gehen Sie nicht einfach mal bei ihm vorbei?«
»Ich habe das schon ein paar Mal versucht, aber er ging mir aus dem Weg. Er wollte mich einfach nicht sehen. Er kann ziemlich schwierig sein, Ihr alter Herr, Carmody. Wissen Sie, er ist einer von den Typen, die nicht mit jedem reden, das müßte Ihnen doch auch schon aufgefallen sein.«
»Kann schon sein«, pflichtete Carmody bei. »Aber, wenn Sie unbedingt mit einem Gott reden wollen, warum besuchen Sie dann nicht Melichrone?«
Maudsley warf den Kopf zurück und lachte laut los. »Melichrone? Diesen Mistkerl? Er ist ein lächerlicher, egozentrischer Stubenhocker ohne den geringsten Charakter, mit dem es sich zu befassen lohnen würde. Lieber würde ich dann schon mit einem Hund über Metaphysik diskutieren! Nein. Melichrone ist ein Spinner. Wenn man es mal technisch ausdrücken will, dann ist das Gott sein eine Frage der Macht und der Kontrolle, sonst nichts. Es ist überhaupt nichts Übernatürliches dabei, und es ist auch keinesfalls eine besondere Auszeichnung. Keine zwei Götter sind gleich. Wußten Sie das nicht?«
»Nein, wußte ich nicht.«
»Merken Sie es sich gut. Man kann nie wissen, wann ein Stückchen Information, wie dieses hier, sich als nützlich erweist.«
»Danke«, sagte Carmody. »Ich muß gestehen, daß ich vor dieser ganzen Sache hier überhaupt an gar keinen Gott geglaubt habe.«
Maudsley blickte nachdenklich drein und meinte dann: »So wie ich es sehe, ist die Existenz von Gott oder von Göttern offensichtlich und bedarf keines Beweises. Und der Glaube an einen Gott ist so einfach und so natürlich, wie der Glaube an einen Apfel, und genauso viel oder wenig von Bedeutung. Wenn man es mal ganz genau betrachtet, gibt es eigentlich nur eine einzige Sache, die diesem Glauben im Weg steht.«
»Und welche wäre das?« wollte Carmody wissen.
»Das allgemeine Geschäftsprinzip, das wesentlich fundamentaler ist als das Gravitationsgesetz. Wo immer Sie in der Galaxis hingehen, können Sie ein Lebensmittelgeschäft finden, ein Baugeschäft, ein Regierungsgeschäft und so weiter. Und natürlich auch ein Gottgeschäft, das man allerdings meist >Religion< nennt, und das für mich ein recht anrüchiger Erwerbszweig ist. Ich könnte jahrelang von den perversen und widerwärtigen Dingen erzählen, die diese Religionen versuchen im Namen eines Gottes an das Volk zu bringen, aber ich bin sicher, Sie haben selbst schon genug Derartiges gehört. Aber eins will ich doch besonders erwähnen, weil es fast allem, was Religionen predigen, beigemengt ist und eine so ganz besonders augenfällige Perversion des Denkens darstellt.«
»Und?« fragte Carmody neugierig.
»Es ist der tiefverwurzelte, fundamentale Berg von Pharisäertum, auf dem sich jede Religion begründet. Schauen Sie: Es heißt doch, daß ein Wesen Gott nur dienen kann, wenn es einen freien Willen besitzt, was logisch ist. Besäße es keinen, könnte es sich eben nicht dafür entscheiden. Freier Wille aber, ist frei. Und gerade durch seine Freiheit ein einzigartiges und wirklich göttliches Geschenk, auf das sich alle Selbstentfaltung der Kreatur gründet. In Freiheit existieren ist eine wilde, seltsame Sache, und war ganz klar auch beabsichtigt so zu sein. Aber was machen die Religionen daraus? Sie sagen: >Sehr schön, du hast einen freien Willen, aber nun mußt du deinen freien Willen benutzen, um dich einem Gott zu unterwerfen, dich zum Sklaven seiner Religion zu machen.< Diese ungeheuerliche Zumutung! Gott, der jeder Fliege ihren freien Willen läßt, wird als der oberste Sklavenhalter hingestellt! Angesichts einer solchen Unverschämtheit muß sich einfach jede Kreatur, die Geist besitzt, dagegen auflehnen, muß dagegen rebellieren. Sie muß Gott entweder ganz aus ihrem eigenen Willen und ihrer Laune dienen oder jeden Dienst an ihm völlig ablehnen, wenn sie sich selbst und dem göttlichen Geschenk ihrer Freiheit treu bleiben will.«
»Ich denke, ich verstehe, was Sie meinen«, sagte Carmody.
