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»Doktor Thornton, der bekannte Astronom am weltberühmten Mount-Elsinore-Observatorium, wird im September nach London reisen, um die Goldmedaille der Königlichen Astronomischen Gesellschaft in Empfang zu nehmen. Diese Medaille ist eine der höchsten Auszeichnungen, die …«, las sie laut.

Bob schnaubte wieder.

»Das ist doch wohl auch der einzige Nutzen dieser Gesellschaften – daß sie Goldmedaillen verleihen.«

»Doktor Thornton hat in jahrelanger Forschungsarbeit nachgewiesen, daß das Universum in Wirklichkeit etwa zehnmal älter ist als bisher angenommen …«, fuhr sie fort.

»Manche Kollegen sind da aber ganz anderer Meinung!«

»Auch jemand, den ich kenne?«

»Zum Beispiel dein Mann.«

Dagny betrachtete aufmerksam Thorntons Bild.

»Nehmen wir einmal an, du hättest recht und er unrecht«, sagte sie nachdenklich. »Warum gibt die Königliche Gesellschaft ihre Goldmedaille dann nicht dir?«

»Das ist schwer zu erklären«, antwortete Bob nach einer Pause. »Bei solchen Dingen spielt die Persönlichkeit des Betreffenden eine größere Rolle, als man es für möglich halten würde. Thornton ist der energische, dominierende Typ. Die Leute lesen, was er veröffentlicht. Kein Mensch kümmert sich um mein Zeug. Er hat einfach Glück. Er benimmt sich immer so, als sei ein Mißerfolg ausgeschlossen. Ich fürchte stets Mißerfolge – und habe sie deshalb. Je weiter man sich von Thornton entfernt, desto größer ragt er auf. Man verehrt ihn aus der Ferne und haßt ihn aus der Nähe.«

»In welchem Punkt seid ihr verschiedener Meinung?« wollte Dagny wissen.

»Das ist eine schwierige Frage …«

»Gut, wenn das so streng geheim ist …«

Bob zögerte.

»Versprichst du mir, daß du keinem Menschen ein Wort davon erzählst?«

Dagny zuckte mit den Schultern. »Gut, ich versprech’s dir.«

»Paß auf, ich habe einen Teil von Thorntons Arbeiten überprüft, mit den gleichen Auswertungs- und Rechenmethoden, versteht sich. Und unsere Ergebnisse sind und bleiben unterschiedlich. Ich bringe beim besten Willen keine Übereinstimmung zustande.«

»Ihr Wissenschaftler seid euch doch nie einig.«

»Nicht hundertprozentig«, gab Bob zu. »Ich erwarte auch keine absolute Übereinstimmung. Aber in diesem Fall sind die üblichen Toleranzen weit überschritten.« Er senkte die Stimme. »Ich bin der Meinung, daß Thorntons Resultate frisiert sind – bewußt frisiert.«

»Frisiert?« Dagny runzelte die Stirn.

»Gerade genug verändert, daß sie besser aussehen als die seiner Konkurrenten. Solange er das größte Spiegelteleskop der Welt zur Verfügung hat, kann ihm nichts passieren. Wer sollte ihm etwas nachweisen können?«

Dagny nahm diese erstaunliche Mitteilung verhältnismäßig gefaßt auf.

»Liebster, ich dachte, du würdest mir erzählen, daß Thornton wirklich etwas verbrochen hat. Einen Bankraub oder einen Gemäldediebstahl. Aber was du da erzählst, betrifft schließlich nur das Universum.«

»Bewußte Irreführung ist für einen Wissenschaftler keine Kleinigkeit«, versicherte ihr Bob. »Aber ich kann ihm natürlich nichts nachweisen. Er hat die Ergebnisse so frisiert, daß die Kosmologen ganz aus dem Häuschen sind. Sie reden jetzt schon von ›Thorntons Universum‹ – daher die Goldmedaille.«

Dagny warf ihrem Mann einen nachdenklichen Blick zu. Dann kniff sie ihre blauen Augen zusammen.

»Weißt du, was ich glaube, Liebster?« fragte sie.

»Keine Ahnung, Schatz«, murmelte er.

»Du bist neidisch, glaube ich.«

»Ist es etwa ein Verbrechen, wenn ein Mann seine Arbeit anerkannt sehen möchte?«

»Und du bist gekränkt – zutiefst gekränkt.«

Bob gab keine Antwort.

Dagny ergriff seine Hand.

»Deine Zeit kommt noch, Robert. Ich weiß, daß sie kommt.« Sie lächelte. »Vielleicht schon bald … sehr bald.«

Bob schüttelte allerdings energisch den Kopf.

»Tut mir leid, ich bin eben nicht der Typ, der Goldmedaillen einheimst.«

»Aber ich weiß, daß du …«

Sie wurde unterbrochen, es klingelte unten.

