»Wie lange ist es her, daß du zuletzt gebadet hast?«
»Zu lange. Ich bade gleich morgen früh.«
»Würdest du dich nicht besser fühlen, wenn du jetzt gleich ein Bad nimmst?«
»Nein.«
»Selbst wenn ich dir das Bad selbst eben schnell einlasse?«
»Nein! Verdammt! Nein! Ich gehe jetzt schlafen!«
»Mach genau das, was du gerne machen möchtest«, sagte Schönwetter. »Wasch dich nicht, lerne nichts, iß keine geregelte Diät. Aber, bitte, mach nicht mich für irgend etwas davon verantwortlich.«
»Dich verantwortlich machen? Wofür denn?«
»Für alles«, erklärte Schönwetter.
»Ja. Aber an was hast du denn da im besonderen gedacht? Habe ich dir etwas vorgeworfen?«
»Es ist nicht wichtig.«
»Warum hast du denn dann damit angefangen?«
»Ich dachte nur gerade an dich«, sagte Schönwetter.
»Den Eindruck habe ich auch.«
»Du solltest wissen, daß ich nichts davon habe, ob du dich nun wäschst oder nicht, Tom.«
»Das ist mir bewußt.«
»Wenn man sich um jemanden kümmert, wenn man sich Sorgen macht um jemanden«, fuhr Schönwetter fort, »dann ist es nicht nett, wenn man dafür noch beschimpft wird.«
»Ich habe dich nicht beschimpft.«
»Jetzt nicht. Aber vorhin hast du Scheiß-Bounty gesagt.«
»Ja . . . weißt du . . . ich war nervös.«
»Das kommt von deinem Rauchen.«
»Fang doch bitte nicht wieder damit an.«
»Das tue ich nicht«, versprach Schönwetter. »Du kannst rauchen wie ein Schlot. Was macht mir das aus? Es sind doch deine Lungen, oder?«
»Verdammt richtig«, stellte Carmody fest und steckte sich eine Zigarette an.
»Aber ich bin schuld«, sagte Schönwetter.
»Wieso denn?«
»Weil ich mich nicht richtig um dich kümmere. Ich mache etwas falsch. Ich bin nicht nett genug zu dir.«
»Nein, nein«, sagte Carmody. »Sag das nicht, bitte.«
»Vergiß, daß ich es gesagt habe.«
»In Ordnung. Schon vergessen.«
»Manchmal bin ich einfach irgendwie rechthaberisch.«
»Manchmal.«
»Und es fällt mir so besonders schwer, weil ich ja doch immer recht habe. Ich habe eben recht, weißt du.«
»Ich weiß«, stöhnte Carmody. »Du hast recht, du hast immer recht. Richtig-richtig-richtig-richtig ! «
»Tom, reg dich bitte nicht auf vor dem Schlafengehen. Möchtest du nicht noch ein Glas Milch trinken?«
»Nein.«
»Bestimmt nicht?«
Carmody legte die Hände vors Gesicht. Er fühlte sich sehr eigenartig. Er fühlte sich extrem schuldig, zerbrechlich, schmutzig, ungesund und undankbar. Er fühlte sich ganz allgemein und unwiderruflich schlecht, und er begriff, daß er sich hier immer so fühlen würde.
Irgendwo in seinem Inneren fand er wieder Kraft. Er brüllte: »Seethwright!«
»Wen rufst du da?« fragte Schönwetter.
»Seethwright! Wo sind Sie?«
»Was habe ich falsch gemacht, Tom?« fragte Schönwetter. »Sag es mir doch einfach.«
»Seethwright!« wimmerte Carmody. »Kommen Sie und holen Sie mich! Das ist die falsche Erde!«
Es gab ein Ruck, Zuck und Zong, und Carmody war woanders.
XXIV
Rums! Zoing! Wum! Kapeng! Da sind wir schon wieder, aber wer weiß, wo, wann und welche? Sicherlich nicht Carmody, der sich in einer recht überzeugend aussehenden Stadt wiederfand, die sehr wie New York wirkte. Sehr wie, aber war sie es?
»Ist das New York?« fragte Carmody sich.
»Wo, zum Teufel, soll ich das her wissen?« antwortete prompt eine Stimme.
»Es war eine rhetorische Frage«, erläuterte Carmody.
»Das ist mir schon bewußt. Aber, weil ich mich in Rhetorik auskenne, denke ich, du kannst froh sein, daß überhaupt jemand antwortet.«
Carmody sah sich um und entdeckte, daß die Stimme aus einem großen schwarzen Regenschirm unter seinem linken Arm kam. Er fragte: »Bist du mein Preis?« und nahm den Schirm in die Hand.
