Muirlands Küsse unterbrachen ihre Worte; auf den Tag folgte eine neue Nacht, und während jeder Nacht wurde der Bauer durch Spellies glühende Augen seinem Schlummer entrissen; seine Kräfte erlagen dabei.
»Aber, Liebste«, fragte Jock seine Frau, »schläfst du denn nie?«
»Ich, schlafen?«
»Ja, schlafen! Ich glaube, du hast, seit wir verheiratet sind, noch keinen Augenblick geschlafen.«
»In meiner Familie ist es nicht Sitte, zu schlafen.«
Die blauen Augen des jungen Weibes strahlten ein noch glühenderes Licht aus als vorher.
»Sie schläft nicht!« rief der Bauer verzweifelt. »Sie schläft nicht!«
Erschöpft und entsetzt sank er in die Kissen zurück.
»Sie hat keine Augenlider, sie schläft nicht!« wiederholte er.
»Ich werde nicht müde, dich anzusehen«, sagte Spellie, »und ich werde ein wachsames Auge auf dich haben.«
Der arme Muirland! Die schönen Augen seiner Gattin ließen ihm keine Ruhe. Sie glichen ewig funkelnden Gestirnen, die ihn blendeten. Mehr als dreißig Balladen auf Spellies schöne Augen wurden von den Dichtern der Gegend gemacht. Was aber Muirland betraf, so verschwand er eines Tages.
Drei Monate waren verflossen; die Marter, welche der Pächter erduldete, hatte seine Kräfte erschöpft; er glaubte, daß die Feuerblicke seiner Gattin ihn versengten. Mochte er auf das Feld gehen oder zu Hause bleiben oder sich in die Kirche begeben, stets traf ihn der schreckliche Strahl ihrer Augen, und ihr Glanz drang bis in das Innerste seines Wesens, ließ ihn erbeben und erfüllte ihn mit Schauder. Er verwünschte endlich die Sonne und floh den Tag.
Dieselbe Marter, welche die arme Tuilzie erduldet, war nun sein Los geworden; anstatt jener inneren Unruhe, welche ihn während seiner ersten Ehe zum Henker seines jungen Weibes gemacht hatte, und welche von den Männern Eifersucht genannt wird, befand er sich jetzt unter dem physischen und forschenden Einfluß eines Auges, welches sich nimmer schloß; es war das auch Eifersucht, allein eine greifbar gewordene Eifersucht.
Er verließ sein Landgut, ging über das Meer und eilte in die Wälder Nordamerikas, wo schon so mancher seines Volkes einen neuen Wohnsitz gesucht und eine friedliche Hütte gebaut hatte.
Die Savannen des Ohio boten ihm ein sicheres Asyl, wie er glaubte; lieber wollte er als armer Kolonist leben, lieber sich mit grober und kärglicher Nahrung sättigen, als sich unter seinem schottischen Dach von einem eifersüchtigen und stets geöffneten Auge fortwährend quälen zu lassen.
Nachdem er ein Jahr in dieser Einsamkeit zugebracht hatte, segnete er sein Los, fand er doch Ruhe inmitten dieser fruchtbaren Natur. Er unterhielt keinen Briefwechsel mit der Heimat, da er fürchtete, er könnte Nachrichten von seiner Frau erhalten; in seinen Träumen sah er noch bisweilen jenes stets geöffnete Auge, jenes Auge ohne Wimpern, und schrak dann heftig zusammen; allein das war auch alles, was er zu leiden hatte; er überzeugte sich bald, daß das stets wachsame und furchtbare Auge nicht mehr in seiner Nähe war, ihn nicht mehr durch seine unerträgliche Glut versengte.
Die Narraghansetts, der nächste Stamm der Wilden, hatten als Sachem oder Häuptling einen kränklichen Greis namens Massasoit, der sehr friedlich war und dessen Wohlwollen sich Jock Muirland besonders dadurch zu erhalten wußte, daß er ihn bisweilen mit Branntwein bewirtete. Massasoit wurde krank; sein Freund besuchte ihn in seiner Hütte.
In der Hütte dieses armseligen Palastes brannte ein Feuer, Büffelhäute lagen auf der Erde, und auf einer derselben kauerte der alte kranke Häuptling; die größten Zauberer des Stammes heulten, schrien und machten einen Lärm, durch welchen der Kranke nur noch elender gemacht werden mußte, einen Lärm, der selbst einen Gesunden hätte krank machen können.
Der Medizinmann leitete den Chor und den Trauertanz; der Wald erscholl von dem Lärm, welchen diese wunderliche Feierlichkeit veranlaßte; den Gottheiten des Landes wurden Opfer und Gebete dargebracht.
