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«Meinem Vater musste ich natürlich davon erzählen. Er wurde fuchsteufelswild», sie lächelte müde. «Er war überzeugt davon, das Ganze sei eine abgekartete Sache, und man hätte es nur auf unser Geld abgesehen. Mein Vater regt sich leicht auf, wenn es um Geld geht. Er glaubt oder redet sich ein, er sei ein armer Mann und müsse an allen Ecken und Enden sparen. Ich glaube, alte Menschen entwickeln manchmal solche Zwangsvorstellungen. Es stimmt natürlich nicht, er hat große Einkünfte und verbraucht kaum ein Viertel davon – oder tat das nicht vor Erhöhung der Einkommensteuer. Er hat bestimmt sehr viel Geld auf die Seite gelegt.» Sie verstummte wieder und setzte dann neu an: «Ich habe auch meinen anderen beiden Brüdern davon erzählt. Alfred hat es mit Humor aufgenommen, aber auch er ging von einer Hochstaplerin aus. Cedric ließ das alles kalt – er neigt zum Egoismus. Wir beschlossen, die Familie solle Martine empfangen, aber auch unser Anwalt Mr. Wimborne solle an dem Treffen teilnehmen.»

«Was hielt Mr. Wimborne von dem Brief?»

«Wir haben die Angelegenheit gar nicht mehr mit ihm beraten. Wir wollten ihn gerade ansprechen, als Martines Telegramm kam.»

«Danach haben Sie nichts mehr unternommen?»

«Doch. Ich habe einen Brief an die Londoner Adresse geschickt und Bitte nachsenden auf den Umschlag geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen.»

«Sehr merkwürdig, das alles… hm…»

Craddock sah Emma durchdringend an.

«Was halten Sie selbst davon?»

«Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.»

«Wie haben Sie reagiert, als der Brief kam? Haben Sie ihn für echt gehalten – oder waren Sie derselben Meinung wie Ihr Vater und Ihre Brüder? Und was war mit Ihrem Schwager, wie reagierte der darauf?»

«Oh, Bryan hat den Brief für echt gehalten.»

«Und Sie?»

«Ich – war mir nicht sicher.»

«Und was fühlten Sie bei dem Gedanken, dass dieses Mädchen wirklich die Witwe Ihres Bruders Edmund sein könnte?»

Emmas Miene wurde milder.

«Ich hatte Edmund sehr gern. Er war mein Lieblingsbruder. Ich fand, es war genau der Brief, den ein Mädchen wie Martine unter diesen Umständen schreiben würde. Ihre Schilderung der damaligen Ereignisse war durchaus plausibel. Ich nahm an, nach Kriegsende hätte sie entweder wieder geheiratet oder wäre mit einem Mann zusammen gewesen, der sie und das Kind versorgt hatte. Dieser Mann war dann vielleicht gestorben oder hatte sie verlassen, woraufhin es ihr nur natürlich vorgekommen war, sich an Edmunds Familie zu wenden – was ja auch sein Wunsch gewesen war. Der Brief kam mir echt und natürlich vor – aber dann meinte Harold nur, wenn er von einer Betrügerin stamme, dann hätte diese Martine natürlich gekannt, wäre über alles informiert und hätte also einen rundum plausiblen Brief schreiben können. Ich musste zugeben, dass er damit Recht hatte – aber trotzdem…»

Sie verstummte.

«Sie wollten, dass er wahr war», sagte Craddock leise.

Sie sah ihn dankbar an.

«Ja, das wollte ich. Ich wäre so froh, wenn Edmund einen Sohn hinterlassen hätte.»

Craddock nickte.

