«Sie werden Erfolg haben, da bin ich sicher.»
«Haben Sie irgendwelche Tipps? Weitere geniale Intuitionen?»
«Ich dachte in Richtung von Theatergruppen», vermutete Miss Marple. «Die geben überall Gastspiele und haben keine festen Bindungen. So eine junge Frau würde weit weniger vermisst.»
«Stimmt. Auf den Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen. Wir werden dem nachgehen.» Dann fragte er noch: «Warum lachen Sie?»
«Ich stelle mir gerade Elspeth McGillicuddys Gesicht vor», sagte Miss Marple, «wenn sie erfährt, dass wir die Leiche gefunden haben.»
«Also!», sagte Mrs. McGillicuddy. «Also, das…»
Es verschlug ihr die Sprache. Sie betrachtete erst den redegewandten netten jungen Mann, der ihr mit offiziellen Referenzen seine Aufwartung gemacht hatte, dann die Fotografien, die er ihr gegeben hatte.
«Das ist sie», sagte sie. «Ja, das ist sie. Das arme Ding. Aber ich bin ehrlich froh, dass Sie ihre Leiche gefunden haben. Mir wollte ja niemand ein Wort glauben! Weder die Polizei noch das Bahnpersonal oder sonst jemand. Es ist äußerst verdrießlich, wenn einem niemand glaubt. Jedenfalls kann mir niemand vorwerfen, ich hätte nicht alles getan, was ich konnte.»
Der nette junge Mann murmelte mitfühlend und verständnisvoll.
«Wo, sagten Sie noch gleich, wurde die Leiche gefunden?»
«In der Scheune eines Landsitzes namens Rutherford Hall, kurz vor Brackhampton.»
«Nie gehört. Ich wüsste bloß gern, wie sie da hingekommen ist.»
Das konnte ihr der junge Mann auch nicht sagen.
«Ich nehme an, Jane Marple hat sie gefunden. Auf sie kann man sich verlassen.»
Der junge Mann zog seine Unterlagen zu Rate und sagte: «Die Leiche wurde von einer Miss Lucy Eyelesbarrow gefunden.»
«Auch noch nie gehört», sagte Mrs. McGillicuddy. «Trotzdem glaube ich, dass Jane Marple ihre Finger im Spiel hatte.»
«Noch einmal zum Wichtigsten, Mrs. McGillicuddy: Sie können dieses Bild eindeutig als das der Frau identifizieren, die Sie in einem Zug gesehen haben.»
«Wo sie von einem Mann erdrosselt wurde. Ja, das kann ich.»
«Können Sie uns diesen Mann beschreiben?»
«Er war sehr groß», sagte Mrs. McGillicuddy.
«Und?»
«Und dunkel.»
«Und?»
«Mehr kann ich Ihnen nicht sagen», sagte Mrs. McGillicuddy. «Er stand mit dem Rücken zu mir. Sein Gesicht konnte ich nicht sehen.»
«Würden Sie ihn wieder erkennen, wenn Sie ihn sähen?»
«Natürlich nicht! Er kehrte mir doch den Rücken zu. Ich konnte sein Gesicht gar nicht sehen.»
«Können Sie schätzen, wie alt er war?»
Mrs. McGillicuddy überlegte.
«Nein – kaum. Ich meine, ich weiß, nicht… Ich bin ziemlich sicher, dass er… nicht mehr ganz jung war. Seine Schultern wirkten – na ja, gesetzt, wenn Sie verstehen, was ich meine.» Der junge Mann nickte. «Dreißig oder älter, genauer kann ich es Ihnen nicht sagen. Ich muss gestehen, dass ich ihn kaum angesehen habe. Nur sie – mit den Händen um den Hals, und ihr Gesicht – ganz blau angelaufen… manchmal träume ich noch heute davon…»
«Es muss erschütternd gewesen sein», sagte der junge Mann voller Anteilnahme.
Er klappte sein Notizbuch zu und sagte:
«Wann kehren Sie nach England zurück?»
«Erst in drei Wochen. Ich werde doch vorher nicht gebraucht, oder?»
Er konnte sie sofort beruhigen.
«Aber nein. Im Augenblick können Sie gar nichts tun. Sollten wir jedoch jemanden festnehmen…»
Er ließ die Bemerkung im Raum stehen.
In der Post lag ein Brief von Miss Marple an ihre Freundin. Die Handschrift war steil und krakelig, und viele Wörter waren unterstrichen. Dank ihrer langen Übung konnte Mrs. McGillicuddy den Brief ohne weiteres entziffern. Miss Marple schrieb ihr ausführlich, und Mrs. McGillicuddy verschlang jedes Wort voller Genuss.
Jane und sie hatten es ihnen gezeigt!
Elftes Kapitel
«Ich werde einfach nicht schlau aus Ihnen», sagte Cedric Crackenthorpe.
Er lehnte sich an die morsche Mauer eines lange aufgegebenen Schweinestalls und musterte Lucy Eyelesbarrow.
«Woraus werden Sie nicht schlau?»
«Was Sie hier eigentlich machen.»
«Ich verdiene meinen Lebensunterhalt.»
«Als Perle?» Die Geringschätzung war ihm anzuhören.
