Im Juni 1896, schicklicherweise erst vier Wochen nach Ablauf des Trauerjahres, trat Lady Jane mit Doktor Bruce Atkinson vor den Altar von Saint Marys Church in West-Brompton, und der junge Gelehrte, der im Royal Institute of medical engineering eine vielbeachtete Spezialabteilung aufgebaut hatte, eröffnete in dem geräumigen Wohnhaus seiner jungen Frau am Belgrave Square eine kleine, aber einträgliche Privatpraxis.
In dieser mit den neuesten Apparaten und Behelfen ausgestatteten Ordination untersuchte Atkinson eines Tages, es war gegen Ende des zweiten Ehejahres, seine junge Frau. Jane war nun dreiundzwanzig Jahre alt, ihre Schönheit war, dank der Liebe und der Zärtlichkeit eines jungen Gatten, voll erblüht, ihre grünen Augen blitzten vor Lebenslust, und ihr Mund, den sie mitunter, wie einem fernen Lied lauschend, leicht öffnete, war eine Verlockung für jeden, der sie sah.
»Ich bin zwar kein Gynäkologe«, sagte Atkinson, während Jane sich hinter dem Wandschirm entkleidete, »aber ehe ich meine schöne Frau einem Kollegen überlasse, will ich doch selbst einmal sehen, was dir Beschwerden macht. So bitte, nimm hier Platz. Lege dich zurück, keine Sorge, ich untersuche nur …«
Jane hatte sich etwas scheu auf den großen wachstuchbespannten Tisch zubewegt. War Atkinson auch ihr Mann, hatten sie in vielen Nächten auch keine Geheimnisse voreinander, so war es doch das erstemal, daß sie sich hier, im hellen Tageslicht und zwischen den fremd anmutenden Gegenständen seiner Praxisräume, nackt vor ihm zeigte. Nach kurzer Untersuchung wußte er, was ihr Schmerzen bereitete:
»Ein Abszeß, Jane, ein banales kleines Geschwür, nur an einer dummen Stelle … Deswegen brauchst du wirklich nicht zu Sir Edwin zu gehen, das mache ich gleich selbst.«
»Du tust mir doch nicht weh, Bruce?«
»Wo denkst du hin! Ich habe doch Lachgas … Ich binde dich nur fest, damit du mir im Lachgasräuschlein nicht vom Tisch kollerst. So, das hätten …«
Atkinson unterbrach sich, denn es hatte eben geklingelt.
»Pamela hat Ausgang«, sagte Jane, »aber ich bitte dich, gehe jetzt nicht öffnen, mir ist das hier doch ein wenig unheimlich.«
Es klingelte abermals, und Atkinson wurde nervös.
»Ich sehe doch einmal nach«, sagte er, »es kann die Nachmittagspost sein, die möchte ich doch lieber in Empfang nehmen. Ich bin gleich zurück.«
Aber er kam nicht gleich zurück. Statt dessen vernahm Jane mit immer stärkerer Unruhe Stimmen in der Halle. Die ihr unbekannte Stimme des Besuchers wurde immer lauter, und nun vermochte sie jedes Wort zu verstehen:
»Mit Ihrem Gelehrtenschädel haben Sie mich um meine Zukunft gebracht, Atkinson«, schrie der Fremde, »es war glatter Hokuspokus, damit im letzten Augenblick aufzuwarten, so daß ich mir keinen gleichwertigen Casus mehr beschaffen konnte. Und jetzt sitzen Sie hier im Fett. Wozu brauchen Sie denn das Amt im Institut, Ihre Frau ist doch reich, Sie haben eine Praxis …«
Die leisere Stimme, die ihres Gatten, verstand Jane nicht. Zweifellos versuchte er, den Besucher zu beruhigen, aber es gelang ihm nicht. Die Stimmen schwollen schließlich beide an, die Männer erregten sich, und nach ein paar undefinierbaren Geräuschen vernahm Jane, der der Atem stockte, einen dumpfen Fall. Verzweifelt versuchte sie sich zu befreien, aber ihre Arme waren einzeln mit Gurten festgeschnürt, die Beine, weit gespreizt, desgleichen. Unmöglich, aufzustehen und Bruce zu Hilfe zu kommen.
In der nächsten Sekunde sprang krachend die Tür auf, und Jane schrie wider Willen laut auf: In der Tür stand Bruce, leichenblaß und mit erhobenen Händen, und hinter ihm tauchte ein untersetzter, bärtiger Mann auf, der Bruce nun mit einer Pistole zwang, in dem Stuhl hinter dem Schreibtisch Platz zu nehmen. Ohne Jane mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken – er hielt sie wohl für eine Patientin – machte der Fremde sich auf die Suche nach Schnüren und Gürteln und fesselte Atkinson an seinen Schreibtischsessel, an die Rücken- und die Seitenlehne und die Beine, so daß der Arzt gerade noch die Finger und den Kopf bewegen konnte.
