»Ich habe verstanden«, sagte Carmody knapp.
»Dann wissen Sie jetzt also, daß Sie einen Preis erhalten haben, der eigentlich mir zusteht. Ich muß Sie nun fragen, und ich frage Sie auch, ob Sie mir meinen mir rechtmäßig zustehenden Preis aushändigen wollen?«
Carmody, unser Carmody, stand dicht davor, ihm diesen Wunsch zu erfüllen. Er war dieses Abenteuer inzwischen etwas müde geworden und fühlte kein besonders überwältigendes Verlangen mehr, den Preis zu besitzen. Er wollte zurück nach Hause, sich auf die Couch setzen und über alles in Ruhe nachdenken, was geschehen war, er wollte ein Stündchen Schlaf, mehrere Tassen Kaffee und eine Zigarette.
Es wäre ganz nett gewesen, einen solchen Preis zu bekommen, aber es schien mehr Ärger damit verbunden, als die Sache am Ende vielleicht wert war. Carmody schickte sich gerade an, den Preis dem kleineren Carmody auszuhändigen, als er eine gedämpfte Stimme hörte, die ihm zuflüsterte:
»Tu es nicht!«
Carmody sah sich schnell um und mußte erkennen, daß die Stimme aus dem so hübsch eingewickelten Päckchen in seiner Hand kam. Der Preis selbst hatte zu ihm gesprochen.
»Also nun mal zu«, sagte der fremde Carmody. »Ziehen wir es nicht unnötig in die Länge. Ich habe noch anderswo dringende Sachen zu erledigen.«
»Zum Teufel mit ihm«, sagte der Preis zu Carmody. »Ich bin dein Preis, und es gibt absolut keinen Grund, warum du mich wieder hergeben solltest.«
Das warf dann doch ein etwas anderes Licht auf die ganze Angelegenheit. Trotzdem war Carmody drauf und dran, sich von dem Preis zu trennen, denn er wollte nicht auf unbekanntem Territorium in noch unbekanntere Schwierigkeiten kommen. Seine Hand mit dem Preis setzte sich schon in Bewegung, als der andere Carmody sich wieder vernehmen ließ.
»Gib ihn jetzt auf der Stelle her, du gesichtslose Amöbe! Schnell, schnell, und mit einem entschuldigenden Lächeln auf deinem rudimentären Gesicht, oder ich werde gegen dich Kräfte loslassen, die du dir nicht einmal vorzustellen vermagst.«
»Zum Teufel mit Ihnen«, sagte Carmody, unbewußt die Phraseologie des Preises nachahmend.
Der fremde Carmody erkannte sofort, daß er die Sache falsch angegangen war. Er hatte sich den Luxus von Ärger und Spottlust erlaubt - kostbare Emotionen, die er sich sonst nur in der Abgeschiedenheit seiner geräuschisolierten Wohn-Höhle gestattete. In dem er sich so selbst befriedigte, vergab er sich seine Chance auf Selbstbefriedigung. Er gab sich nun Mühe, seinen Fehler wieder gutzumachen.
»Bitte entschuldigen Sie meinen unangemessenen und aufgebrachten Ton«, sagte er zu seinem Rivalen. »Meine Rasse hat eine gewisse Neigung zu exzessiver Selbstdarstellung, die mitunter aggressive Züge annehmen kann. Sie können nichts dafür, daß Sie eine niedrigere Lebensform darstellen. Ich wollte Sie nicht verletzen.«
»Das macht absolut nichts«, versicherte Carmody gnädig.
»Dann geben Sie mir jetzt den Preis?«
»Nein, ich gebe Ihnen den Preis nicht.«
»Aber, mein lieber Herr, es ist mein Preis. Ich habe ihn gewonnen, und es ist nur recht und billig -«
»Der Preis gehört nicht Ihnen«, erklärte Carmody ruhig. »Mein Name wurde von dem ausdrücklich dazu ermächtigten und einzigen entscheidenden Preisrichter ausgewählt, dem Lotterie-Computer. Ein autorisierter Bote brachte mir die Gewinnbenachrichtigung und der offizielle Lotterie-Beamte übergab mir den Preis. Also betrachten alle offiziell damit betrauten Stellen mich als den rechtmäßigen Gewinner; und der Preis selbst sieht es ebenfalls so, wie Sie ja eben gehört haben.«
»Du hast's ihm gegeben, Kid«, bestätigte der Preis.
