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Der alte Ashigaru war ebenso erstaunt wie beunruhigt durch diese Erzählung.

Instinktiv fühlte er, daß Chugoro ihm die Wahrheit gesagt hatte; aber diese Wahrheit eröffnete böse Ausblicke. Möglicherweise war das Erlebnis Chugoros nichts als Sinnestäuschung, vielleicht aber eine von finsteren Mächten zu verderblichen Zwecken herbeigeführte Sinnestäuschung!

War der junge Mensch nun tatsächlich behext oder nicht, jedenfalls war er zu bemitleiden und nicht zu tadeln; Gewalt anzuwenden war keinesfalls am Platze – deshalb erwiderte der Ashigaru freundlich:

»Ich werde niemals über das sprechen, was du mir anvertraut hast, niemals, vorausgesetzt, daß du gesund und am Leben bleibst. Geh und suche das Weib auf, aber – hüte dich vor ihr! Ich fürchte, ein böser Geist hat dich in seine Netze gelockt.« Chugoro lächelte nur über diese Warnung seines alten Kameraden und eilte davon.

Einige Stunden später kehrte er mit seltsam verstörter Miene in die Yashiki zurück.

»Hast du sie getroffen?« fragte flüsternd der Ashigaru.

»Nein«, erwiderte Chugoro, »sie war nicht dort. Das erstemal, daß sie nicht gekommen ist! Ich glaube, sie kommt nie mehr wieder! Ich hätte dir die Sache nicht erzählen sollen! – Narr, der ich war, mein Versprechen nicht zu halten …«

Der Ashigaru versuchte vergebens, ihn zu trösten.

Chugoro legte sich nieder und sprach kein Wort mehr. Er zitterte am ganzen Leibe wie von Kälte durchschauert.

Als die Tempelglocken die erste Morgenstunde verkündeten, versuchte Chugoro aufzustehen, fiel aber bewußtlos zurück.

Er war sichtlich krank – todkrank.

Ein chinesischer Arzt wurde geholt.

»Was ist das? Der Mann hat ja kein Blut mehr …«, rief er aus, als er Chugoro sorgfältig untersucht hatte. »Es ist nichts als Wasser in seinen Adern! Da wird es schwer sein, ihn noch zu retten. – Was für eine bösartige Sache mag das sein?«

Man ließ nichts unversucht, Chugoro am Leben zu erhalten, aber umsonst.

Er starb, als die Sonne unterging.

Da erzählte der alte Ashigaru seinen Kameraden die ganze Geschichte.

»Ah, hab’ ich mir’s doch gedacht!« rief der chinesische Arzt. »Keine Macht der Welt hätte ihn retten können. Er ist nicht der erste, den sie umgebracht hat!«

»Wer ist diese ›sie‹ – oder was ist sie?« fragte der Ashigaru. »Ein Fuchsdämon?«

»Nein, sie spukt hier am Flusse seit altersgrauen Zeiten. Sie liebt das Blut der jungen …«

»Also ein Schlangenweib? Ein Drachenweib?«

»Nein, nein! Wenn du sie bei Tageslicht unter der Brücke sähest, so würdest du wohl glauben, ein ekelhaftes Geschöpf gesehen zu haben.«

»Aber was für ein Geschöpf?«

»Ganz einfach: ein Frosch – ein großer, scheußlicher Frosch!«

Jeanettes Hände von Philip Latham

»Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß Hexen unweigerlich alt und häßlich sein müßten. Viele sind schöne junge Frauen; die meisten von ihnen sind verheiratet …«

Es erscheint angebracht, solch scheinbar überflüssige Binsenwahrheiten einer Erzählung voranzustellen, deren Protagonistin offiziell zur Staatshexe von Kalifornien ernannt wird. Philip Latham, ein Pseudonym für den prominenten amerikanischen Astronomen Robert S. Richardson, eröffnet dem Leser eine Zukunftsperspektive, in der das Okkulte wieder in den Rang einer Haupt- und Staatsaktion eingesetzt ist – was sich im privaten Bereich natürlich verheerend auswirkt.

Dagny saß im Bett, als Bob mit dem Frühstückstablett und der Zeitung heraufkam. Er hatte es sich angewöhnt, seiner Frau das Frühstück ans Bett zu servieren, als sie vor fünf Jahren kurz nach ihrer Hochzeit krank gewesen war, und er tat es noch jetzt einmal in der Woche. Es war kurz vor elf, aber die Archers standen sonntags nie früh auf. Dagny rieb sich noch blaß und verschlafen die Augen.

»Willst du gleich eine Tasse Kaffee?« fragte er.

