»Ich bin sicher, er wird einen Weg finden«, meinte das Mädchen mit herzzerreißender Verzweiflung in der Stimme.
»Er wird alles versuchen«, sagte der Mann. »Wir werden ihnen schon zeigen, daß wir von der Erde nicht auf den Kopf gefallen sind. Noch weiß hier keiner, was es heißt, sich mit Terranern anzulegen, und das ist unsere große Chance.« Er wandte sich an Carmody, und sein Gesicht wurde hart. »Ich hoffe nur, Sie sind das alles wert, mein Junge«, verkündete er. »Drei Menschen haben für Sie das äußerste gewagt.«
Dies war eine Mitteilung, auf die eine angemessene Erwiderung, besonders wenn sie so überraschend verlangt wird, nicht gerade einfach ist. Carmody versuchte es gar nicht erst.
»Dann alles auf dem schnellsten Weg zurück zum Schiff«, befahl der Mann. »Jede Sekunde zählt. Lassen wir uns überraschen, was Doc Maddox inzwischen herausgefunden hat.«
Er zog eine klobige Strahlwaffe aus dem Gürtel und wandte sich dem Wald zu. Das Mädchen reihte sich hinter ihm ein und warf Carmody einen aufmunternden Blick zu. Carmody lief hinter ihr her.
XV
»He, wartet doch mal eine Minute!« rief Carmody, während er hinter den raumbeanzugten Terranern durch den Wald lief. »Was hat das alles zu bedeuten? Wer seid ihr? Was macht ihr hier?«
»Meine Güte!« antwortete das Mädchen. Sie wurde fast ein wenig rot vor Verlegenheit, als sie sich zu ihm umwandte. »Wir sind vielleicht gut. Da kommen wir angerannt und schleppen Sie mit, ohne uns auch nur vorzustellen. Sie müssen ja einen richtig schlechten Eindruck von uns bekommen, Mr. Carmody.«
»Überhaupt nicht«, versicherte Carmody höflich. »Aber ich hätte gerne gewußt - na, Sie verstehen mich sicher. Etwas mehr gewußt eben, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Oh, natürlich. Ich weiß, was Sie meinen«, sagte das Mädchen. »Ich bin Aviva Christiansen, und dies ist mein Vater, Professor Lars Christiansen.«
»Auf dieses Professor-Gerede können wir ruhig verzichten«, knurrte Christiansen. »Nennen Sie mich einfach Lars, oder Chris, oder wie es Ihnen sonst gefällt.«
»Alles klar, Daddy«, sagte Aviva mit einem liebevollen, leicht genervten Blick. »Jedenfalls, Mr. Carmody . . .«
»Tom ist mein Name.«
»Tom, also dann«, fuhr Aviva fort, wobei sie auf hinreißende Art ein ganz klein wenig errötete über diese plötzliche Intimität. »Wo war ich stehengeblieben? Ach, ja. Dad und ich arbeiten für den Interstellaren Terranischen Rettungsdienst (ITR), der Büros in Stockholm, Genf und Washington hat.«
»Ich fürchte, ich habe noch nie von diesem ITR gehört«, gestand Carmody.
»Das ist nicht weiter verwunderlich«, erklärte Aviva. »Die Erde hat sich ja gerade erst auf die Schwelle der interstellaren Forschung gewagt. Gerade jetzt erst sind überall in den Labora-torien Terras Versuche mit neuen Energieformen im Gange, die alles in den Schatten stellen werden, was es bisher an notdürftiger Atomtechnologie gab, wie Sie sie kennen. In aller nächster Zukunft werden bereits die ersten Raumschiffe mit menschlicher Besatzung zu den fernsten Ecken unserer Galaxis vorstoßen. Und daraus wird dann natürlich eine neue Periode des Friedens und des Wohlstandes für unseren erschöpften alten Planeten entstehen.«
»Wird sie?« fragte Carmody. »Warum?«
»Weil es nichts mehr geben wird, um das man kämpfen müßte«, erklärte ihm Aviva etwas außer Atem, denn sie rannten während des Gesprächs alle drei weiter durch das Unterholz. »Hier draußen gibt es zahllose Welten für uns«, fuhr sie fort. »Das dürften Sie ja schon bemerkt haben, Tom. Hier gibt es genug Platz für alle Gesellschaftsformen, für alle sozialen und psychologischen Experimente, für Abenteuer, für alles, was man sich vorstellen kann. Deshalb werden sich die Energien der Menschheit von nun an nach außen richten, anstatt sich wie bisher in selbstzerstörerischen innerrassischen Kriegen zu verzehren.«
»Mädchen, du verpaßt ihm da aus dem Handgelenk eine geballte Ladung«, meinte Lars Christiansen in seiner tiefen, freundlich-knurrigen Stimme dazu. »Sie hört sich an wie eine SF-Schreiberin, Tom, aber sie hat ein halbes Dutzend Doktortitel und doppelt soviel Diplome nachgeworfen bekommen. Deshalb muß man davon ausgehen, daß sie weiß, was sie redet.«
»Und mein Paps mag sich anhören, wie ein alter Kneipenbruder«, konterte Aviva lächelnd, »aber er hat zu Hause drei Nobel-Preise über dem Schuhschränkchen hängen.«
Vater und Tochter wechselten einen schnellen Blick, der sowohl leichte Verärgerung als auch riefe gegenseitige Sympathie bezeugte.