Sechs junge Mädchen waren damit beschäftigt, die nackten und kalten Glieder des Greises zu reiben. Eins von ihnen, ein sehr hübsches Mädchen von kaum sechzehn Jahren, weinte bei dieser Arbeit.
Der Schotte erkannte, daß diese ganze Behandlungsweise nur Massasoits Tod bewirken würde. Als Europäer und Weißer galt er für einen geborenen Arzt. Er benutzte das Ansehen, welches er in dieser Hinsicht hatte, entfernte die Lärmenden und näherte sich dem Häuptling.
»Wer kommt zu mir?« fragte der Greis.
»Jock, der weiße Mann.«
»Oh!« versetzte der Häuptling und reichte ihm die vertrocknete Hand. »Wir werden uns nicht wiedersehen, Jock.«
Obgleich Jock wenig medizinische Kenntnisse hatte, so bemerkte er doch ohne Mühe, daß der Häuptling an einer einfachen Verdauungsstörung litt; er kam ihm zu Hilfe, befahl, daß man um ihn her schweige, setzte ihn auf eine kärgliche Diät und bereitete ihm dann ein ausgezeichnetes schottisches Gericht, welches die Stelle einer Arznei vertreten mußte.
In drei Tagen war Massasoit wieder hergestellt. Das Heulen der Indianer und die Tänze begannen von neuem; allein dieses Mal drückten die Hymnen der Wilden nur noch die Gefühle des Danks und der Freude aus.
Massasoit ließ Jock in seiner Hütte sich setzen, reichte ihm seine Pfeife und zeigte ihm seine Tochter Anauket, das jüngste und hübscheste von den Mädchen, welche Muirland in der Hütte gesehen hatte.
»Du hast kein Weib«, sagte der alte Krieger zu ihm; »nimm meine Tochter und ehre mein weißes Haupt.«
Jock erbebte; er dachte an Tuilzie und Spellie, er dachte daran, wie schlecht ihm seine früheren Heiraten gelungen waren.
Allein das junge Mädchen war sanft und gehorsam. Eine Heirat in einer einsamen Gegend ist nur mit wenig Förmlichkeiten verknüpft und pflegt ebensowenig nachteilige Folgen für einen Europäer zu haben. Jock fügte sich daher, und die schöne Anauket gab ihm keinen Grund, seine Wahl zu bereuen.
Es war an einem schönen Herbstmorgen, am achten Tage ihrer Vereinigung, als beide im Boot den Ohio hinunterfuhren. Jock hatte seine Jagdflinte mitgenommen. Anauket war an solche Züge gewöhnt, da das Leben des Wilden zum größten Teil aus ihnen besteht, weshalb sie ihren Mann unterstützte und ihm half. Das Wetter war prachtvoll; die Ufer des schönen Flusses boten den Liebenden bezaubernde Aussichten dar; Jock bemerkte ein Perlhuhn mit strahlenden Flügeln, er zielte, schoß, und der tödlich getroffene Vogel fiel in dichtes Gebüsch.
Muirland wollte eine so schöne Beute nicht verlieren, band sein Boot an und stieg an Land, um den Vogel zu suchen. Vergebens durchstreifte er das Gebüsch; seine schottische Hartnäckigkeit trieb ihn immer tiefer und tiefer in den Wald. Bald sah er sich zwischen hohen Bäumen, als plötzlich ein strahlendes Licht durch das Laub fiel und bis zu ihm drang. Er zitterte. Das unerträgliche Licht zwang ihn, seine Augen zu schließen. Das Auge ohne Lid blickte ihn an.
Spellie war über das Meer gekommen, hatte die Spur ihres Mannes gefunden und seine Fährte verfolgt; sie hatte ihr Wort gehalten, und ihre furchtbare Eifersucht überhäufte Muirland bereits mit gerechten Vorwürfen. Er eilte ans Ufer, verfolgt von dem lidlosen Auge, erblickte die reinen und klaren Wellen des Ohio und stürzte sich in seiner Angst in die Flut. Das war das Ende Jock Muirlands.
Der Fall Chugoro von Lafcadio Hearn
Lafcadio Hearn (1850-1904) stammte aus England, wo er sich als Schrittsteller bereits einen Namen gemacht hatte, bevor er 1890 nach Japan ging, eine Japanerin heiratete und sich neutralisieren ließ. Er lehrte als Dozent für englische Literatur an der Universität Tokio. In vielen Büchern versuchte er, seine Wahlheimat den Europäern nahezubringen. Die vorliegende Erzählung aus dem Band »Japanische Geistergeschichten« wurde von Gustav Meyrink übersetzt.