Nun erst wandte sich der Besucher Jane zu, verbeugte sich knapp und sagte:
»Doktor Bostic. Ich bin Arzt wie Atkinson, Sie brauchen sich nicht zu genieren, und Doktor Atkinson wird seine Behandlung gleich fortsetzen. Er muß mir nur schnell ein Dokument unterschreiben.« Dabei ließ er einen zerstreuten Blick über die nackte Jane gleiten, sah Atkinson verwundert an und sagte: »Abszeß am Scheideneingang … Seit wann arbeiten Sie als Gynäkologe, Atkinson? Wohl nur bei so hübschen Frauen?«
»Lassen Sie den Unsinn, Bostic«, antwortete Atkinson mit belegter Stimme, »die Dame ist keine Patientin, sie ist meine Frau, darum mache ich den harmlosen Eingriff selbst!«
Bostic hob den Kopf. Er sah aus, als erwache er aus einer Trance, aus einer Fixierung. In seinen Augen begann es zu flackern, als er rief:
»Ihre Frau? Also die frühere Lady Jane Hulme, die liebenswürdige Schädelspenderin? Das ändert natürlich die Sachlage. Mylady werden gestatten müssen, daß ich mich auch bei Ihnen für jenen Zwischenfall bedanke, der meine Laufbahn ruinierte!«
Bei diesen Worten trat Bostic auf Jane zu, schob ihr ein Kissen unter den Kopf und einen Wattebausch in den Mund und verklebte die vollen Lippen Janes mit einem breiten Streifen Leukoplast.
»Nun kann ich Sie zwar nicht mehr küssen, zumindest nicht auf den Mund«, sagte er sarkastisch, »aber was Sie mir sonst bieten, Mrs. Atkinson, ist immer noch der Betrachtung wert … Und Sie, lieber Kollege, verhalten sich still, ganz still, wenn Ihnen das Leben Ihrer Frau und Ihr eigenes lieb ist. Sonst verklebe ich Ihnen nicht nur den Mund, sondern auch die Nasenlöcher, und dann möchte ich sehen, was für schöne Zuckungen Sie in ihrem Sessel aufführen.«
»Bostic«, bat Atkinson leise, »ich werde tun, was Sie verlangen. Ich gebe Ihnen mein Wort als Arzt und Akademiker, daß ich morgen meine Demission im Institut einreiche und Sie als meinen Nachfolger vorschlage. Aber lassen Sie Jane aus dem Spiel, sie ist zu jung, sie hat das alles nicht verstanden, ich habe sie überrumpelt in der Sache mit dem Schädel!«
»Daß sie jung ist«, antwortete Bostic genießerisch, »das sehe ich selbst. Sie ist ein schöner, junger Mensch, eine von denen, die das neue Jahrhundert erleben werden, mehr von ihm sehen werden als von diesem stinkenden alten viktorianischen England. Ich hätte auch gern an dem neuen Menschen gearbeitet, an seinem Bild, an seinem Schädel, an der Geographie seines Gehirns, aber der schöne Bruce, Ihr Mann, Verehrte, hat mich daran gehindert, und so will ich denn sehen, ob Sie das Zeug zu jenem neuen Menschen haben, ob Sie die Frau des kommenden Jahrhunderts sind, des Zwanzigsten, des Jahrtausend-Endes!«
Mit diesen Worten trat Bostic neben Jane und begann, ihren Leib mit seinen kurzen, dicken Fingern zu erkunden. Er massierte die Brüste, stieß mit bösem Kichern die Finger zwischen ihre Rippen, streichelte die Innenseiten ihrer Schenkel und kitzelte sie schließlich so lange an den Fußsohlen, daß Jane im Gesicht puterrot anlief und ihr vor Atemnot die Augen aus den Höhlen quollen.
»Ach ja«, sagte Bostic schließlich, als falle ihm etwas ein, »das Abszeß … Keine Sorge, Mrs. Atkinson, das haben wir gleich!«
»Um Gottes willen, Bostic«, ächzte Atkinson, »vergreifen Sie sich doch nicht an einer wehrlosen Frau. Sie sind doch Arzt, seien Sie gnädig mit uns!«
»Da ich mit diesen modernen Installationen nicht umgehen kann, verehrte Patientin«, sagte Bostic ungerührt, »liefen Sie Gefahr, von mir mit Lachgas erstickt zu werden. Ich sehe, daß Sie vorbildlich festgeschnallt sind. Ich werde Ihnen jetzt das Abszeß mit dem Messer öffnen. Ein kleiner Schnitt, wenn ich es gleich richtig treffe, was nicht sehr wahrscheinlich ist, denn ich habe vor meiner Demarche reichlich Whisky zu mir genommen. Also liegen Sie ganz ruhig und lassen Sie mich gewähren, das ist Ihre einzige Chance, daß ich da unten, wo sich Ihr schöner Gatte so gern zu schaffen macht, kein Blutbad anrichte.«