«Sehen Sie», sagte Cedric zum Inspector.
«Sie müssen uns für sehr dumm halten, Mr. Crackenthorpe», sagte Craddock freundlich. «Solche Dinge lassen sich nachprüfen. Ich glaube, wenn Sie mir Ihren Pass zeigen –»
Er hielt erwartungsvoll inne.
«Kann das blöde Ding nicht finden», sagte Cedric. «Habe heute Morgen schon überall gesucht. Wollte es Cook’s schicken.»
«Ich glaube, Sie könnten ihn finden, Mr. Crackenthorpe. Aber so wichtig ist er auch gar nicht. Unsere Recherchen haben ergeben, dass Sie bereits am Abend des 19. Dezember in England angekommen sind. Wären Sie jetzt wohl so gütig, mir zu erklären, was Sie von da an bis zum Eintreffen in Rutherford Hall am Mittag des 21. Dezember getan haben?»
Cedric sah äußerst aufgebracht drein.
«Das ist das Schlimme am modernen Leben», sagte er verärgert. «Von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare. Das hat man nun von einem Verwaltungsstaat. Man kann nicht einmal mehr tun und lassen, was einem passt. Irgendwer stellt einem immer Fragen. Warum machen Sie überhaupt so ein Aufhebens um den 20.? Was ist das Besondere am 20.?»
«Es ist zufällig der Tag, an dem unserer Ansicht nach der Mord begangen wurde. Sie können die Aussage natürlich verweigern, aber –»
«Wer sagt denn, dass ich die Aussage verweigern will? Ich brauche nur etwas Zeit. Und bei der gerichtlichen Untersuchung haben Sie den Zeitpunkt der Ermordung noch im Dunklen gelassen. Was haben Sie seitdem denn Neues herausbekommen?»
Craddock antwortete nicht.
Mit einem Seitenblick auf Emma sagte Cedric: «Wollen wir nicht nach nebenan gehen?»
Emma sagte hastig: «Ich lasse Euch allein.» An der Tür blieb sie stehen und drehte sich um.
«Sei dir darüber im Klaren, dass die Sache ernst ist, Cedric. Wenn der Mord wirklich am 20. stattgefunden hat, dann musst du Inspector Craddock ganz genau sagen, was du alles getan hast.»
Sie ging ins Nebenzimmer und schloss die Tür hinter sich.
«Die gute alte Em», sagte Cedric. «Na, dann mal los. Ja, ich habe Ibiza tatsächlich am 19. verlassen. Wollte die Reise in Paris unterbrechen und ein paar Tage mit alten Freunden von der Rive Gauche um die Häuser ziehen. Aber dann saß da eine sehr attraktive Frau im Flugzeug… echt flotter Käfer. Na ja, wir sind dann zusammen ausgestiegen. Sie war auf dem Weg in die Staaten und musste sich in London ein paar Tage um irgendwelche geschäftlichen Angelegenheiten kümmern. Wir sind am 19. in London angekommen. Sind im Kingsway Palace abgestiegen, falls Ihre Spione das noch nicht herausgefunden haben. Habe mich John Brown genannt – bei solchen Anlässen schadet es bloß, wenn man seinen richtigen Namen angibt.»
«Und am 20.?»
Cedric verzog das Gesicht.
«Der Vormittag war voll und ganz ausgefüllt mit einem fürchterlichen Kater.»
«Und der Nachmittag? Ab drei Uhr?»
«Mal überlegen. Tja, man könnte sagen, da habe ich einfach eine ruhige Kugel geschoben. War in der National Gallery – dagegen ist wohl nichts zu sagen. Danach im Kino. Die Todesschlucht von Laramie. Ich hatte schon immer ein Faible für Western. Der hier war wirklich astrein… Dann ein paar Drinks in der Bar, auf dem Zimmer ein bisschen geschlafen, und gegen zehn mit dem Mädchen wieder haufenweise Lokale abgeklappert, die angeblich der letzte Schrei waren – die meisten habe ich vergessen – eins hieß ‹Jumping Frog›, glaube ich. Sie kannte die alle. Hatte am Ende ziemlich Schlagseite und konnte mich, ehrlich gesagt, nicht mehr an viel erinnern, als ich am nächsten Morgen aufgewacht bin – mit einem noch schlimmeren Kater. Das Mädchen hat sich verdrückt, um ihr Flugzeug nicht zu verpassen, und ich habe mir kaltes Wasser über den Kopf gekippt, in der Apotheke einen Höllentrank besorgt, mich hierher aufgemacht und so getan, als käme ich direkt aus Heathrow. Warum soll sich Emma aufregen, habe ich mir gesagt. Sie kennen doch die Frauen – immer gleich sauer, wenn man nicht direkt nach Hause kommt. Ich musste mir von ihr Geld leihen, um das Taxi zu bezahlen. War völlig pleite. Den alten Herrn braucht man da gar nicht erst zu fragen. Der rückt nie etwas heraus. Mieser alter Geizhals. So, Inspector, nun zufrieden?»