»Aber bester Herr! Sie selbst haben doch gerade mit angehört, wie der Lotterie-Computer seinen Irrtum eingestanden hat. Deshalb müßten Sie doch nach Ihrer eigenen Logik -«
»Diese Feststellung kann ich so nicht akzeptieren«, unterbrach Carmody. »Der Computer hat seinen Fehlern nicht eingestanden, wie er es bei einem Akt der Nachlässigkeit oder der Vergeßlichkeit getan hätte. Er bekannte sich statt dessen zu seinem Fehler, den er vorsätzlich und mit gutem Grund begangen hat. Sein Fehler war, nach seiner eigenen Aussage, völlig beabsichtigt, sorgfältig geplant und bis ins Letzte durchkalkuliert, begangen aus einem religiösen Motiv heraus, das alle Betroffenen zutiefst respektieren müssen.«
»Der Bursche argumentiert wie ein Borkist«, meinte der kleinere Carmody zu niemandem besonderen. »Wenn man es nicht besser wüßte, müßte man glatt annehmen, daß hier ein intelligenter Verstand an der Arbeit ist, anstelle einer blinden Instinktlogik. Doch ich werde mich auf den betörenden Tenor solcher Entschuldigungen nicht einlassen, sondern ihn mit dem schmetternden Baß meiner unwiderstehlichen Logik übertönen.«
Der fremde Carmody wandte sich an Carmody und erwiderte: »Überlegen Sie: die Maschine beging einen vorsätzlichen Irrtum - das ist die Tatsache, auf der Ihre Argumentation aufgebaut ist. Aber der Irrtum ist nun komplett und erfüllt, nachdem Sie den Preis erhalten haben. Wenn Sie den Preis nun weiter behalten, hieße das, den Fehler durch eine zweite Fehlhandlung zu verdoppeln. Und die Verdoppelung einer frommen Handlung ist bekanntlich nichts anderes als eine verbrecherische Lösterung.«
»Ha!« rief Carmody, der von der Erde, der sich von der Diskussion regelrecht mitreißen ließ. »Um bei Ihrer eigenen Argumentation zu bleiben: Sie betrachten den Tatbestand eines Irrtums bereits als erfüllt, wenn er nur kurzzeitig bestanden hat. Dies ist aber ganz eindeutig so nicht möglich. Ein Irrtum existiert nur durch die Fortwirkung seiner Konsequenzen, die alleine ihm Leben und Bedeutung verleihen. Alles andere ist sinnlos. Ein Irrtum, der sich nicht fortsetzt, kann überhaupt nicht als Irrtum betrachtet werden. Wenn man einen Irrtum korrigiert, so gibt es ihn nicht mehr, ja, es ist als hätte es ihn nie gegeben. Ein inkonsequenter und berichtigter Fehler ist nichts anderes als rein äußerlich vorgetäuschte Frömmigkeit. Ich sage, besser überhaupt keinen Irrtum begehen als einen Akt frömm-lerischer Heuchelei! Und ich sage weiter: Es wäre für mich kein großer Verlust, auf diesen Preis zu verzichten, denn ich weiß nichts über seinen Wert. Aber es wäre ein furchtbarer Verlust für diese fromme Maschine, diesen so skrupelhaft gehorsamen Computer, der während der ganzen letzten fünf Milliarden korrekten Rechenoperationen so treu darauf gewartet hat, die Gelegenheit zu bekommen, seine gottgegebene Fehlerhaftigkeit unter Beweis zu stellen.«
»Hört, hört!« rief der Preis. »Bravo! Hussa! Wohl gesprochen! Völlig korrekt und unmöglich zu widerlegen.«
Carmody verschränkte die Arme und blickte erwartungsvoll auf den recht verunsicherten fremden Carmody. Er war richtig stolz auf sich selbst. Es ist schließlich für einen Mann von der Erde keine Kleinigkeit ohne jede Vorbereitung in irgendein Galactic Center zu kommen. Die höheren Lebensformen, denen man dort begegnet, sind nicht unbedingt intelligenter als Menschen. Intelligenz hat im großen Plan der Dinge keine wesentlich andere Bedeutung als lange Klauen oder kräftige Hufe. Aber Fremdrassen haben ihre ganz besonderen Resour-cen, verbale und andere. Es gibt zum Beispiel bestimmte Rassen, die einem Mann ganz wörtlich den Arm wegreden können und anschließend noch das herumliegende verstümmelte Glied aus der Welt argumentieren. Es ist bekannt, daß Menschen von der Erde angesichts solcher Erlebnisse von tiefen Gefühlen der Minderwertigkeit, Ohnmacht und Unfähigkeit sowie dem Verlust jeder moralischer Wertvorstellung befallen worden sind. Und da diese Gefühle in der Regel völlig zu recht auftraten, ist auch die psychische Wirkung solcher Erlebnisse entsprechend verheerend. Das Endergebnis besteht für den beteiligten Menschen meist, um nicht zu sagen, so gut wie immer, in einem völligen psychomotorischen Zusammenbruch, bei dem nur noch die unbewußten Nervenfunktionen aufrecht erhalten werden. Eine Katatonie dieser Art kann nur durch eine baldige Veränderung der Natur des Universums geheilt werden, die natürlich leider nicht durchführbar ist. Deshalb muß man anerkennen, daß Carmody dank eines ausgesprochen intelligenten und inspirierten Gegenangriffs erfolgreich einer erheblichen psychischen Gefahr entgegengetreten war und sie überwunden hatte.