»Ich habe es zu sehr verkompliziert«, sagte Maudsley. »Es gibt einen viel einfacheren Grund, nichts von Religion zu halten.«
»Welchen?«
»Sehen Sie sich doch nur den Stil der Religionen an - bombastisch, aufgeblasen, überheblich, sauertöpfisch, herablassend oder anbiedernd, langweilig, mit Schreckensbildern oder mit billigen Slogans um sich werfend, ein Lebensinhalt für senile alte Weiber und verängstigte kleine Kinder, aber für niemanden sonst. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Gott, wie sie in mein Büro kommen, jemals eine Kirche betreten würde. Ihr Gott, Carmody, hätte viel zu viel Geschmack und Temperament, zu viel Stolz und Zorn dazu. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen. Warum also sollte ich einen Ort aufsuchen, den ein Gott niemals betreten würde?«
XIV
Während Maudsley sich daran machte, eine Maschine für die Rückkehr zur Erde zu konstruieren, blieb Carmody sich selbst überlassen. Er langweilte sich bald furchtbar. Maudsley konnte nur bei völliger Ruhe arbeiten, und der Preis war offenbar wieder in seinen Winterschlaf verfallen. Orin und Brookside, die beiden Nachwuchsingenieure, erwiesen sich als trockene Wissenschaftlertypen, die völlig in ihrer Arbeit aufgingen und an nichts anderem Interesse zeigten.
So blieb für Carmody niemand, mit dem er sich unterhalten konnte.
Er vertrieb sich die Zeit, so gut er konnte. Er besichtigte eine Fabrik, in der Atome hergestellt wurden, und hörte sich pflichtbewußt an, was ein rotgesichtiger Vorarbeiter ihm über die Herstellungsprozesse zu sagen hatte.
»Früher war das hier alles Handarbeit«, berichtete der Vorarbeiter. »Jetzt gibt es Maschinen dafür, aber der Herstellungsvorgang ist im wesentlichen der gleiche geblieben. Zuerst suchen wir uns ein Proton heraus und verbinden es dann mit einem Neutron, wozu wir Mr. Maudsleys patentierten Energiekleber verwenden. Dann verspinnen wir die Elektronen mit einer mikrokosmischen Standardzentrifuge an den richtigen Stellen. Danach wird dann alles, was jeweils gebraucht wird, dazu gemischt - Mu-Mesonen, Positronen, die ganze Teilchensuppe. Und das war's dann schon.«
»Bekommen Sie viele Bestellungen für Gold- oder Uranatome?« erkundigte sich Carmody.
»Nicht zu viele. Sind zu teuer. In der Hauptsache produzieren wir hier Wasserstoff.«
»Wie steht es mit Antimaterie?«
»Ich selbst halte da nicht viel von«, bemerkte der Vorarbeiter. »Ist 'ne überflüssige Sache. Aber Mr. Maudsley macht das so als eine Art Nebengeschäft. Dafür gibt es aber natürlich eine getrennte Fabrik.«
»Natürlich«, sagte Carmody.
»Das Zeug explodiert, wenn es mit normalen Atomen zusammenkommt.«
»Davon habe ich gehört. Das Zeug muß schwer zu verpacken sein, nicht wahr?«
»Nein, eigentlich nicht«, erklärte der Vorarbeiter. »Es kommt einfach in neutrale Kartons.«
Sie gingen weiter um die riesigen Maschinenanlagen herum, und Carmody überlegte, was er wohl sonst noch sagen könnte. Schließlich fragte er: »Machen Sie Ihre eigenen Protonen und Elektronen?«
»Nein. Mit dem wirklich kleinen Zeug wollte Mr. Maudsley nie etwas zu tun haben. Unsere subatomaren Teilchen bekommen wir von verschiedenen Zulieferern, meist Heimarbeitern.«
Carmody lachte, und der Vorarbeiter sah ihn ein wenig mißtrauisch von der Seite an. Sie setzten ihren Rundgang fort, bis Carmody die Füße wehzutun begannen.
Er fühlte sich müde und gelangweilt, und das verdarb ihm die Laune. Er fühlte, daß er fasziniert hätte sein müssen an einem Ort, wo Atome hergestellt wurden. Dort drüben stand eine Maschine, die dem unbehandelten Raum die kosmische Hintergrundstrahlung entzog und sie in kleine grüne Behälter abfüllte. Dahinter befand sich ein Großthermometer für die Therapie altersschwacher Sterne, die in der nächsten Abteilung eine Verjüngungskur erhielten. Und links davon . . .