»Das gibt es doch gar nicht!« brüllte er.
»Guten Tag, Sir«, sagte Carmody. »Mein Name ist Thomas Carmody. Ich bin ein Mensch. Ich glaube nicht, daß es noch andere Menschen auf der Erde gibt, jedenfalls nicht zur Zeit, wahrscheinlich nicht einmal Primaten. Wie ich hierher gekommen bin, ist ein wenig schwierig zu erklären. Aber ich komme in Frieden und - und all das«, endete er etwas lahm.
»Fantastisch!« rief Emmis Vater. Er wandte den Kopf. »Bax-ley? Siehst du, was ich sehe? Hörst du, was ich höre?«
Baxley war ein Tyrannosaurus etwa im Alter von Emmis Vater. Er sagte: »Ich sehe es, Borg, aber ich kann es nicht glauben.«
»Ein sprechendes Säugetier!« verkündete Borg.
»Ich kann es noch immer nicht glauben«, sagte Baxley.
XX
Borg brauchte länger dafür, die Vorstellung von sprechenden Säugetieren zu akzeptieren, als Carmody gebraucht hatte, sich an die von sprechenden Reptilien zu gewöhnen. Aber schließlich akzeptierte Borg sie ebenfalls. Wie der Preis später dazu bemerkte, gibt es nichts, was einem mehr an eine Tatsache glauben läßt, als diese Tatsache ständig vor sich zu haben.
Sie zogen sich in Borgs Büro zurück, das sich unter dem schattigen Blätterdach einer Riesenweide befand. Dort saßen sie dann, räusperten sich abwechselnd und versuchten sich einfallen zu lassen, was man sagen könnte. Am Ende sagte Borg: »Also Sie sind ein fremdes Säugetier aus der Zukunft, nicht wahr?«
»Ich nehme an, das bin ich«, sagte Carmody. »Und Sie sind ein einheimisches Reptil aus der Vergangenheit.«
»So habe ich mich noch nie betrachtet«, gab Borg zu. »Aber ich nehme an, das kann man wohl so sehen. Wie weit aus der Zukunft sagten Sie, kommen Sie?«
»Etwa hundert Millionen Jahre.«
»Aha, ja. Ziemlich lange Zeit, nicht wahr? Kommt mir jedenfalls so vor.«
»Es ist ziemlich viel Zeit weit entfernt«, stimmte Carmody zu.
Borg nickte und begann tonlos vor sich hin zu summen. Carmody konnte nicht übersehen, daß der Saurier nicht recht wußte, was er als nächstes sagen sollte. Borg machte den Eindruck einer sehr gesetzten Persönlichkeit; gastfreundlich, höflich, aber auch sehr auf Konventionen bedacht. Ein Familienvater, kein großer Unterhalter, einfach ein ordentlicher, langweiliger, gutbürgerlicher Tyrannosaurier aus der Mittelschicht.
»Und nun«, sagte Borg, als das Schweigen peinlich zu werden drohte. »Ich meine, und wie ist sie, die Zukunft?«
»Entschuldigen Sie bitte, wie meinen Sie das?«
»Ich meine, was für ein Ort ist das, die Zukunft? Wie sieht es in der Zukunft aus?«
»Sehr viel los dort«, erklärte Carmody. »Viel Industrie und Handel. Viele neue Erfindungen. Und natürlich auch viel Ärger und Durcheinander.«
»Ja, ja, ja«, sagte Borg. »Das ist ganz so, wie sie sich unsere besonders phantasiebegabten Kollegen vorstellen. Einige von ihnen haben sogar einen Evolutionssprung bei den Säugetieren vorausgesagt, der diese Arten zu dominierenden Spezies der Erde machen soll. Aber mir kommt so etwas doch etwas weithergeholt und grotesk vor.«
»Ich glaube schon, daß es für Sie so klingen muß«, sagte Carmody.
»Dann sind Sie die dominierende Spezies?«
»Nun . . . eine von den dominierenden.«
»Aber was ist mit den Reptilien? Oder, ganz genau gefragt, wie geht es dem Tyrannosaurus in der Zukunft?«
Carmody hatte weder die Nerven noch die Herzlosigkeit, ihm zu erklären, daß in seiner eigenen Zeit die Saurier seit über sechzig Millionen Jahren ausgestorben waren, und daß die Reptilien auf der Erde bestenfalls noch eine recht untergeordnete Rolle spielten, etwa als Handtaschenlieferanten.
»Ihre Rasse hat sich so optimal gehalten, wie man es sich unter den gegebenen Umständen vorstellen kann«, antwortete Carmody, wobei er sich ausgesprochen phytisch und irgendwie hinterhältig vorkam.
