«Ich wusste doch, dass du ihn erkennen würdest, Elspeth!», sagte sie. «Nein. Sag jetzt nichts.» Triumphierend drehte sie sich zu Dr. Quimper um. «Nicht wahr, Doktor, als Sie die Frau im Zug erdrosselt haben, wussten Sie nicht, dass Sie wirklich und wahrhaftig gesehen wurden? Von meiner Freundin hier. Mrs. McGillicuddy. Sie hat Sie gesehen. Verstehen Sie? Sie hat Sie mit eigenen Augen gesehen. Sie saß in einem Zug, der neben Ihrem fuhr.»
«Was zum Teufel?» Dr. Quimper machte einen Schritt auf Mrs. McGillicuddy zu, aber Miss Marple trat mit derselben Agilität zwischen die beiden.
«Jawohl», sagte sie. «Sie hat Sie gesehen, und sie hat Sie erkannt, und das wird sie unter Eid beschwören. Ich glaube, man ertappt einen Mörder nur selten in flagranti», fuhr sie leise und wehmütig fort. «Meistens wird er durch Indizien überführt. Aber in diesem Fall war alles ganz anders. In diesem Fall gab es eine Augenzeugin des Mordes.»
«Sie verfluchte alte Hexe!», sagte Dr. Quimper. Er wollte sich auf Miss Marple stürzen, aber diesmal trat Cedric vor und packte ihn an der Schulter.
«Sie sind also dieser mordende Teufel, ja?», sagte er und schwenkte ihn zu sich herum. «Ich habe Sie noch nie gemocht, sondern schon immer für einen falschen Fuffziger gehalten, aber weiß der Kuckuck, einen Mord hätte ich Ihnen nicht zugetraut.»
Bryan Eastley kam Cedric schnell zu Hilfe. Inspector Craddock und Inspector Bacon betraten den Raum von der anderen Seite.
«Dr. Quimper», sagte Bacon, «ich muss Sie darauf hinweisen, dass alles, was Sie von nun an…»
«Ihr Sprüchlein können Sie sich an den Hut stecken», sagte Dr. Quimper. «Glauben Sie denn ernsthaft, irgendjemand kauft das den beiden alten Weibern ab? Wer hat denn je von einem solchen Stuss im Zug gehört?»
Miss Marple sagte: «Elspeth McGillicuddy hat den Mord am 20. Dezember der Polizei gemeldet und den Mann beschrieben.»
Plötzlich ließ Dr. Quimper die Schultern hängen. «Wie kann man bloß so ein Pech haben?», sagte er.
«Aber –», sagte Mrs. McGillicuddy.
«Sei still, Elspeth», sagte Miss Marple.
«Warum sollte ich denn eine wildfremde Frau umbringen?», fragte Dr. Quimper.
«Sie war nicht wildfremd», sagte Inspector Craddock. «Sie war Ihre Frau.»
Siebenundzwanzigstes Kapitel
«Sehen Sie», sagte Miss Marple, «genau wie ich vermutet habe, hat sich am Ende alles als ganz, ganz einfach herausgestellt. Eines der einfachsten Verbrechen. So viele Männer scheinen ihre Frauen umzubringen.»
Mrs. McGillicuddy sah zwischen Miss Marple und Inspector Craddock hin und her. «Ich wäre dankbar», sagte sie, «wenn mir jemand sagen könnte, was hier eigentlich los ist.»
«Schau mal», sagte Miss Marple, «Quimper sah eine Gelegenheit, eine reiche Frau zu heiraten, Emma Crackenthorpe. Nur konnte er sie nicht heiraten, weil er bereits verheiratet war. Seine Frau und er lebten zwar seit Jahren getrennt, aber sie wollte nicht in die Scheidung einwilligen. Das passte hervorragend zu Inspector Craddocks Angaben über das Mädchen, das sich Anna Strawinska nannte. Sie hatte einen englischen Mann, hat sie ihren Freundinnen erzählt, und es hieß auch, sie sei eine fromme Katholikin. Emma zu heiraten und Bigamie zu begehen, konnte Dr. Quimper nicht riskieren, daher beschloss er als der gefühllose und kaltblütige Mann, der er ist, seine Frau zu beseitigen. Der Plan, sie im Zug zu ermorden und ihre Leiche später im Sarkophag in der Scheune zu verstecken, war ganz schön scharfsinnig. Er wollte den Verdacht eben auf die Familie Crackenthorpe lenken. Zuerst hatte er Emma einen Brief geschrieben, der vorgeblich von Martine stammte, die Edmund Crackenthorpe hatte heiraten wollen. Emma hatte Dr. Quimper alles von ihrem Bruder erzählt, verstehst du. Dann kam der Tag, an dem er ihr raten konnte, mit der Geschichte zur Polizei zu gehen. Er wollte, dass die Tote als Martine identifiziert würde. Ich könnte mir denken, dass ihm zu Ohren gekommen war, dass die Pariser Polizei Nachforschungen nach Anna Strawinska anstellte, und deswegen sorgte er dafür, dass eine scheinbar von ihr stammende Postkarte aus Jamaika eintraf.
