«Sie hat hier ein behagliches Zuhause, und Vater hängt sehr an ihr», sagte Harold schnell.
«Em ist in Ordnung», sagte Cedric. «Die geborene alte Jungfer.»
Miss Marple lachte der Schalk aus den Augen, als sie sagte:
«Ja, finden Sie?»
Harold sagte hastig:
«Mein Bruder meinte den Begriff alte Jungfer keineswegs abwertend, Miss Marple.»
«Ich war auch nicht pikiert», sagte Miss Marple. «Ich frage mich bloß, ob er Recht hat. Ich für mein Teil halte Miss Crackenthorpe keineswegs für eine alte Jungfer. Sie gehört meines Erachtens zu den Menschen, die oft erst spät im Leben heiraten – dann aber um so erfolgreicher.»
«Kaum eine Chance, wenn sie weiterhin hier lebt», sagte Cedric. «Da trifft sie keine heiratsfähigen Männer.»
Miss Marple zwinkerte noch schalkhafter.
«Es gibt immer Geistliche – und Ärzte.»
Ihre sanften, schelmischen Augen glitten vom einen zum anderen.
Offensichtlich hatte sie sie auf eine völlig neue Idee gebracht, von der sie ganz und gar nicht angetan waren.
Miss Marple erhob sich und ließ dabei mehrere kleine Wollschals und ihre Handtasche fallen.
Die drei Brüder hoben sie ihr höchst aufmerksam auf.
«Zu freundlich von Ihnen», säuselte Miss Marple. «Ach ja, und mein kleines blaues Halstuch. Ja – wie gesagt – sehr liebenswürdig von Ihnen, mich einzuladen. Wissen Sie, ich hatte mir schon ausgemalt, wie Ihr Zuhause wohl aussieht – damit ich mir die liebe Lucy bei der Arbeit vorstellen kann.»
«Die reine Idylle – mit einem Mord als Zugabe», sagte Cedric.
«Cedric!», versetzte Harold scharf.
Miss Marple lächelte zu Cedric hoch.
«Wissen Sie, an wen Sie mich erinnern? An den jungen Thomas Eade, den Sohn vom Filialleiter unserer Bank. Der wollte die Leute auch immer schockieren. In Bankierskreisen kam er damit natürlich auf keinen grünen Zweig und ist daher auf die westindischen Inseln gezogen… Nach dem Tod seines Vaters kam er wieder nach Hause und hat eine Menge Geld geerbt. Sehr schön für ihn. Auf das Geldausgeben hatte er sich von jeher besser verstanden als auf das Geldverdienen.»
Lucy brachte Miss Marple nach Hause. Als sie auf dem Rückweg gerade in die Lieferantenzufahrt einbiegen wollte, trat eine Gestalt aus der Nacht in den Lichtkegel ihrer Scheinwerfer. Der Mann winkte, und Lucy erkannte Alfred Crackenthorpe.
«Das tut gut», sagte er beim Einsteigen. «Brr, ist das kalt! Ich hatte Lust auf einen Spaziergang an der frischen Luft, aber die Lust ist mir vergangen. Und? Die alte Dame gut nach Hause gebracht?»
«Ja. Es hat ihr großen Spaß gemacht.»
«Das hat man gemerkt. Komisch, dass sich alte Damen noch für die langweiligste Gesellschaft erwärmen können. Und nichts, wirklich gar nichts könnte langweiliger sein als Rutherford Hall. Länger als zwei Tage halte ich es hier nie aus. Wie schaffen Sie das bloß, Lucy? Sie haben doch nichts dagegen, wenn ich Sie Lucy nenne, oder?»
«Nein, nein. Ich finde es nicht langweilig. Aber ich bin natürlich auch nicht auf Dauer hier.»
«Ich habe Sie beobachtet, Lucy – Sie sind ein kluges Mädchen. Viel zu klug, um Ihre Zeit mit Kochen und Putzen zu vertun.»
«Vielen Dank, aber Kochen und Putzen sind mir lieber als Büroarbeit.»
«Mir auch. Aber es gibt noch andere Dinge im Leben. Sie könnten freiberuflich tätig werden.»
«Das bin ich schon.»
«So meine ich das nicht. Ich finde, Sie sollten Ihr eigener Boss sein. Wetzen Sie Ihren Verstand an –»
«Woran?»
«Denen da oben! All den albernen kleinkarierten Regeln und Vorschriften, die einem heutzutage Steine in den Weg legen. Das Interessante ist doch, dass sich alle Regeln umgehen lassen, wenn man nur schlau genug ist, den richtigen Weg zu finden. Und Sie sind schlau. Kommen Sie, die Idee gefällt Ihnen doch, oder?»