»Ja, bitte.«

Bob hatte wie üblich Mühe, einen Platz für das Tablett zu finden. Er hatte nichts gegen Hautcremes, Lippenstifte, Kosmetiktücher, Nagelfeilen und andere Toilettenartikel einzuwenden, die auf dem Tisch vor dem Spiegel lagen. Solche Dinge erwartete man auf einem Toilettentisch zu sehen. Was ihn wütend machte, waren diese verdammten Hände.

Ursprünglich hatten die ›Hände‹ zu Jeanette gehört – einer Schaufensterpuppe in einer exklusiven Boutique drüben in Beverley Hills. Jeanettes Hände zählten zu Dagnys kostbarsten Besitztümern; sie waren die einzigen Körperteile der Puppe, die bei dem großen kalifornischen Erdbeben nicht beschädigt wurden, und die Besitzerin der Boutique, die mit Dagny gut befreundet war, hatte sie ihr als Andenken geschenkt. Die Hände sahen nicht nur echt aus, sondern fühlten sich auch echt an. Ihre Finger waren beweglich und bestanden aus einer Gummi-Glasfaser-Mischung, deren Zusammensetzung ein ängstlich gehütetes Firmengeheimnis des Herstellers war.

»Du kannst wohl auch keinen anderen Platz für die Hände finden, was?« erkundigte sich Bob, während er versuchte, das Tablett abzustellen.

»Ich verstehe nicht, warum du dich immer wieder über diese Hände aufregst«, murmelte Dagny.

»Sie stören mich eben …«

»Sie erteilen dir ihren symbolischen Segen«, sagte Dagny. »Das bedeutet, daß du dich im Stand der Gnade befindest.«

»Quatsch!«

»Ich verspreche dir, daß ich sie woanders hinstelle«, sagte Dagny lächelnd.

»Nicht mehr nötig«, wehrte Bob ab. »Ich hab’ jetzt schon genug Platz.«

Sie saßen einige Minuten lang schweigend nebeneinander, tranken Kaffee und lasen Zeitung. Den Schlagzeilen war zu entnehmen, daß dringend Sofortmaßnahmen ergriffen werden müßten, um die Welt vor dem Untergang zu bewahren.

Nachdem Bob hastig den Sportteil durchgeblättert hatte, warf er seine Zeitung aufs Fußende des Betts.

»Ende des Haushaltsjahrs. Diese Woche ist die Mitteilung vom Großen Weißen Vater in Washington gekommen. Wieder mal keine Gehaltserhöhung.«

Dagny studierte interessiert die Comics.

»Wir kommen schon irgendwie zurecht«, erklärte sie. »Ich hab’ gestern unser Horoskop gestellt. Unsere Zukunft sieht vielversprechend aus.«

Dagnys Beschäftigung mit Astrologie, Hexerei, Wahrsagerei und ähnlichem Unsinn hatte in der Zeit vor ihrer Ehe häufig zu Streit geführt. Heutzutage wird vieles toleriert: Ehen zwischen Negern und Weißen oder wilde Ehen rufen kaum noch ein Stirnrunzeln hervor. Aber ein Astronom, der eine Astrologin heiratet … nun, das geht doch etwas zu weit. Allmählich hatte Bob sich jedoch daran gewöhnt, Dagnys Interesse für das Okkulte mit jener resignierten Gelassenheit zu akzeptieren, mit der die meisten Ehemänner die kleinen Torheiten ihrer Frauen ertragen. In Bobs Fall war allerdings nur zu leicht einzusehen, warum er es aufgegeben hatte, Dagnys Glauben an das Übernatürliche erschüttern zu wollen. Seine Frau besaß andere Vorzüge, die ihn über solche Kleinigkeiten hinwegsehen ließen.

Dagny gab ihm ein Blatt aus der Times.

»Hier steht wieder etwas über deinen Freund Doktor Thornton.«

»Schon wieder!«

Das Foto zeigte einen Mann Anfang Vierzig mit markanten Zügen, der eine kurze Bruyerepfeife zwischen den Zähnen hielt. Er stand neben einem Meßgerät und betrachtete das Bild irgendeines Himmelskörpers.

»Er sieht gut aus, was?« meinte Dagny.

»Findest du?«

»Sehr!«

Bob schnaubte geringschätzig und las den dazugehörigen Artikel durch.

»Nur ein halbes Dutzend Fehler«, kommentierte er. »Der Fotograf hat ihn absichtlich etwas von unten aufgenommen, damit man nicht sieht, daß er eine kahle Stelle auf dem Kopf hat. Er ist zweiundvierzig, nicht neununddreißig. Und was er da hat, ist M33 in Triangulum, nicht M31 in Andromeda.«