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Während Mr. Craddock die Verabschiedung noch höflich zurückgab, wurde ihm eine Notiz auf den Schreibtisch gelegt. Sie lautete:

Miss Emma Crackenthorpe.

Möchte Detective-Inspector Craddock sprechen.

Fall Rutherford Hall.

Craddock legte auf und sagte zum Constable:

«Ich lasse bitten.»

Beim Warten lehnte er sich zurück und dachte nach.

Er hatte sich also nicht geirrt – Emma Crackenthorpe wusste doch etwas – vielleicht nicht viel, aber besser als nichts. Und sie hatte beschlossen, es ihm zu sagen.

Als sie hereingeführt wurde, erhob er sich, reichte ihr die Hand, bot ihr einen Stuhl an und eine Zigarette, die sie jedoch ablehnte. Dann entstand eine kurze Pause. Er nahm an, dass sie nach den richtigen Worten suchte, und beugte sich vor.

«Sie möchten mir etwas sagen, Miss Crackenthorpe? Kann ich Ihnen behilflich sein? Sie haben sich wegen irgendetwas Sorgen gemacht, nicht wahr? Vielleicht nur eine Kleinigkeit, die vermutlich nicht mit dem Fall zusammenhängt, eventuell aber doch. Und darüber möchten Sie mit mir reden, nicht wahr? Hat es zufällig mit der Identität der Toten zu tun? Glauben Sie zu wissen, wer sie sein könnte?»

«Nein, nicht ganz. Ich halte es für fast ausgeschlossen. Aber –»

«Aber die Möglichkeit besteht, und das macht Ihnen zu schaffen. Erzählen Sie mir ruhig davon – vielleicht können wir Sie sofort beruhigen.»

Emma zögerte, gab sich dann einen Ruck und sagte: «Mit dreien meiner Brüder haben Sie gesprochen. Ich hatte einen vierten Bruder, Edmund, der im Krieg gefallen ist. Kurz vor seinem Tod schrieb er mir aus Frankreich einen Brief.»

Sie öffnete ihre Handtasche, holte einen zerlesenen und vergilbten Brief heraus und las einen Abschnitt daraus vor:

«Ich hoffe, es versetzt dir keinen Schock, Emmie, aber ich werde heiraten – eine Französin. Es kommt alles sehr plötzlich, aber ich weiß, dass du Martine mögen – und dich um sie kümmern wirst, falls mir etwas zustößt. Alles weitere schreibe ich dir im nächsten Brief – und dann werde ich ein verheirateter Mann sein. Bring es dem alten Herrn schonend bei, ja? Er wird wahrscheinlich in die Luft gehen.» Inspector Craddock streckte die Hand aus. Emma zögerte, gab ihm dann aber den Brief. Hastig sprach sie weiter:

«Zwei Tage nach Empfang dieses Briefs bekamen wir ein Telegramm, in dem es hieß, Edmund sei vermisst, vermutlich gefallen. Später wurde sein Tod bestätigt. Das war kurz vor Dünkirchen – als in Frankreich ein einziges Chaos herrschte. Soweit ich in Erfahrung bringen konnte, gab es bei den zuständigen Heeresstellen keine Unterlagen über seine Heirat – aber wie gesagt, es war eine chaotische Zeit. Ich habe von dem Mädchen nie etwas gehört. Nach dem Krieg habe ich Nachforschungen angestellt, aber ich kannte ja nur ihren Vornamen. Der fragliche Teil Frankreichs war von den Deutschen besetzt gewesen, und es war schwierig, überhaupt etwas herauszufinden, ohne den Nachnamen des Mädchens oder sonst etwas über sie zu wissen. Schließlich ging ich davon aus, die Ehe sei wohl nie geschlossen worden und das Mädchen habe vermutlich noch vor Kriegsende einen anderen Mann geheiratet oder sei selbst ums Leben gekommen.» Inspector Craddock nickte. Emma fuhr fort. «Stellen Sie sich meine Überraschung vor, als ich vor etwa einem Monat einen Brief mit der Unterschrift Martine Crackenthorpe bekam.»

«Haben Sie ihn dabei?»

Emma nahm ihn aus der Handtasche und reichte ihn dem Inspector. Craddock las ihn gespannt. Die Handschrift war schwungvoll – die Handschrift einer gebildeten Französin.