»Ja, natürlich bin ich das«, sagte der Preis. »Ich nehme nicht
»Wo hast du denn gesteckt, während ich in dieser Modellstadt war?«
»Ich habe mir einen kurzen, wohlverdienten Urlaub genommen«, erklärte der Preis. »Und es hat gar keinen Zweck, wenn du mir darüber irgendwelche Vorhaltungen machen willst. Der Urlaub ist im Tarifvertrag zwischen dem Preisbund der Galaxis und dem Lotteriegewinnerverband genau festgelegt.«
»Ich wollte dir gar keine Vorhaltungen machen«, versicherte Carmody. »Ich dachte nur . . . Vergiß es! Dieser Ort hier sieht wirklich sehr nach meiner eigenen Erde aus. Es sieht alles tatsächlich aus wie in New York.«
Er befand sich in einer Stadt. Es gab dichten Verkehr, Autos und Menschengedränge. Es gab viele Theater, viele Hamburgerstände und viele Leute. Es gab viele Geschäfte, die mit großen Postern annoncierten, daß sie wegen Aufgabe den allerletzten totalen Räumungsverkauf machen müßten, ungeachtet aller Verluste. Überall leuchteten Neonreklamen auf. Es gab viele Restaurants, von denen besonders ins Auge fielen das The Westerner, The Southerner, The Easterner und das The Northerner, die sich alle auf Steaks mit gebackenen Kartoffeln spezialisiert hatten. Aber außerdem gab es auch noch das The Nor'easterner, das The Sou'westerner, das The East-by-North-west und sogar das West-by-Northwest. In einem Kino gegenüber lief DIE APOKRYPHEN (gewaltiger und grausamer als DIE BIBEL).
»Jede Menge los«, sagte Carmody und befeuchtete sich die Lippen.
»Ich höre nur das Klingeln der Kassen«, sagte der Preis mit sehr moralisierendem Unterton.
»Stell dich nicht an«, sagte Carmody. »Das ist mein Zuhause, glaube ich wenigstens.«
»Ich hoffe nicht«, erwiderte der Preis. »Dieser Ort beginnt mir auf die Nerven zu gehen. Sich dich bitte genau um, ob da kein Irrtum vorliegt. Denk dran, Ähnlichkeit ist noch keine Gleichheit, und selbst Gleichheit sagt nicht, daß du dasselbe vor dir hast.«
Direkt vor ihnen lag ein U-Bahn-Eingang. Carmody sah, daß er sich am Broadway Ecke 50ste Straße befand. Ja, er war zu Hause. Entschlossen ging er zur Subway und stieg die Treppe hinunter. Es war alles vertraut, aufregend und traurig zugleich. Die marmornen Wände strotzten vor feuchtem Dreck, und die schimmernde Schiene kam aus einem Tunnel und verschwand gegenüber im anderen.
»Oh!« murmelte Carmody, »Oh, ja.«
»Wie?« fragte der Preis.
»Egal«, meinte Carmody. »Ich hab mir nur gerade überlegt, daß ich noch ein wenig über den Broadway spazieren möchte.« Er machte sich daran, wieder die Treppe hinauf zu steigen zu dem Rechteck Himmel, als das der Eingang sich von unten abzeichnete. Aber vor ihm hatte sich eine Menschenmenge gebildet, die den Weg blockierte und ihn zurück auf den Bahnsteig drängte. Die feuchten Wände der U-Bahn begannen zu zittern und dann sich rhythmisch zusammenzuziehen. Die schimmernde Mittelschiene riß sich vom Schotter los und bog sich wie eine bronzene Zunge zurück. Carmody rannte los, stieß die Leute um, die ihm im Weg standen. Undeutlich bekam er mit, daß sie einfach nur zur Seite rollten und wieder hochschnellten wie Stehaufmännchen. Der Marmorboden unter seinen Füßen wurde weich, verwandelte sich in Sirup. Seine Füße klebten fest, die Gestalten drängten sich um ihn und die Schiene erhob sich über ihm, um zuzustoßen.
Carmody schrie: »Seethwright! Holen Sie mich hier raus!«
»Mich auch!« schrie der Preis.
»Mich auch!« rief der hinterhältige Jäger, denn kein anderer war es, der sich hier raffiniert als U-Bahn-Station verkleidet auf die Lauer gelegt hatte, und in dessen offenes Maul Carmody zum zweiten Mal direkt hineinspaziert war.
Nichts passierte. Carmody kam der furchtbare Gedanke, daß Seethwright vielleicht gerade auf der Toilette sein könnte, oder beim Mittagessen oder am Telefonieren. Das blaue Viereck Himmel wurde immer kleiner, während der Eingang sich schloß. Die Gestalten ringsum verloren ihre menschliche Ähnlichkeit. Die Wände bekamen einen purpurnen Schimmer, wallten und bebten und zogen sich zusammen. Die Schiene wickelte sich hungrig um Carmodys Fuß. Im Körper des Jägers begann der Speichel im Überfluß produziert zu werden und lief schmatzend ins Maul. (Carmody-Fresser haben absolut widerwärtige Eßmanieren und sind bei Tisch unerträglich.)