«Wo leben Sie denn?», sagte Lucy. «Perle, ich muss doch sehr bitten! Ich bin Wirtschafterin, eine professionelle Hausangestellte oder ein Geschenk des Himmels, meistens Letzteres.»
«Aber Sie können doch unmöglich alles das mögen, was Sie hier zu tun haben – Kochen, Bettenmachen, mit einem Saugstauber oder wie das heißt herumsurren und Ihre Arme bis zu den Ellenbogen im Spülwasser versenken.»
Lucy lachte.
«Ich mag vielleicht nicht jede Einzelheit, aber beim Kochen kann ich meine Kreativität ausleben, und ich habe meine helle Freude daran, ein Chaos aufzuräumen.»
«Ich lebe ständig in einem Chaos», sagte Cedric. «Und zwar gern», setzte er trotzig hinzu.
«Das sieht man Ihnen an.»
«Meine Finca auf Ibiza wird nach einfachen Grundsätzen geführt. Drei Teller, zwei Tassen und Untertassen, ein Bett, ein Tisch und ein paar Stühle. Überall sind Staub, Farbkleckse und Steinsplitter – ich bin Bildhauer und Maler – und von all dem haben die Leute die Finger zu lassen. Eine Frau hat da nichts zu suchen.»
«In gar keiner Eigenschaft?»
«Was wollen Sie damit sagen?»
«Ich hatte angenommen, ein Künstler wie Sie hätte auch eine Art Liebesleben.»
«Mein Liebesleben, wie Sie das nennen, tut nichts zur Sache», sagte Cedric würdevoll. «Aber herrschsüchtige Frauen mit so einem störenden Putzfimmel kann ich nicht haben.»
«Ich würde mich zu gern mal über Ihre Finca hermachen», sagte Lucy. «Das wäre eine echte Herausforderung!»
«Die Gelegenheit bekommen Sie nie!»
«Das fürchte ich auch.»
Ein paar Backsteine fielen aus dem Schweinestall. Cedric wandte sich um und sah in seine brennnesselüberwucherten Tiefen.
«Die gute alte Madge», sagte er. «An die kann ich mich noch so gut erinnern. Eine Sau von richtig liebenswertem Wesen und eine produktive Mutter. Beim letzten Wurf siebzehn Ferkel, das weiß ich noch. An schönen Nachmittagen sind wir immer hergekommen und haben Madge mit einem Stock den Rücken gekratzt. Das hatte sie unheimlich gern.»
«Warum hat man das ganze Anwesen eigentlich so verfallen lassen? Das kann doch nicht nur am Krieg gelegen haben.»
«Das möchten Sie wohl auch gern aufräumen, was? Dass Sie sich aber auch überall einmischen müssen. Mir ist jetzt klar, dass die Leiche einfach von jemandem wie Ihnen entdeckt werden musste! Nicht einmal einen gräkoromanischen Sarkophag können Sie in Ruhe lassen.» Er schwieg kurz und beantwortete dann ihre Frage: «Nein, es liegt nicht nur am Krieg. Es liegt an meinem Vater. Was halten Sie eigentlich von dem?»
«Ich hatte noch keine Zeit, mir ein Bild von ihm zu machen.»
«Weichen Sie nicht aus. Er ist der größte Geizkragen unter der Sonne, und ich persönlich glaube ja, dass er auch nicht alle Tassen im Schrank hat. Natürlich hasst er uns alle – außer Emma vielleicht. Und alles nur wegen Großvaters Testament.»
Lucy sah ihn fragend an.
«Mein Großvater hat sich dumm und dämlich verdient. Mit Crunchies und Cracker Jacks und Cosy Crisps. All dem Teekonfekt, und da er ein weitsichtiger Mann war, hat er rechtzeitig auf Käsegebäck und Canapés umgestellt, so dass wir heute auch bei Cocktailpartys Reibach machen. Na ja, irgendwann gab mein Vater zu verstehen, dass er nach Höherem als Crunchies strebe. Er reiste durch Italien, den Balkan und Griechenland und dilettierte als Kunstliebhaber. Das fuchste meinen Großvater. Er kam zu dem Urteil, mein Vater sei kein Geschäftsmann und habe keinen Kunstverstand (beides völlig richtig), und vermachte sein ganzes Vermögen treuhänderisch seinen Enkelkindern. Vater empfängt lebenslänglich die Zinsen, kommt aber nicht an das Kapital heran. Wissen Sie, was er daraufhin gemacht hat? Er hat aufgehört, Geld auszugeben. Ist hierher gezogen und hat angefangen zu sparen. Inzwischen müsste er ähnlich viel auf der hohen Kante haben wie mein Großvater am Ende seines Lebens. Aber Harold, ich, Alfred und Emma kommen an keinen einzigen Penny von Großvaters Geld heran. Ich bin ein abgebrannter Maler. Harold ist Geschäftsmann geworden und inzwischen ein hohes Tier in der City – er hat das Händchen für Finanzen, obwohl ich gehört habe, dass auch ihm im Moment das Wasser bis zum Hals steht. Und Alfred – also Alfred wird im Familienkreis immer Heiducken-Alf genannt –»