«Liebe Mademoiselle,

dieser Brief versetzt Ihnen hoffentlich keinen Schock. Ich weiß nicht einmal, ob Ihr Bruder Edmund Ihnen von unserer Heirat erzählt hat. Er hatte es vor. Er ist nur wenige Tage nach unserer Trauung gefallen, und zur selben Zeit besetzten die Deutschen unser Dorf. Nach Kriegsende beschloss ich, Ihnen weder zu schreiben noch auf andere Weise an Sie heranzutreten, obwohl Edmund mir dies geraten hatte. Aber da hatte ich mir schon ein neues Leben aufgebaut, und es erschien mir nicht notwendig. Doch die Zeiten haben sich geändert. Ich schreibe diesen Brief um meines Sohnes willen. Er ist der Sohn Ihres Bruders, und ich – ich kann ihm nicht mehr das Leben bieten, das er verdient hat. Ich komme Anfang nächster Woche nach England. Würden Sie mich wohl wissen lassen, ob ich Sie besuchen darf? Sie erreichen mich brieflich in 126 Elvers Crescent, Nr. 10. Ich hoffe inständig, Ihnen keinen zu großen Schock zu versetzen.

Ich versichere Sie meiner vorzüglichsten Hochachtung,

Martine Crackenthorpe»

Craddock schwieg einen Augenblick und las den Brief noch einmal aufmerksam durch, bevor er ihn zurückgab.

«Was haben Sie nach Erhalt dieses Briefs getan, Miss Crackenthorpe?»

«Mein Schwager Bryan Eastley war zu der Zeit zufällig bei uns, und ich habe mich mit ihm darüber unterhalten. Dann habe ich meinen Bruder Harold in London angerufen und gefragt, was seiner Meinung nach zu tun sei. Harold stand der ganzen Sache sehr skeptisch gegenüber und riet mir zu äußerster Vorsicht. Er meinte, wir müssten uns die Personalien dieser Frau sehr genau anschauen.»

Emma schwieg kurz und sagte dann:

«Das war natürlich ein Gebot der Vernunft, und ich war ganz seiner Meinung. Aber wenn dieses Mädchen – oder diese Frau – wirklich jene Martine war, die Edmund in seinem Brief erwähnt hatte, dann mussten wir sie willkommen heißen, fand ich. Ich schrieb also an die angegebene Adresse und lud sie nach Rutherford Hall ein, damit wir uns kennen lernen könnten. Einige Tage darauf erhielt ich ein Telegramm aus London: ‹Leider unerwartet gezwungen, nach Frankreich zurückzukehren. Martine.› Seitdem haben wir nichts mehr von ihr gehört.»

«Und das alles geschah – wann?»

Emma runzelte die Stirn.

«Kurz vor Weihnachten. Das weiß ich noch, weil ich ihr vorschlagen wollte, Weihnachten bei uns zu verbringen. Mein Vater wollte nichts davon wissen, daher schlug ich ihr das Wochenende nach Weihnachten vor, wenn meine Geschwister noch hier wären. Ich glaube, ihr Telegramm traf ein paar Tage vor Weihnachten ein.»

«Und Sie glauben, die Frau, deren Leiche im Sarkophag gefunden wurde, könnte diese Martine sein?»

«Nein, ich glaube es nicht. Aber als Sie sagten, sie sei möglicherweise Ausländerin – na ja, da habe ich mich einfach gefragt… ob sie vielleicht…»

Ihre Stimme erstarb.

Craddock beruhigte sie schnell.

«Es war völlig richtig von Ihnen, mir das zu erzählen. Wir werden dem nachgehen. Ich glaube, bis auf weiteres dürfen wir davon ausgehen, dass die Frau, die Ihnen schrieb, tatsächlich nach Frankreich zurückgekehrt und wohlauf ist. Andererseits ist das Zusammentreffen der beiden Ereignisse in der Tat seltsam, wie Sie selbst scharfsinnig erkannt haben. Wie Sie bei der gerichtlichen Untersuchung gehört haben, ist die Frau nach dem Befund des Pathologen vor drei bis vier Wochen gestorben. Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Crackenthorpe, und überlassen Sie uns alles Weitere.» Dann sagte er noch: «Sie haben Mr. Harald Crackenthorpe um Rat gebeten. Was ist mit Ihrem Vater und Ihren anderen Brüdern?»