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«Warum bloß Alfred, frage ich mich», sagte Craddock.

«Ich mich auch», sagte Lucy. «Sind Sie sicher, dass es Alfred erwischen sollte!»

«Komisch – das habe ich mich auch gefragt!»

«Es kommt mir so sinnlos vor.»

«Wenn ich bloß hinter das Motiv der ganzen Geschichte käme», sagte Craddock. «Es passt hinten und vorn nicht zusammen. Die Erdrosselte im Sarkophag war Edmund Crackenthorpes Witwe Martine. Davon können wir fürs Erste ausgehen, das ist so gut wie bewiesen. Es muss eine Verbindung zwischen ihr und der bewussten Vergiftung von Alfred geben. Der Grund liegt irgendwo hier in der Familie. Selbst die Annahme, einer von ihnen sei wahnsinnig, hilft nicht weiter.»

«Nein, eigentlich nicht», stimmte Lucy zu.

«Na, passen Sie jedenfalls gut auf sich auf», warnte Craddock sie. «Denken Sie immer daran, hier geht ein Giftmörder um, und einer Ihrer Patienten da oben ist nicht so krank, wie er tut.»

Nach Craddocks Aufbruch ging Lucy langsam wieder in den ersten Stock. Eine gebieterische, wenn auch von Krankheit geschwächte Stimme rief sie an, als sie am Zimmer des alten Mr. Crackenthorpe vorbeikam.

«Mädchen – Mädchen – sind Sie das? Kommen Sie mal her.»

Lucy trat ein. Gestützt von Kissen, lag Mr. Crackenthorpe im Bett. Für einen Kranken war er ganz schön munter, fand Lucy.

«Das ganze Haus wimmelt von diesen verdammten Krankenschwestern», beschwerte sich Mr. Crackenthorpe. «Belästigen einen, machen sich wichtig, messen Fieber, geben mir nicht das zu essen, was ich will – was das alles wieder kostet! Sagen Sie Emma, sie soll sie fortschicken. Sie reichen völlig aus, um mich zu versorgen.»

«Das ganze Haus ist krank, Mr. Crackenthorpe», sagte Lucy. «Ich kann Sie doch nicht alle versorgen.»

«Pilze», sagte Mr. Crackenthorpe. «Das sind verdammt gefährliche Dinger. Das lag an der Suppe von gestern Abend. Und Sie haben die gekocht», sagte er noch vorwurfsvoll.

«Die Pilze waren unschädlich, Mr. Crackenthorpe.»

«Ich geben Ihnen ja auch keine Schuld, Mädchen, überhaupt nicht. Das ist schließlich nicht das erste Mal. Ein einziger Mistpilz dazwischen, und schon ist es passiert. Das lässt sich nicht voraussagen. Ich weiß, dass Sie ein gutes Mädchen sind. Sie würden so etwas nie mit Absicht tun. Wie geht es Emma?»

«Heute Nachmittag geht es ihr etwas besser.»

«Aha, und Harold?»

«Ebenfalls.»

«Und stimmt es, dass Alfred ins Gras gebissen hat?»

«Woher wissen Sie das, Mr. Crackenthorpe?»

Mr. Crackenthorpe lachte wiehernd und frohlockend. «Ich bekomme alles mit», sagte er. «Vor dem alten Herrn lässt sich nichts verbergen. Sosehr sie es auch versuchen. Alfred ist also tot, ja? Dann liegt er mir wenigstens nicht mehr auf der Tasche, und vom Erbe bekommt er auch nichts ab. Die warten alle nur darauf, dass ich abkratze, wissen Sie – Alfred am allermeisten. Und jetzt ist er tot. Das ist ein echt guter Witz.»

«Das ist nicht besonders nett von Ihnen», sagte Lucy streng.

Mr. Crackenthorpe lachte wieder. «Die werde ich alle überleben», krähte er. «Warten Sie ruhig ab, Mädchen, warten Sie es ruhig ab.»

Lucy ging in ihr Zimmer, nahm ihr Wörterbuch aus dem Regal und schlug das Wort «Tontine» nach. Dann schlug sie das Buch zu und starrte sinnend ins Leere.

III

«Verstehe nicht, warum Sie damit zu mir kommen», sagte Dr. Morris gereizt.

«Sie kennen die Familie Crackenthorpe am längsten», sagte Inspector Craddock.

