Stoddart-West sagte verständnisvolclass="underline"
«Ich hatte eine Tante, die immer glaubte, sie würde bankrott gehen, dabei hatte sie Geld wie Heu. Krankhaft, hat der Arzt gesagt. Hast du den Fußball mitgenommen, Alex?»
Nachdem Lucy das Mittagsgeschirr abgeräumt und gespült hatte, ging sie nach draußen. In der Ferne hörte sie die Rufe der Jungen auf dem Rasen. Sie ging in die entgegengesetzte Richtung, die Auffahrt hinunter, und schlug sich dann in ein Rhododendrongebüsch. Sie suchte sorgfältig, bog die Blätter beiseite und spähte ins Dunkel. Sie ging systematisch von Busch zu Busch und harkte mit einem Golfschläger in ihnen herum, als Alexander Eastleys Stimme sie plötzlich auffahren ließ.
«Suchen Sie etwas Bestimmtes, Miss Eyelesbarrow?»
«Einen Golfball», sagte Lucy geistesgegenwärtig. «Mehrere Golfbälle, um genau zu sein. Ich habe ein paar Nachmittage lang meinen Golfschwung geübt und dabei etliche Bälle verloren. Heute habe ich mir gesagt, dass ich sie endlich mal suchen muss.»
«Wir suchen mit», sagte Alexander hilfsbereit.
«Das ist sehr lieb von dir, aber ich dachte, ihr spielt Fußball.»
«Man kann nicht immerzu herumbolzen», erklärte Stoddart-West. «Davon wird einem zu heiß. Spielen Sie viel Golf?»
«Ich spiele sehr gern, aber ich habe nicht oft die Gelegenheit.»
«Das kann ich mir denken. Sie sind hier die Köchin, nicht wahr?»
«Ja.»
«Haben Sie heute das Mittagessen gekocht?»
«Ja. Hat es euch geschmeckt?»
«Das war astrein», sagte Alexander. «In der Penne bekommen wir nur grässliches Fleisch, völlig zäh. Ich mag Rindfleisch, das innen noch rosa und saftig ist. Auch der Sirupkuchen war einfach prima.»
«Ihr solltet mir eure Leibgerichte verraten.»
«Können wir mal Apfelbaisers haben? Die esse ich am allerliebsten.»
«Natürlich.»
Alexander seufzte glücklich.
«Unter der Treppe liegt ein Uhrengolfspiel», sagte er. «Das könnten wir hier auf dem Rasen aufbauen und etwas putten. Was meinst du, Stodders?»
«Pfundig!», sagte Stoddart-West.
«Er ist kein echter Australier», erklärte Alexander höflich. «Aber er übt ihre Redeweise, falls seine Familie ihn nächstes Jahr zum Vergleichsspiel im Cricket mitnimmt.»
Lucy fand, Uhrengolf sei eine gute Idee, und die beiden zogen los, um das Spiel zu holen. Als Lucy später zum Haus zurückkam, bauten sie es auf dem Rasen auf und debattierten, welche Nummer wo hingehörte.
«Wir haben keine Lust, es wie ein Zifferblatt aufzubauen», sagte Stoddart-West. «Das ist doch Kinderkram. Wir wollen eine Bahn haben. Für lange und kurze Schläge. Schade, dass die Zahlen so verrostet sind. Man kann sie kaum erkennen.»
«Sie müssten weiß gestrichen werden», sagte Lucy. «Besorgt euch doch morgen etwas Farbe und malt sie an.»
«Prima Idee.» Alexanders Miene hellte sich auf. «Mensch, ich glaube, in der Großen Scheune stehen noch ein paar alte Farbtöpfe – die haben die Maler in den letzten Ferien dagelassen. Wollen wir mal nachschauen?»
«Was ist die Große Scheune?», fragte Lucy.
Alexander deutete auf einen lang gestreckten Steinbau, der in einiger Entfernung vom Haupthaus nahe der Lieferantenzufahrt lag.
«Das ist ziemlich alt», sagte er. «Großvater nennt es einen Silo und behauptet, er stamme noch aus elisabethanischer Zeit, aber damit gibt er bloß an. Das war eine Scheune von dem Bauernhof, der hier mal gestanden hat. Den hat mein Urgroßvater abgerissen und dafür dieses scheußliche Haus gebaut.»