«Der Brief sieht, ganz wie Sie sagen, auf den ersten Blick echt aus. Seltsam ist nur das weitere Geschehen; Martine Crackenthorpes überstürzte Abreise nach Paris und die Tatsache, dass Sie seither nichts mehr von ihr gehört haben. Sie hatten ihr freundlich geantwortet und wollten sie willkommen heißen. Selbst wenn sie nach Frankreich zurückkehren musste, warum hat sie Ihnen nicht mehr geschrieben? Immer angenommen, sie war die echte Martine. Bei einer Betrügerin wäre alles ganz einfach zu erklären. Ich dachte, Sie hätten vielleicht Mr. Wimborne hinzugezogen, und er hätte Nachforschungen in die Wege geleitet, die die Frau gewarnt hätten. Dem ist aber nicht so, sagen Sie. Trotzdem wäre möglich, dass einer Ihrer Brüder etwas Derartiges getan hat. Möglicherweise hatte diese Martine einen Hintergrund, der Nachforschungen nicht standgehalten hätte. Sie könnte davon ausgegangen sein, sie hätte es nur mit Edmunds liebevoller Schwester zu tun, nicht mit nüchternen und vorsichtigen Geschäftsleuten. Vielleicht hat sie gehofft, sie könnte ohne viel Fragen Ihrerseits Geld für das Kind aus Ihnen herausholen (wohl kaum mehr ein Kind; das müsste heute fünfzehn bis sechzehn Jahre alt sein). Stattdessen stieß sie auf Schwierigkeiten ganz anderer Art. Ich könnte mir denken, dass sich Rechtsfragen von einiger Tragweite gestellt hätten. Wenn Edmund Crackenthorpe einen ehelichen Sohn hinterlassen hätte, dann wäre der ein Miterbe Ihres großväterlichen Vermögens, oder?»

Emma nickte.

«Und nach allem, was ich gehört habe, würde er eines Tages Rutherford Hall mitsamt dem Grundstück erben – heute wahrscheinlich wertvolles Bauland.»

Emma wurde unruhig.

«Ja, daran hatte ich gar nicht gedacht.»

«Na, machen Sie sich keine Sorgen», sagte Inspector Craddock. «Sie haben das einzig Richtige getan und es mir erzählt. Ich werde die erforderlichen Untersuchungen veranlassen, aber ich halte eine Verbindung zwischen der Briefschreiberin (die sich vermutlich auf illegale Weise bereichern wollte) und der Frauenleiche im Sarkophag für sehr unwahrscheinlich.»

Emma seufzte erleichtert und erhob sich.

«Ich bin so froh, dass ich es Ihnen erzählt habe. Vielen Dank.»

Craddock brachte sie zur Tür.

Dann klingelte er nach Detective-Sergeant Wetherall.

«Bob, ich habe Arbeit für Sie. Fahren Sie zum 126 Elvers Crescent Nr. 10. Nehmen Sie Fotos von der Frau aus Rutherford Hall mit, und versuchen Sie, etwas über eine Frau namens Crackenthorpe in Erfahrung zu bringen – Mrs. Martine Crackenthorpe, die entweder dort gewohnt oder Briefe dorthin hat zustellen lassen, sagen wir, in der zweiten Dezemberhälfte.»

«Geht klar, Sir.»

Craddock widmete sich anderen Arbeiten auf dem Schreibtisch. Am Nachmittag ging er zu einem befreundeten Theateragenten, hatte mit seinen Fragen aber keinen Erfolg.

Am frühen Abend kehrte er noch einmal ins Büro zurück und fand auf dem Schreibtisch ein Telegramm aus Paris vor.

«Angaben Ihrerseits könnten auf Anna Strawinska vom Ballet Maritski zutreffen. Empfehle Ihren Besuch vor Ort. Dessin, Präfektur.»

Craddock atmete hörbar auf, und seine Stirn glättete sich.

Endlich! So viel zur Martine-Crackenthorpe-Fährte, dachte er… Er beschloss, mit der Nachtfähre nach Frankreich überzusetzen.

Dreizehntes Kapitel

I

«Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen, mich zum Tee einzuladen», sagte Miss Marple zu Emma Crackenthorpe.

Miss Marple sah noch verwirrter und verhuschter aus als sonst – der Inbegriff einer reizenden alten Dame. Sie sah sich strahlend um – betrachtete Harold Crackenthorpe in seinem maßgeschneiderten dunklen Anzug, Alfred, der ihr mit gewinnendem Lächeln Sandwiches reichte, und Cedric, der in einer abgerissenen Tweedjacke am Kamin lehnte und den Rest der Familie mit finsteren Blicken bedachte.

«Wir sind hocherfreut, dass Sie kommen konnten», sagte Emma höflich.

Nichts deutete mehr auf die Szene hin, die sich nach dem Mittagessen abgespielt hatte, als Emma plötzlich ausrief: «Ach du liebe Zeit, das habe ich ja ganz vergessen. Ich habe Miss Eyelesbarrow gesagt, sie könne heute ihre alte Tante zum Tee mitbringen.»

«Lad sie wieder aus», sagte Harold schroff. «Wir haben genug zu besprechen. Fremde haben uns gerade noch gefehlt.»