«Hat das alles vor sich hingebrutzelt, während wir bei der gerichtlichen Untersuchung waren? Wenn das nun alles verbrannt wäre?»
«Sehr unwahrscheinlich. Der Herd lässt sich regulieren.»
«Eine Art elektrisches Gehirn, was?»
Lucy warf ihm einen kurzen Blick zu.
«Genau. Jetzt schieben Sie das Blech wieder in den Ofen. Hier, nehmen Sie den Topflappen. Die zweitunterste Einschubleiste – die oberste brauche ich für den Yorkshire Pudding.»
Bryan gehorchte, schrie aber kurz auf.
«Haben Sie sich verbrannt?»
«Nur ein bisschen. Ist nicht schlimm. Kochen ist ja ein richtig gefährliches Spiel.»
«Ich nehme an, Sie haben noch nie selber gekocht.»
«Eigentlich doch – sogar oft. Aber so etwas noch nie. Ich kann mir ein Ei kochen – wenn ich nicht vergesse, auf die Uhr zu sehen. Und ich kann Spiegeleier und Speck machen. Und ich kann ein Steak unter den Grill legen oder eine Suppendose aufmachen. Ich habe in meiner Wohnung eins von diesen kleinen elektrischen Dingsdas…»
«Sie leben in London?»
«Wenn Sie das Leben nennen – ja.»
Er klang bedrückt. Er sah zu, wie Lucy die Eiermischung in die Pfanne goss.
«Das macht ja mächtig Spaß», sagte er seufzend.
Als ihre Arbeit fürs Erste getan war, fand Lucy Zeit, ihn genauer anzuschauen.
«Was? Das Kochen?»
«Ja. Erinnert mich an das Kochen bei uns daheim – in meiner Kindheit.»
Lucy fiel auf, dass Bryan Eastley etwas merkwürdig Verlorenes und Verlassenes hatte. Als sie ihn eingehender in Augenschein nahm, sah sie, dass er älter war, als sie zunächst gedacht hatte. Er musste auf die vierzig zugehen. Es war schwer, sich ihn als Alexanders Vater vorzustellen. Er erinnerte sie an unzählige junge Piloten, die sie im Krieg kennen gelernt hatte, als sie erst leicht zu beeindruckende vierzehn Jahre alt gewesen war. Sie hatte sich weiterentwickelt und war in der Nachkriegswelt groß geworden – aber sie hatte das Gefühl, Bryan habe sich nicht weiterentwickelt, sondern sei von der seither verstrichenen Zeit überholt worden. Sein nächster Satz bestätigte das. Er hatte sich wieder auf dem Küchentisch niedergelassen.
«Wir leben in einer unübersichtlichen Welt», sagte er, «finden Sie nicht auch? Ich meine, es ist schwierig, sich in ihr zurechtzufinden. Man ist darauf einfach nicht vorbereitet worden.»
Lucy dachte an Emmas Erzählungen.
«Sie waren Jagdflieger, nicht wahr?», sagte sie. «Sie haben das Fliegerkreuz bekommen.»
«Und genau das wird Ihnen zum Klotz am Bein. Sie laufen mit Lametta an der Brust herum, also versuchen die Leute, es Ihnen leicht zu machen. Verschaffen Ihnen eine Stelle und so. Hoch anständig von ihnen. Aber das ist etwas für Federfuchser, und darauf verstehen Sie sich einfach nicht. Sie sitzen an einem Tisch und verstricken sich in Zahlenkolonnen. Ich hatte so meine eigenen Ideen, hatte mir ein paar Sachen einfallen lassen. Aber Sie bekommen keine Unterstützung. Können niemanden dazu bringen, Ihnen das Geld vorzustrecken. Wenn ich ein bisschen Kapital hätte –»
Er geriet ins Brüten.
«Sie haben Edie nicht kennen gelernt, oder? Meine Frau? Nein, natürlich nicht. Sie war anders als ihre ganzen Geschwister. Vor allen Dingen jünger. Sie war Luftwaffenhelferin. Hat immer gesagt, ihr alter Herr sei übergeschnappt. Ist er übrigens auch. Ein unglaublicher Knickstiefel. Aber das letzte Hemd hat keine Taschen. Wenn er stirbt, muss das Geld sowieso aufgeteilt werden. Edies Anteil geht natürlich an Alexander. Aber er kommt erst mit einundzwanzig an das Kapital heran.»
«Entschuldigung, aber können Sie bitte wieder aufstehen. Ich möchte anrichten und die Bratensauce zubereiten.»
In diesem Augenblick kamen Alexander und Stoddart-West außer Atem und mit erhitzten Gesichtern herein.