»Siehst du?« rief Dagny aufgeregt aus. »Die gute Nachricht – wie auf ein Stichwort hin!«

»Wahrscheinlich Pfadfinderinnen, die Erdnüsse verkaufen wollen«, murmelte Bob. Er zögerte noch, aber als es zum zweitenmal klingelte, stand er widerwillig auf und schlurfte die Treppe hinunter. Eine Minute später kam er mit einem länglichen Umschlag zurück, der eindrucksvoll versiegelt war.

»Durch Eilboten«, sagte er und überreichte Dagny den Brief. »Für dich.«

Dagny wurde blaß. Sie griff zögernd nach dem Umschlag, fast ängstlich, als sei er eine Reliquie, die sie kaum zu berühren wagte. Dann riß sie ihn entschlossen auf und zog ein Blatt Pergament heraus, auf dem eine einzige handschriftliche Zeile stand. Sie blieb mindestens eine Minute lang unbeweglich liegen und starrte die Nachricht an; nur ihre Augen und Lippen bewegten sich, während sie die Worte immer wieder las, als wollte sie sie ganz auskosten. Dann drückte sie das Pergament mit zitternden Fingern an die Brust.

Bob fand diese emotionelle Reaktion weniger besorgniserregend, als man hätte vermuten können. Seine Frau war eine gute Schauspielerin, eine so gute, daß er nie mit Sicherheit wußte, ob ihr Gefühlsüberschwang nur gespielt oder wirklich echt war.

»Schlechte Nachrichten?« erkundigte er sich.

»Wundervolle Nachrichten«, antwortete Dagny mit kaum hörbarer Stimme.

»Na, die sind längst überfällig!«

»Ich bin ernannt worden.«

Bob starrte seine Frau mit einem unguten Gefühl im Magen an. »Ernannt? Wozu ernannt?«

»Zur Staatshexe von Kalifornien!«

Bob schluckte trocken. »Ich weiß, daß Kalifornien einen offiziellen Poefa laureatus hat. Ich weiß auch, daß es hier mehr Verrückte pro Quadratzentimeter gibt als in jedem anderen Bundesstaat. Aber der Teufel soll mich holen, wenn ich gewußt habe, daß es in Kalifornien eine Staatshexe gibt!«

»Robert, Liebling, es gibt so vieles, was du nicht weißt.«

»Meinst du wirklich offiziell? Wie der Gouverneur oder solche Leute?«

»Nein, eigentlich nicht …«

»Großer Gott!« rief er aus. »So tief sind wir schon gesunken!«

»Unsinn!« widersprach Dagny energisch. »Stell dir vor, was das für eine Ehre ist. Was das bedeutet

»Ich kann dir sagen, was das bedeutet«, knurrte Bob, stand auf und ging zwischen Bett und Fenster auf und ab. »Es bedeutet das Ende meiner Karriere. Früher … nun, ein bißchen Astrologie und dergleichen Unsinn hat nicht weiter geschadet. Die Leute haben mit einem Achselzucken darüber hinweggesehen.« Er holte tief Luft. »Aber das hier ist eine Katastrophe! Wer will schon mit einem Astronomen zu tun haben, dessen Frau sich mit Zauberei und Teufelsbeschwörung abgibt?«

Aber er hatte keine Zuhörerschaft mehr. Dagny war in Trance verfallen. Lady Macbeth als Schlafwandlerin in einem Doppelbett.

»Theodoris von Lemnos … Madelaine de Bovan aus Frankreich … Medea von Colchis … Und jetzt Dagny Archer aus Kalifornien! Eines Tages übertreffe ich sie alle!«

Dagnys Ernennung zur Staatshexe wurde am nächsten Dienstag in der Los Angeles Times gemeldet. Bob hatte bis zuletzt gehofft, die Meldung werde irgendwo ganz klein stehen; statt dessen prangte sie auf der ersten Seite des Lokalteils. Als Blickfang diente ein Foto, das Dagny mit ihrer Siamkatze Margarita zeigte. Der junge Reporter, der sie interviewt hatte, wies besonders darauf hin, wie ungewöhnlich die äußere Erscheinung der neuen Staatshexe Kaliforniens sei: eine hübsche blonde Hausfrau, nicht eine häßliche alte Hexe, wie man sie aus Märchen kannte.

Mrs. Archer hatte dem Journalisten erklärt, sie habe sich schon als Kind für das Okkulte interessiert und bedaure, daß die meisten Menschen eine ganz falsche Vorstellung von Hexen hätten. Ob Hexen jemand etwas antun könnten? Im Mittelalter habe man ihnen bekanntlich den bösen Blick nachgesagt, aber die Wissenschaft habe längst nachgewiesen, daß das, was man den Hexen vorwarf, nur der Ausdruck der bösen Triebe ihrer Mitmenschen war. Sie verkörperten die unbewußte Schlechtigkeit ihrer Richter.