Nach einer Pause fuhr er fort: «Das meiste von Großvaters Sammlung steht in der Scheune. Der ganze Kram, den er als junger Mann nach Hause geschickt hat. Auch davon ist das meiste ziemlich scheußlich. Heute wird die Große Scheune eigentlich nur noch für Whistturniere und so benutzt. Veranstaltungen vom Women’s Institute. Und Basare der Konservativen. Schauen Sie sie sich doch mal an.»
Lucy kam gerne mit.
Die Scheune hatte eine wuchtige nägelbeschlagene Eichentür.
Alexander nahm einen Schlüssel von einem Nagel, der rechts neben der Tür unter Efeu verborgen war. Er drehte ihn im Schloss herum, stieß die Tür auf, und sie betraten die Scheune.
Auf den ersten Blick fühlte sich Lucy wie in einem umwerfend schlechten Museum. Die Marmorhäupter zweier römischer Imperatoren funkelten sie aus Glotzaugen an, es gab einen großen Sarkophag aus einer gräkoromanischen Verfallsepoche, und eine geziert lächelnde Venus stand auf einem Piedestal und raffte ihre Gewänder. Neben diesen Kunstwerken standen ein paar Tapeziertische, übereinander gestapelte Stühle und allerlei Gerümpeclass="underline" ein rostiger Handmäher, zwei Eimer, mottenzerfressene Autositze und ein grüner Gartenstuhl aus Eisen, dem ein Bein fehlte.
«Ich glaube, die Farbe habe ich dort drüben gesehen», sagte Alexander vage. Er ging in eine Ecke und zog einen verrotteten Vorhang beiseite.
Sie fanden ein paar Farbtöpfe und Pinsel, die letzteren trocken und hart.
«Dann braucht ihr noch Terpentin», sagte Lucy.
Terpentin war jedoch nicht zu finden. Die Jungen schlugen vor, mit dem Fahrrad welches zu besorgen, und Lucy bestärkte sie darin. Sie sagte sich, dass das Streichen der Uhrengolfzahlen die beiden eine Weile beschäftigt halten würde.
Die Jungen gingen, und sie blieb allein in der Scheune zurück.
«Hier müsste dringend mal aufgeräumt werden», hatte sie gemurmelt.
«Das würde ich mir sparen», riet Alexander ihr. «Hier wird sauber gemacht, wenn die Scheune für Veranstaltungen gebraucht wird, aber das ist in dieser Jahreszeit praktisch nie der Fall.»
«Soll ich den Schlüssel dann wieder an den Nagel hängen? Wird er immer dort aufbewahrt?»
«Ja. Hier gibt es nichts zu stibitzen, wie Sie sehen. Diese scheußlichen Marmordinger will niemand haben, und außerdem wiegen sie Tonnen.»
Lucy stimmte ihm zu. Sie konnte den Kunstgeschmack des alten Mr. Crackenthorpe nicht gerade bewundern. Er musste ein unfehlbares Gespür dafür gehabt haben, aus jeder Periode das hässlichste Exemplar auszuwählen.
Nachdem die Jungen verschwunden waren, sah sie sich ein wenig um. Ihr Blick schweifte zum Sarkophag und blieb an ihm hängen.
Dieser Sarkophag…
Die Luft in der Scheune war etwas modrig, als wäre lange nicht gelüftet worden. Lucy ging zum Sarkophag hinüber. Er hatte einen schweren, dicht schließenden Deckel. Lucy sah ihn grübelnd an.
Sie verließ die Scheune, ging in die Küche, holte ein schweres Brecheisen und kehrte zurück.
Es war Knochenarbeit, aber Lucy gab nicht auf.
Langsam hob sich der Deckel, vom Brecheisen hochgestemmt.
Er hob sich weit genug, dass Lucy sehen konnte, was sich in dem Sarkophag befand…
Sechstes Kapitel
Wenige Minuten darauf verließ eine bleiche Lucy die Scheune, schloss ab und hängte den Schlüssel an den Nagel zurück.
Sie eilte zu den Ställen, stieg ins Auto und fuhr die Lieferantenzufahrt hinab. Dann hielt sie vor dem Postamt unten an der Straße, trat in die Telefonzelle, warf Geld ein und wählte.
«Ich möchte Miss Marple sprechen.»
«Sie hat sich hingelegt, Miss. Sie sind Miss Eyelesbarrow, nicht wahr?»
«Ja.»
«Ich werde sie nicht stören und damit hat sich’s, Miss. Sie ist eine alte Dame, und sie braucht ihren Schlaf.»
«Bitte wecken Sie sie. Es ist dringend.»
«Ich werde sie nicht –»
«Bitte tun Sie unverzüglich, was ich Ihnen sage.»