»Jedenfalls«, nahm Aviva den Faden wieder auf, »so sieht es zur Zeit aus, oder wird es, genauer gesagt, in ein paar Jahren aussehen. Wir sind dieser Entwicklung dank Doc Maddox um eine Nasenlänge voraus, und deshalb sind wir bereits hier.
Maddox werden Sie ja gleich kennenlernen, Tom.« Sie zögerte einen Augenblick, und sagte dann etwas leiser. »Ich glaube, es ist kein Vertrauensbruch, wenn ich Ihnen schon einmal zur Vorbereitung sage, Doktor Maddox ist ein - ein - ein Mutant!«
»Verdammt noch mal, das kann man ruhig laut sagen«, fuhr Christiansen dazwischen. »Gibt gar keinen Grund, sich da was vorzumachen. Ein Mutant kann genauso gut seih, wie jeder von uns. Und im Fall von Doc Maddox ist er sogar noch tausendmal besser.«
»Es war Dr. Maddox, der dieses Projekt eigentlich in den Orbit geschossen hat«, erklärte Aviva. »Sehen Sie, er berechnete die Zukunft und machte eine exakte Extrapolation (wie das im Detail ging, kann ich Ihnen jetzt nicht erläutern), und deshalb kam er schon so früh darauf, daß es nach der Entdek-kung billiger, unbegrenzter Energie in fast jeder gewünschten Form bald eine Unmenge von Raumschiffen geben würde. Und viele Leute würden einfach ins All hinaus jagen, ohne die entsprechende Ausrüstung oder die nötigen Navigationsinstrumente oder . . .«
»Eben diese Vollidioten, wie wir sie schon immer bei irgendeiner neuen Sache dabei haben«, kommentierte Christiansen trocken.
»Paps! Jedenfalls würden diese Leute Hilfe brauchen. Aber es würde keinen organisierten galaktischen Rettungsdienst (das hat er ganz besonders genau vorausberechnet) in den nächsten 87 238 874 Jahren geben. Begreifen Sie jetzt?«
»Doch, doch«, versicherte Carmody. »Ihr drei erkanntet das Problem und - und ihr nahmt euch der Sache an.«
»Ja«, sagte sie einfach. »Wir nahmen uns der Sache an. Daddy hat sich immer schon gerne bemüht, anderen zu helfen, auch wenn man es seiner knurrigen Art nicht gleich anmerkt. Und was für meinen Daddy eine wichtige Sache ist, ist für mich auch gut genug. Und was Dr. Maddox angeht - also er ist die maximale Realisierung allen menschlichen Potentials. Einem größeren Menschen bin ich nie begegnet. Er ist der genialste aus meinem ganzen Bekanntenkreis, müssen Sie wissen.«
»So ist es, nur daß er mindestens das Doppelte von dem ist, als was Sie ihn sich jetzt vorstellen, Tom«, ergänzte Lars Christiansen ruhig. »Der Mann hat eine bemerkenswerte Geschichte. Sie wissen ja, daß Mutationen in der Regel negativen biologischen Wert haben. Die Evolution siebt sich da bloß alle paar Tonnen Sand ein Körnchen Gold aus ihrer Pfanne. Aber in Dr. Maddoxs Fall gibt es eine Familiengeschichte sich wiederholender Mutationen, die meistens positiv und alle völlig unerklärlich.«
»Wir vermuten daß ein außerirdischer Einfluß dahinter stehen könnte«, sagte Aviva, fast flüsternd. »Die Maddox-Familie läßt sich nur etwa zweihundert Jahre zurückverfolgen. Es ist eine seltsame Geschichte. Aelill Maddox, ein Ur-Urgroßvater, war ein walisischer Bergarbeiter. Über zwanzig Jahre lang schuftete in der berüchtigten Auld Gringie-Mine und gehörte zu den wenigen Arbeitern, die das gesund überstanden. Das war Anfang des 18. Jahrhunderts. Als die Mine vor einigen Jahren wieder geöffnet wurde, entdeckte man darunter das berühmte Scatterwail-Uranlager.«