Dr. Quimper stieg die Treppe zu seinem Schlafzimmer hoch und begann sich auszuziehen. Er sah auf die Uhr. Fünf Minuten nach drei. Bei der Entbindung der Zwillinge hatte es unerwartete Komplikationen gegeben, aber insgesamt war alles gut verlaufen. Er gähnte. Er war müde – hundemüde und freute sich auf sein Bett.
Da klingelte das Telefon.
Dr. Quimper fluchte und nahm den Hörer ab.
«Dr. Quimper?»
«Am Apparat.»
«Hier ist Lucy Eyelesbarrow aus Rutherford Hall. Ich glaube, Sie sollten herkommen. Plötzlich sind alle krank geworden.»
«Krank? Wieso? Was für Symptome?»
Lucy beschrieb sie ihm.
«Ich komme sofort. Inzwischen…» Er gab ihr knappe, präzise Anweisungen.
Dann zog er sich schnell wieder an, warf einige zusätzliche Dinge in seine Notarzttasche und eilte zum Wagen.
Gut drei Stunden später saßen Lucy und der Arzt völlig erschöpft am Küchentisch und tranken große Tassen schwarzen Kaffee.
«Puh.» Dr. Quimper trank aus und stellte die Tasse klirrend auf die Untertasse. «Das war nötig. So, Miss Eyelesbarrow, kommen wir zur Sache.»
Lucy sah ihn an. Die Müdigkeit hatte sich tief in sein Gesicht eingegraben und machte ihn älter als seine vierundvierzig Jahre, die schwarzen Schläfenhaare hatten graue Strähnen, und unter den Augen lagen tiefe Ringe.
«Soweit ich es beurteilen kann, sind sie vorläufig außer Gefahr», sagte der Arzt. «Aber wie kommt das bloß? Das würde ich gern wissen. Wer hat das Abendessen gekocht?»
«Ich», sagte Lucy.
«Und was gab es? En détail, bitte.»
«Pilzsuppe. Hühnercurry mit Reis. Sillabubs. Häppchen mit Hühnerleber und Speck.»
«Canapés Diane», sagte Dr. Quimper unerwartet.
Lucy lächelte müde.
«Ja. Canapés Diane.»
«Gut – gehen wir das im Einzelnen durch. Pilzsuppe – aus der Dose, nehme ich an.»
«Wie kommen Sie denn darauf? Ich habe sie gekocht.»
«Sie haben sie gekocht. Können Sie mir die Zutaten nennen?»
«Ein halbes Pfund Pilze, Hühnerbrühe, Milch, Mehlschwitze und Zitronensaft.»
«Aha. Dann wird jeder sagen, ‹Das müssen die Pilze gewesen sein›.»
«Es können nicht die Pilze gewesen sein. Ich habe selber Suppe gegessen, und mir ist nichts passiert.»
«Stimmt. Ihnen ist nichts passiert. Das war mir bewusst.»
Lucy verfärbte sich.
«Wollen Sie damit sagen –»
«Ich will gar nichts sagen. Sie sind ein hochintelligentes Mädchen. Wenn ich sagen wollte, was Sie eben glaubten, dann lägen Sie jetzt ebenfalls stöhnend im Bett. Außerdem sind Sie über jeden Zweifel erhaben. Ich habe mich nach Ihnen erkundigt.»
«Ach du Schande, warum denn das?»
Dr. Quimper presste grimmig die Lippen aufeinander.
«Weil ich über die Menschen, die in diesem Hause ein und aus gehen, Bescheid wissen möchte. Sie sind eine ehrliche junge Frau, die sich mit dieser Arbeit ihren Lebensunterhalt verdient. Außerdem haben Sie, bevor Sie hergekommen sind, mit keinem Mitglied der Familie Crackenthorpe je Kontakt gehabt. Sie können also nicht die Geliebte von Cedric, Harold oder Alfred sein, die einem von ihnen die Kastanien aus dem Feuer holt.»
«Halten Sie es denn wirklich für möglich –»
«Ich halte vieles für möglich», sagte Quimper. «Aber ich muss aufpassen. Das ist das Schlimmste am Arztsein. Machen wir weiter. Hühnercurry. Haben Sie davon gegessen?»
«Nein. Wenn man einen Curry zubereitet, ist man schon vom Geruch satt, finde ich. Ich habe ihn natürlich abgeschmeckt. Ich hatte Suppe und später Sillabub.»
«Wie haben Sie den Sillabub serviert?»
«In Portionsgläsern.»
