«Lass sie doch in der Küche oder sonstwo mit dem Mädchen Tee trinken», sagte Alfred.
«O nein, das kommt gar nicht in Frage», sagte Emma in entschiedenem Ton. «Das wäre äußerst taktlos.»
«Ach, lasst sie doch kommen», sagte Cedric. «Dann können wir sie ein bisschen nach der entzückenden Lucy ausquetschen. Ich muss gestehen, dass ich gern mehr über das Mädchen wüsste. Ich weiß nicht, ob ich ihr trauen kann. Sie ist ganz schön ausgebufft.»
«Sie hat hervorragende Referenzen und ist absolut vertrauenswürdig», sagte Harold. «Das habe ich bereits in Erfahrung gebracht. Man möchte schließlich wissen, woran man ist. Wenn jemand so herumschnüffelt wie sie und unvermittelt eine Leiche findet.»
«Wenn wir bloß wüssten, wer diese verflixte Frau war», sagte Alfred.
Harold sagte verärgert:
«Wirklich, Emma, du musst von allen guten Geistern verlassen gewesen sein, als du die Polizei auf den Gedanken gebracht hast, die Tote könne Edmunds französische Geliebte gewesen sein. Jetzt wird man dort erst recht glauben, dass sie hier war und dass einer von uns sie umgebracht hat.»
«Aber nein, Harold. Nun übertreib mal nicht.»
«Harold hat völlig Recht», meinte Alfred. «Mir ist schleierhaft, was bloß in dich gefahren war. Ich habe das Gefühl, ich würde auf Schritt und Tritt von Zivilbeamten verfolgt.»
«Ich habe ihr davon abgeraten», sagte Cedric. «Aber Quimper hat sie noch bestärkt.»
«Den geht das doch gar nichts an», sagte Harold verärgert. «Der soll bei seinen Pillen und Pülverchen und National Health bleiben.»
«Nun streitet euch doch nicht», sagte Emma resigniert. «Ich bin eigentlich ganz froh, dass die alte Miss Sowieso zum Tee kommt. Es wird uns allen gut tun, wenn eine Fremde hier ist und uns davon abhält, uns immerzu mit denselben Fragen zu beschäftigen. Ich muss mich noch ein bisschen zurechtmachen.»
Damit verließ sie den Raum.
«Diese Lucy Eyelesbarrow», sagte Harald und stockte. «Cedric hat recht; es ist merkwürdig, dass sie in der Scheune herumstöbert und einen Sarkophag aufstemmt – eine wahre Herkulesarbeit. Vielleicht sollten wir etwas unternehmen. Ich fand sie beim Mittagessen geradezu feindselig –»
«Überlasst sie mir», sagte Alfred. «Ich werde schon herausfinden, was sie im Schilde führt.»
«Ich meine, warum musste sie den Sarkophag öffnen?»
«Vielleicht ist sie gar nicht die echte Lucy Eyelesbarrow», schlug Cedric vor.
«Aber welchen Sinn soll das bloß –?» Harold wirkte fassungslos. «Ach, zum Teufel!»
Sie sahen einander sorgenvoll an.
«Und jetzt kommt auch noch diese alte Vettel zum Tee. Genau wenn wir uns beraten müssen.»
«Wir besprechen das alles heute Abend», sagte Alfred. «Vorher löchern wir die alte Tante wegen Lucy.»
Also war Miss Marple wie geplant von Lucy abgeholt und vor dem Kamin platziert worden, wo sie Alfred, der ihr Sandwiches reichte, mit jener Wertschätzung anlächelte, die sie allen gut aussehenden Männern entgegenbrachte.
«Vielen herzlichen Dank… darf ich fragen…? Oh, Eier und Sardinen, ja, davon nehme ich gerne eins. Ich fürchte, ich bin beim Tee immer ziemlich gierig. Wissen Sie, wenn man so in die Jahre kommt… Abends dann natürlich nur ein leichtes Mahl… ich muss aufpassen.» Dann wandte sie sich wieder an ihre Gastgeberin. «Welch ein wunderschönes Haus Sie doch haben. Und so viele Kunstwerke. Diese Bronzen etwa erinnern mich an Erwerbungen meines Vaters – von der Pariser Weltausstellung. Ach, von Ihrem Großvater, ja? Im klassischen Stil, nicht wahr? Beeindruckend. Und wie schön, dass Sie Ihre Brüder bei sich haben. Familien werden ja so oft in alle Windrichtungen zerstreut – Indien, obgleich das inzwischen wohl auch schon Vergangenheit ist – und Afrika – die Westküste mit ihrem ungesunden Klima.»