«Können Sie diese Ereignisse belegen, Mr. Crackenthorpe? Sagen wir, die zwischen 15 und 19 Uhr?»
«Das glaube ich kaum», sagte Cedric fröhlich. «National Gallery – da verfolgen einen die Wächter mit stumpfen Augen; dann ein ausverkauftes Kino. Nein, wohl kaum.»
Emma kam zurück. Sie hatte einen kleinen Terminkalender in der Hand.
«Sie möchten wissen, was wir alle am 20. Dezember getan haben, stimmt das, Inspector Craddock?»
«Nun – ähm – ja, Miss Crackenthorpe.»
«Ich habe eben in meinem Terminkalender nachgesehen. Am 20. bin ich nach Brackhampton gefahren und habe an einem Treffen des Kirchenrestaurierungskomitees teilgenommen. Das war gegen Viertel vor eins zu Ende, und danach habe ich mit Lady Adington und Miss Bartlett, die ebenfalls im Komitee sitzen, im Cadena Café zu Mittag gegessen. Nach dem Essen bin ich einkaufen gegangen, Vorräte für die Feiertage und Weihnachtsgeschenke. Ich war bei Greenford’s und Lyall and Swift’s, Boots und wahrscheinlich noch in anderen Geschäften. Gegen Viertel vor fünf habe ich in den Shamrock Tea Rooms Tee getrunken, danach bin ich zum Bahnhof gegangen, um Bryan vom Zug abzuholen. Gegen sechs Uhr war ich wieder hier. Mein Vater hatte ziemlich schlechte Laune. Ich hatte Essen für ihn vorbereitet, aber Mrs. Hart, die am Nachmittag eigentlich hier sein und ihm Tee bringen sollte, war nicht gekommen. Er war so wütend, dass er sich in seinem Zimmer eingeschlossen hatte und mich weder hineinlassen noch mit mir sprechen wollte. Er mag es nicht, wenn ich nachmittags weggehe, aber manchmal mache ich es aus Prinzip.»
«Das ist wahrscheinlich sehr klug von Ihnen. Danke, Miss Crackenthorpe.»
Er konnte ihr schlecht sagen, dass ihre Unternehmungen an jenem Nachmittag keine Rolle spielten, da sie eine 1,70 große Frau war. Stattdessen sagte er:
«Soweit ich weiß, sind Ihre beiden anderen Brüder später gekommen.»
«Alfred kam am späten Samstagabend. Er meinte, er hätte am Freitagnachmittag versucht, mich anzurufen, aber da war ich eben unterwegs – und wenn mein Vater wütend ist, geht er nie ans Telefon. Mein Bruder Harold ist erst am Heiligabend gekommen.»
«Vielen Dank, Miss Crackenthorpe.»
«Es gehört sich wahrscheinlich nicht, aber…», sie zögerte, «welche neuen Ergebnisse veranlassen Sie zu diesen Fragen?»
Craddock zog die Fototasche aus der Tasche. Mit den Fingerspitzen entnahm er ihr den Briefumschlag.
«Bitte nicht berühren, aber kommt Ihnen das bekannt vor?»
«Aber…» Emma starrte ihn entgeistert an. «Das ist ja meine Handschrift. Das ist mein Brief an Martine.»
«Das hatte ich mir gedacht.»
«Aber woher haben Sie den? Hat sie –? Haben Sie sie gefunden?»
«Es ist möglich, dass wir sie – gefunden haben. Dieser leere Briefumschlag wurde hier gefunden.»
«Im Haus?»
«Auf Ihrem Grund und Boden.»
«Dann war sie also hier! Sie… heißt das – es war Martine – im Sarkophag?»
«Es sieht ganz danach aus, Miss Crackenthorpe», sagte Craddock behutsam.
Als er in die Stadt zurückkam, sah es noch mehr danach aus. Eine Nachricht von Armand Dessin erwartete ihn.
«Eine Freundin von Anna Strawinska hat eine Postkarte von ihr bekommen. Die Kreuzfahrtgeschichte stimmt anscheinend! Sie ist auf Jamaika angekommen und amüsiert sich – in ihren Worten – königlich!»
Craddock zerknüllte die Nachricht und warf sie in den Papierkorb.
«Menschenskind», sagte Alexander, der im Bett saß und andächtig an einem Schokoriegel knabberte, «das war heute echt ein Klassetag. Wir haben wirklich und wahrhaftig ein Beweisstück gefunden!»