«Gewiss, ich kenne alle Crackenthorpes. Ich erinnere mich an den alten Josiah Crackenthorpe. Das war ein harter Brocken – und ein gerissener Bursche. Hat jede Menge Geld verdient.» Seine gebrechliche Gestalt rutschte im Sessel hin und her, und er spähte Inspector Craddock unter buschigen Augenbrauen hervor an. «Sie glauben also diesem jungen Narren Quimper», sagte er. «Diese übereifrigen jungen Ärzte! Auf was die nicht alles kommen. Er hat sich in den Kopf gesetzt, dass jemand Luther Crackenthorpe vergiften wollte. Blödsinn! Melodrama! Er hatte einfach eine Magenverstimmung. Deswegen habe ich ihn schon behandelt. Kam nicht oft vor – überhaupt nichts Besonderes.»

«Dr. Quimper ist da anderer Meinung», sagte Craddock.

«Ein Arzt hat nicht zu meinen. Ich glaube immerhin, ich erkenne eine Arsenvergiftung, wenn ich eine vor mir habe.»

«Vielen bekannten Ärzten ist das nicht gelungen», meinte Craddock. «Da war» – er wühlte in seinem Gedächtnis – «der Fall Greenbarrow, Mrs. Teney, Charles Leeds, drei Mitglieder der Familie Westbury, alle auf dem Friedhof gelandet, ohne dass die behandelnden Ärzte den leisesten Verdacht geschöpft hätten. Und das waren gute, renommierte Ärzte.»

«Schon gut, schon gut», sagte Dr. Morris, «Sie wollen darauf hinaus, dass ich einen Fehler gemacht haben könnte. Ich glaube das aber nicht.» Er dachte eine Weile nach und sagte dann: «Wer war es denn Quimpers Ansicht nach – wenn es jemand war?»

«Dazu wollte er sich nicht äußern», sagte Craddock. «Er macht sich einfach Sorgen. Schließlich geht es dort um eine ganze Menge Geld», fügte er noch hinzu.

«Ja, ja, ich weiß, und sie bekommen es erst, wenn Luther Crackenthorpe stirbt. Und alle haben es bitter nötig. Schön und gut, aber daraus folgt noch nicht, dass sie den alten Mann umbringen würden, um an das Geld zu kommen.»

«Nicht unbedingt», pflichtete Inspector Craddock ihm bei.

«Ich verdächtige jedenfalls prinzipiell nichts und niemanden, solange ich es nicht begründen kann. Und zwar gut begründen», sagte er. «Ich muss sagen, was Sie da erzählen, erschüttert mich ein wenig. Offenbar geht es um Arsen im Großmaßstab – aber ich verstehe trotzdem nicht, warum Sie damit zu mir kommen. Ich kann Ihnen bloß sagen, ich habe das nie vermutet. Vielleicht hätte ich es tun sollen. Vielleicht hätte ich Luther Crackenthorpes Magenverstimmungen viel ernster nehmen müssen. Aber diese Frage ist für Sie ja nun unwichtig geworden.»

Craddock stimmte zu. «Am dringendsten brauche ich mehr Hintergrund über die Familie Crackenthorpe», sagte er. «Gibt es dort abnorme geistige Veranlagungen – irgendwelche Schrullen?»

Die Augen unter den buschigen Brauen musterten ihn scharf. «Ja, ich verstehe, dass Sie Vermutungen in diese Richtung anstellen. Also, der alte Josiah war absolut zurechnungsfähig. Zäh wie Leder, stand mit beiden Beinen auf dem Boden. Seine Frau war eine Neurotikerin und neigte zur Melancholie. Ihre Familie war durch Inzucht degeneriert. Sie starb kurz nach der Geburt des zweiten Sohnes. Ich würde sagen, Luther hat – wie soll ich sagen – eine gewisse Instabilität von ihr geerbt. Als junger Mann war er ganz normal, lag sich nur ständig mit seinem Vater in den Haaren. Der Vater war von ihm enttäuscht, das hat Luther ihm wohl übel genommen und ist ins Brüten gekommen. Am Ende hat sich das zu einem richtigen Spleen ausgewachsen, und den hat er auf sein Familienleben übertragen. Wenn Sie sich mit ihm unterhalten, werden sie merken, dass er all seine Söhne von Herzen verabscheut. Seinen Töchtern war er immer sehr zugetan. Sowohl Emma als auch Edie – das ist die, die gestorben ist.»

«Warum verabscheut er seine Söhne so?», fragte Craddock.

«Die Frage kann Ihnen wohl nur einer von diesen neumodischen Psychiatern beantworten. Ich vermute, Luther kam sich als Mann immer minderwertig vor und ist wegen seiner finanziellen Lage völlig verbittert. Er hat Zinseinkünfte, aber keine Verfügungsgewalt über das Kapital. Wenn er seine Söhne enterben könnte, wären sie ihm wahrscheinlich nicht so zuwider. Weil er in dieser Hinsicht machtlos ist, fühlt er sich gedemütigt.»