«Möglich.»
Lucy steuerte den Wagen in den Stall.
«Wollen sich nicht festlegen?»
«Ich müsste erst mehr darüber erfahren.»
«Offen gestanden, ich hätte Verwendung für Sie, meine Liebe. Sie haben eine unschätzbare Eigenschaft – Sie treten Vertrauen erweckend auf.»
«Soll ich Ihnen helfen, Goldbarren zu verkaufen?»
«Nicht ganz so riskant. Nur eine kleine Umgehung des Gesetzes – mehr nicht.» Seine Hand schob sich unter ihren Arm. «Sie sind ein verdammt attraktives Mädchen, Lucy. Ich hätte Sie gern als Partnerin.»
«Ich bin geschmeichelt.»
«Das heißt, nichts zu machen? Denken Sie darüber nach. Denken Sie daran, wie viel Spaß es machen würde. Wie viel Spaß es machen würde, all die Trantüten auszutricksen. Das Problem ist bloß, man braucht Startkapital.»
«Ich fürchte, da sind Sie bei mir an der falschen Adresse.»
«Oh, ich wollte nicht schnorren! Ich werde in absehbarer Zeit ein hübsches Sümmchen in die Finger bekommen. Mein verehrter Papa, der schäbige alte Geizhals, kann nicht ewig leben. Wenn er über die Klinge springt, bekomme ich ein Heidengeld. Also wie wäre es, Lucy?»
«Wie lauten die Bedingungen?»
«Heirat, wenn Sie wollen. Das wollen die Frauen doch, auch wenn sie noch so fortschrittlich und finanziell unabhängig tun. Außerdem können Eheleute nicht gezwungen werden, gegeneinander auszusagen.»
«Schon weniger schmeichelhaft!»
«Nicht aufregen, Lucy. Sehen Sie nicht, dass Sie es mir angetan haben?»
Zu ihrer eigenen Überraschung spürte auch Lucy eine eigenartige Faszination. Alfred besaß Charme, auch wenn er auf rein körperlicher Anziehungskraft beruhen mochte. Sie lachte und entzog sich seinem Arm.
«Das ist jetzt kaum die rechte Zeit für Tändeleien. Ich muss mich um das Abendessen kümmern.»
«In der Tat, Lucy, und Sie sind eine fabelhafte Köchin. Womit verwöhnen Sie uns denn heute Abend?»
«Lassen Sie sich überraschen! Sie sind ja genauso schlimm wie die Jungen!»
Sie gingen ins Haus, und Lucy eilte in die Küche. Sie war verdutzt, als Harold Crackenthorpe sie beim Kochen störte.
«Miss Eyelesbarrow, kann ich Sie wohl einen Augenblick sprechen?»
«Hat das Zeit, Mr. Crackenthorpe? Ich bin spät dran.»
«Aber gewiss doch. Nach dem Abendessen?»
«Ja, das wäre mir lieber.»
Das Abendessen wurde rechtzeitig aufgetragen und fand großen Anklang. Lucy erledigte den Abwasch, und als sie in die Halle trat, wartete Harold Crackenthorpe schon auf sie.
«Ja, Mr. Crackenthorpe?»
«Setzen wir uns doch.» Er öffnete die Tür zum Salon, ging vor und schloss die Tür hinter ihr.
«Ich fahre morgen früh nach London zurück», erklärte er, «aber ich wollte Ihnen sagen, wie sehr mich Ihre Fähigkeiten beeindrucken.»
«Vielen Dank», sagte Lucy leicht erstaunt.
«Ich habe den Eindruck, Ihr eigentliches Talent wird hier völlig vergeudet.»
«Ja? Ich nicht.»
Er kann mir wenigstens keinen Heiratsantrag machen, dachte Lucy. Er hat ja schon eine Frau.
«Ich möchte Ihnen den Vorschlag unterbreiten, dass Sie mich, nachdem Sie uns so souverän durch diese beklagenswerte Krise gebracht haben, in London aufsuchen. Wenn Sie sich melden und einen Termin geben lassen, werde ich bei meiner Sekretärin entsprechende Anweisungen hinterlegen. Im Vertrauen gesagt, brauchen wir in unserem Unternehmen Menschen mit Ihren überragenden Fähigkeiten. Wir müssten natürlich noch eingehend besprechen, auf welchem Gebiet diese am besten zum Tragen kämen. Ich kann Ihnen ein ansehnliches Gehalt und glänzende Aussichten bieten, Miss Eyelesbarrow. Ich denke, Sie werden angenehm überrascht sein.»