«Hallo Bryan», sagte Alexander freundlich zu seinem Vater. «Hier hast du dich also versteckt. Mann, das ist ja ein klasse Braten. Gibt es Yorkshire Pudding dazu?»
«Na klar.»
«In der Penne gibt es nur grauslichen Yorkshire Pudding – ganz feucht und klitschig.»
«Aus dem Weg», sagte Lucy. «Ich muss Sauce machen.»
«Machen Sie viel Sauce. Können wir zwei Saucieren voll haben?»
«Ja.»
«Pfundig», sagte Stoddart-West deutlich artikuliert.
«Blass mag ich sie aber nicht», sagte Alexander ängstlich.
«Die bräunt noch.»
«Sie ist eine klasse Köchin», sagte Alexander zu seinem Vater.
Lucy hatte den Eindruck eines Rollentauschs. Alexander sprach wie ein gütiger Vater zu seinem Sohn.
«Können wir Ihnen helfen, Miss Eyelesbarrow?», fragte Stoddart-West höflich.
«Ja, gern. Alexander, geh raus und schlag den Gong. James, würdest du dieses Tablett in den Speisesaal bringen? Und nehmen Sie den Braten, Mr. Eastley? Ich komme dann mit den Kartoffeln und dem Yorkshire Pudding nach.»
«Da draußen ist noch ein Mann von Scotland Yard», sagte Alexander. «Glauben Sie, der isst mit uns zu Mittag?»
«Das hängt davon ab, wie deine Tante mit ihm verblieben ist.»
«Ich glaube, Tante Emma würde es nichts ausmachen… Sie ist sehr gastfreundlich. Aber Onkel Harold wäre wahrscheinlich dagegen. Dem liegt der Mord schwer im Magen.» Alexander balancierte das Tablett durch die Tür und warf über die Schulter zurück: «Im Moment ist Mr. Wimborne in der Bibliothek bei dem Mann von Scotland Yard. Aber Mr. Wimborne bleibt nicht zum Essen. Er hat gesagt, er muss nach London zurück. Komm, Stodders. Ach, der ist schon am Gong.»
Der Gong hatte das Kommando übernommen. Stoddart-West war ein Künstler. Er gongte mit aller Kraft und unterband jede weitere Konversation.
Bryan trug den Braten, Lucy folgte mit dem Gemüse und ging noch einmal in die Küche zurück, um die beiden randvollen Saucieren zu holen.
Mr. Wimborne stand in der Halle und zog seine Handschuhe an, als Emma die Treppe herabgeeilt kam.
«Wollen Sie wirklich nicht zum Mittagessen bleiben, Mr. Wimborne? Es ist alles bereit.»
«Bedaure, ich muss in dringenden Dingen nach London zurück. Der Zug hat einen Speisewagen.»
«Es war sehr freundlich von Ihnen zu kommen», sagte Emma dankbar.
Die beiden Polizeibeamten kamen aus der Bibliothek.
Mr. Wimborne ergriff Emmas Hand.
«Machen Sie sich keine Sorgen, meine Liebe», sagte er. «Das hier ist Detective-Inspector Craddock vom New Scotland Yard, der die Ermittlungsarbeiten übernommen hat. Er wird Ihnen ab Viertel nach zwei einige Fragen stellen, deren Antworten ihm bei der Untersuchung weiterhelfen können. Aber wie gesagt, es besteht überhaupt kein Grund zur Sorge.» Er sah Craddock an. «Ich nehme an, ich kann Ihre Informationen Miss Crackenthorpe gegenüber wiederholen?»
«Gewiss, Sir.»
«Inspector Craddock hat mich darüber in Kenntnis gesetzt, dass es sich höchstwahrscheinlich nicht um ein Lokaldelikt handelt. Es wird angenommen, dass die Ermordete aus London kam und eine Ausländerin war.»
Emma Crackenthorpe sagte scharf:
«Eine Ausländerin. War sie Französin?»
Mr. Wimborne hatte sie mit seiner Bemerkung trösten wollen und wirkte erstaunt. Dermot Craddock blickte Emma forschend an.
Er fragte sich, wie sie darauf kam, die Ermordete könne Französin gewesen sein, und warum diese Vorstellung sie zu beunruhigen schien.
Neuntes Kapitel
Die Einzigen, die Lucys köstliches Mittagessen zu würdigen wussten, waren die beiden Jungen und Cedric Crackenthorpe, der von den Umständen, die ihn nach England zurückgebracht hatten, vollkommen unbeeindruckt zu sein schien. Für ihn war die ganze Angelegenheit offenbar ein guter Witz, wenn auch von etwas makabrer Natur.