«Zwei meiner Brüder wohnen in London.»
«Wie schön für Sie.»
«Aber mein Bruder Cedric ist Maler und lebt auf Ibiza, einer der Balearen.»
«Maler schätzen Inseln, nicht wahr?», sagte Miss Marple. «Chopin – der war doch auf Mallorca, oder? Ach nein, der war ja Komponist. Eigentlich meinte ich Gauguin. Ein tragisches Leben – vergeudet, hat man den Eindruck. Ich persönlich kann mit Bildern von Eingeborenenfrauen nicht viel anfangen – ich weiß natürlich, dass er sehr verehrt wird –, aber diese fahlen Senffarben sagen mir einfach nicht zu. Man wird vor seinen Bildern immer etwas gereizt.»
Sie beäugte Cedric ein wenig missbilligend.
«Erzählen Sie uns von Lucy, Miss Marple. Wie war sie als Kind?», fragte Cedric.
Sie lächelte strahlend zu ihm hoch.
«Lucy war ein aufgewecktes Kind», sagte sie. «Doch, das warst du, Liebes – unterbrich mich nicht. Sie verstand sich ganz außerordentlich gut auf Zahlen. Ich weiß noch, einmal hat mir der Schlachter bei der Oberschale eines Rinderbratens zu viel berechnet…»
Miss Marple sprudelte nur so vor Erinnerungen an Lucys Kindheit und kam von dort auf ihre eigenen Erfahrungen des Dorflebens.
Der Erinnerungsstrom verebbte, als Bryan und die Jungen feucht und verdreckt von ihrer begeisterten Suche nach Beweisstücken zurückkehrten. Der Tee wurde serviert, und da kam auch Dr. Quimper, wurde der alten Dame vorgestellt und sah sich mit hochgezogenen Augenbrauen suchend um.
«Ihr Vater ist hoffentlich nicht unpässlich, Emma?»
«Aber nein – er ist heute Nachmittag bloß etwas müde – »
«Geht Besuchern aus dem Wege, nehme ich an», sagte Miss Marple mit spitzbübischem Lächeln. «Wie gut ich das von meinem Vater kenne. ‹Kommen wieder jede Menge alte Schachteln?›, fragte er dann meine Mutter. ‹Lass mir den Tee ins Arbeitszimmer bringen.› In der Hinsicht war er richtig unhöflich.»
«Bitte glauben Sie nicht –», setzte Emma an, wurde aber von Cedric unterbrochen.
«Wenn seine geliebten Söhne kommen, heißt es immer Tee im Arbeitszimmer. Psychologisch zu erwarten, was, Doktor?»
Dr. Quimper verzehrte Sandwiches und Mokkakuchen mit dem Appetit eines Mannes, der selten Zeit zum Essen findet, und sagte:
«Psychologie ist schön und gut, wenn man sie den Psychologen überlässt. Aber heutzutage spielt sich jeder als Amateurpsychologe auf. Meine Patienten können mir haargenau sagen, an welchen Komplexen und Neurosen sie leiden, und geben mir kaum je Gelegenheit, es ihnen zu sagen. Danke, Emma, ich nehme gern noch eine Tasse. Hatte heute keine Zeit zum Mittagessen.»
«Ich finde, das Leben eines Arztes ist so edel und aufopfernd», sagte Miss Marple.
«Dann können Sie nicht viele Ärzte kennen», meinte Dr. Quimper. «Früher wurden sie Blutsauger genannt, und oft waren sie das auch! Aber heute werden wir wenigstens bezahlt, dafür sorgt der Staat. Man braucht keine Rechnungen mehr auszustellen, von denen man von vornherein weiß, dass sie nie bezahlt werden. Dummerweise sind alle Patienten wild entschlossen, aus Vater Staat das Letzte herauszuholen, und wenn die kleine Jenny in der Nacht zweimal hustet oder der kleine Tommy ein paar grüne Äpfel gegessen hat, schwupps, muss der Arzt in stockfinsterer Nacht herbeieilen. Na, egal. Herrlicher Kuchen, Emma. Sie sind eine sagenhafte Köchin!»
«Den haben Sie nicht mir, sondern Miss Eyelesbarrow zu verdanken.»
«Ihrer ist genauso gut», sagte Quimper galant.
«Wollen Sie dann nach Vater schauen?»
Sie erhob sich, und der Arzt folgte ihr. Miss Marple sah ihnen nach.
«Miss Crackenthorpe ist augenscheinlich eine treu ergebene Tochter», sagte sie.
«Es ist mir ein Rätsel, wie sie den alten Herrn aushält», sagte Cedric unverblümt.