»Gut! Ich dachte mir, daß es so sein wird!« sagte Borg. »Wir sind eine vernünftige Rasse, wissen Sie, und die meisten von uns haben Willenskraft und Gemeinsinn. Haben Menschen und Reptilien große Schwierigkeiten mit einer friedlichen Koexistenz?«
»Nein, eigentlich überhaupt keine«, verkündete Carmody wahrheitsgemäß. »Höchstens einmal ein paar Unfälle.«
»Freut mich, das zu hören. Ich hätte schon gefürchtet, den Dinosauriern wäre ihre Größe irgendwann zu Kopf gestiegen.«
»Nein, nein«, wehrte Carmody ab. »Für die Säugetiere der fernen Zukunft kann ich versichern, daß sie eigentlich alle den Dinosaurier mögen. Besonders die Kinder.«
»Es ist sehr freundlich von Ihnen, das so zu sagen«, bedankte sich Borg.
Carmody murmelte etwas Unverständliches. Er schämte sich plötzlich fast unerträglich.
»Die Zukunft ist nichts, was einem Saurier große Sorgen macht«, meinte Borg, der jetzt in den zufriedenen Tonfall eines Dinnergesprächs verfiel. »Früher mag das anders gewesen sein. Unser ausgestorbener Vorfahr, der Allosaurus, muß ein übellauniger Bursche mit grauenvollen Freßmanieren gewesen sein. Und sein Vorfahr, der Ceratosaurus, war ein fleischfressender Zwergsaurier. Nach der Größe seines Schädels zu urteilen, muß er unglaublich blöde gewesen sein. Es gab natürlich andere Fleischfresser in der Vorzeit, und irgendwo dort in der Urzeit muß es auch das Missing Link gegeben haben - einen fernen Urahn von dem beide abstammen, die zweibeinigen und die vierbeinigen Saurier.«
»Die zweibeinigen Saurier sind natürlich die dominierenden, nicht wahr?« fragte Carmody.
»Natürlich. Der Triceratops ist ein schwachsinniges Geschöpf mit einer Neigung zu Wutausbrüchen. Wir halten ihn in kleinen Herden. Sein Fleisch ist eine gute Vorspeise zu Brontosau-rus-Steaks. Es gibt natürlich auch noch eine ganze Reihe anderer Arten. Sie werden einige Hadrosaurier gesehen haben, auf dem Weg in die Stadt.«
»Ja, habe ich«, sagte Carmody. »Sie sangen.«
»Diese Kerle singen immer«, sagte Borg geringschätzig.
»Essen Sie sie?«
»Gütiger Himmel, nein! Hadrosaurier sind eine intelligente Rasse, die einzige intelligente Spezies auf diesem ganzen Planeten neben dem Tyrannosaurus.«
»Ihr Sohn sagte, sie seien ein echtes Problem.«
»Ja, das sinid sie«, sagte Borg ein wenig zu aufgeregt.
»Wieso?«
»Sie sind faul. Sie liegen rum und tun nichts. Ich weiß, wovon ich rede. Ich habe Hadrosaurier als Hauspersonal eingestellt gehabt. Sie haben keine Ambitionen, keinen Schwung, keine Selbstdisziplin. Die Hälfte der Zeit vergessen sie, wer für ihren Lebensunterhalt sorgt, und sonst scheint es sie auch nicht besonders zu interessieren. Aber, wenn man mit ihnen spricht, können sie einem nicht mal gerade in die Augen sehen.«
»Singen können sie trotzdem gut«, sagte Carmody.
»Oh, ja. Sie singen schön. Einige unserer besten Entertainer sind Hadrosaurier. Wenn man sie anleitet, sind sie auch bei allen schweren Konstruktionsarbeiten gut zu gebrauchen, aber es muß immer jemand aufpassen. Ich gebe zu, daß ihr Äußeres leicht Vorurteile weckt . . . dieses Ding auf dem Kopf und der watschelnde Gang. Aber dafür können sie nichts. Ist das Hadrosaurier-Problem in der Zukunft irgendwann gelöst worden?«
»Es hat sich erübrigt«, erklärte Carmody. »Die Rasse ist ausgestorben.«
»Vielleicht ist das der beste Weg«, sagte Borg. »Ja, ich glaube, so wird es wirklich das beste sein.«
Carmody und Borg unterhielten sich noch einige Stunden lang. Carmody erfuhr von dem Problem des städtischen Reptilienlebens. Die Waldstädte erlebten einen dramatischen Bevölkerungsanstieg, weil zur Zeit immer mehr Tyrannosaurier und Hadrosaurier dem Landleben den Rücken zuwandten und ihr Glück in der Stadt suchten. In den letzten Jahren hatten sich daraus schwere Verkehrsprobleme ergeben. Großreptilien reisen gerne schnell und sind stolz auf ihre schnellen Reflexe. Aber wenn mehrere Tausend von ihnen zur selben Zeit durch einen relativ kleinen Wald donnern, sind Unfälle unausweichlich. Oft waren diese Unfälle schwer und mit fatalen Folgen. Wenn zwei Reptilien, beide vierzig Tonnen schwer und fünfzig Kilometer in der Stunde schnell, frontal gegeneinander rasen, sind in der Regel Genickbrüche das Resultat. Seit über fünfzig Jahren kletterte daher die Zahl der Verkehrstoten unaufhaltsam.