Er konnte sich ohne weiteres mit seiner Frau in London verabreden. Er offenbarte ihr, er wolle sich mit ihr versöhnen, und sie solle mit ihm zu ‹seinen Verwandten› kommen. Was dann geschah, übergehen wir, denn das ist zu unappetitlich. Natürlich war er ein gieriger Mann. Als er über die Steuern nachdachte und wie sehr sie das Einkommen beschneiden, sagte er sich, es wäre doch schön, wenn man deutlich mehr Vermögen hätte. Vielleicht hatte er sich das auch schon gesagt, bevor er beschloss, seine Frau zu ermorden. Jedenfalls streute er das Gerücht, jemand versuche, den alten Mr. Crackenthorpe zu vergiften, um seinem Vorhaben den Boden zu bereiten, und schlussendlich verabreichte er der ganzen Familie Arsen. Natürlich nicht zu viel, denn er wollte ja nicht den alten Mr. Crackenthorpe umbringen.»
«Ich verstehe nur noch nicht, wie er das geschafft hat», sagte Craddock. «Er war doch gar nicht im Haus, als der Curry gekocht wurde.»
«Zu dem Zeitpunkt war auch noch gar kein Arsen im Curry», sagte Miss Marple. «Das hat er erst hineingemischt, als er die Reste in sein Labor mitgenommen hat. Das Arsen hat er wahrscheinlich schon früher in den Cocktailkrug geschüttet. Als Hausarzt konnte er danach mühelos Alfred Crackenthorpe vergiften und Harold die Tabletten nach London schicken, denn er hatte sich ja abgesichert und Harold erklärt, er brauche die Tabletten nicht mehr. Jeder einzelne Schritt war kühn und unverfroren und grausam und gierig, und ich bedaure von ganzem Herzen», schloss Miss Marple und sah so grimmig drein, wie eine verhuschte alte Dame nur dreinschauen kann, «dass die Todesstrafe abgeschafft worden ist, denn wenn ein Mensch den Galgen verdient hat, dann Dr. Quimper, finde ich.»
«Hört, hört», sagte Inspector Craddock.
«Mir ist nämlich etwas aufgefallen», setzte Miss Marple hinzu. «Selbst wenn man jemanden nur von hinten sieht, kann diese Rückansicht charakteristisch sein. Ich sagte mir daher, wenn Elspeth Dr. Quimper in genau derselben Haltung sehen kann, in der sie ihn im Zug gesehen haben muss, also mit dem Rücken zu ihr und über eine Frau gebeugt, die er an der Kehle hält, dann muss sie ihn einfach wieder erkennen oder zumindest erschrocken aufschreien. Deswegen habe ich mit Lucys freundlicher Unterstützung diesen kleinen Plan ausgeheckt.»
«Das kann ich dir sagen, du hast mir einen ganz schönen Schreck eingejagt», sagte Mrs. McGillicuddy. «Ich habe unwillkürlich ‹das ist er› geschrien. Dabei hatte ich das Gesicht des Mannes nie gesehen, weißt du, und –»
«Ich hatte schreckliche Angst, dass du das sagen würdest, Elspeth», sagte Miss Marple.
«Das wollte ich auch», sagte Mrs. McGillicuddy. «Ich wollte sagen, dass ich sein Gesicht natürlich nicht gesehen hatte.»
«Das wäre ein verhängnisvoller Fehler gewesen», sagte Miss Marple. «Schau mal, Liebes, er glaubte, du hättest ihn erkannt. Denn er konnte schließlich nicht wissen, dass du sein Gesicht nicht gesehen hast.»
«Welch ein Glück, dass ich den Mund gehalten habe», sagte Mrs. McGillicuddy.
«Ich hätte dich sofort unterbrochen», sagte Miss Marple.
Craddock musste plötzlich lachen. «Sie sind mir schon so zwei!», sagte er. «Ein herrliches Paar! Und jetzt, Miss Marple? Geht die Geschichte gut aus? Was wird beispielsweise aus der armen Emma Crackenthorpe?»