«Und wie viele davon haben Sie aufgeräumt?»
«Meinen Sie gespült? Alle sind gespült und stehen wieder im Schrank.»
Dr. Quimper stöhnte auf.
«Man kann die Ordnungsliebe auch übertreiben», sagte er.
«Im Nachhinein sehe ich das genauso, aber das lässt sich nicht mehr ändern, fürchte ich.»
«Was haben Sie denn noch?»
«Vom Curry ist etwas übrig geblieben – in einer Schüssel in der Speisekammer. Daraus wollte ich heute Abend eine Mulligatawny-Suppe kochen. Pilzsuppe ist auch noch da. Der Sillabub und die Häppchen sind alle.»
«Den Curry und die Suppe nehme ich mit. Was ist mit Chutney? Gab es Chutney als Beilage?»
«Ja. Aus einem der Steingutgefäße dort.»
«Davon nehme ich auch etwas mit.»
Er stand auf. «Ich gehe hoch und schaue sie mir noch einmal an. Können Sie danach noch ein paar Stunden die Stellung halten? Und auf alle aufpassen? Gegen acht kann ich Ihnen eine Schwester mit den nötigen Anweisungen herschicken.»
«Nun mal ehrlich, Herr Doktor: Halten Sie es für eine Lebensmittelvergiftung oder – oder sind sie vergiftet worden?»
«Wie gesagt, ich halte vieles für möglich. Aber Möglichkeiten sind für Ärzte zu wenig. Wir müssen sichergehen. Wenn diese Speisenproben ein positives Ergebnis haben, kann ich entsprechende Maßnahmen einleiten. Anderenfalls –»
«Anderenfalls?», wiederholte Lucy.
Dr. Quimper legte ihr eine Hand auf die Schulter.
«Passen Sie ganz besonders auf zwei von ihnen auf», sagte er. «Passen Sie auf Emma auf. Emma darf auf gar keinen Fall etwas zustoßen…»
Er konnte seine Gefühle nicht unterdrücken. «Sie hat doch noch gar nicht richtig gelebt», sagte er. «Und wissen Sie, Menschen wie Emma Crackenthorpe sind das Salz der Erde… Emma – also, Emma bedeutet mir viel. Ich habe es ihr nie gesagt, aber ich werde es tun. Passen Sie auf Emma auf.»
«Sie können sich auf mich verlassen», sagte Lucy.
«Und passen Sie auf den alten Mann auf. Ich kann nicht behaupten, dass er mein Lieblingspatient wäre, aber er ist mein Patient, und ich denke nicht im Traum daran, ihn von einem seiner missratenen Söhne – oder auch allen dreien zusammen – aus dieser Welt hinausbefördern zu lassen, bloß damit sie an sein Geld herankommen.»
Er warf ihr einen kurzen, spöttischen Blick zu.
«Jetzt ist es mir doch herausgerutscht», sagte er. «Also passen Sie auf wie ein Luchs, und seien Sie ein gutes Mädchen und behalten Sie das für sich.»
Inspector Bacon sah bestürzt aus.
«Arsen?», fragte er. «Arsen?»
«Ja. Es war im Curry. Hier haben Sie den Rest – dann kann Ihr Mann sich darüber hermachen. Ich habe nur bei einer kleinen Menge einen vorläufigen Test gemacht, aber das Resultat war eindeutig.»
«Wir haben es also mit einem Giftmischer zu tun.»
«Sieht so aus», sagte Dr. Quimper trocken.
«Und alle sind betroffen, sagen Sie – bis auf diese Miss Eyelesbarrow.»
«Bis auf Miss Eyelesbarrow.»
«Macht sie ein bisschen verdächtig…»
«Was sollte sie für ein Motiv haben?»
«Könnte plemplem sein», meinte Bacon. «Manche Leute treten völlig normal auf, dabei haben sie die ganze Zeit eine Schraube locker.»
«Miss Eyelesbarrow hat keine Schraube locker. Das sage ich als Arzt. Miss Eyelesbarrow ist genauso klar bei Verstand wie Sie und ich. Wenn Miss Eyelesbarrow der Familie Arsen im Curry verabreicht hätte, dann hätte sie einen Grund dafür. Außerdem ist sie eine hochintelligente junge Frau, die dafür gesorgt hätte, nicht als Einzige verschont zu bleiben. Sie hätte wie jeder intelligente Giftmischer eine kleine Menge von dem vergifteten Curry gegessen und die Symptome dann übertrieben.»