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»He«, sagte einer von zwei Männern, die vor dem Grundstück stehengeblieben waren, »hast du schon jemals einen derart armen Teufel gesehen?«

»Du meine Güte, ja«, sagte der andere. »Sein Anblick würde genügen, einem den Kanarienvogel sauer zu machen. Er scheint aus der Ruine des Mortimer-Hauses herausgekommen zu sein. Apropos, hast du jemals gehört, was aus dem eigentlich geworden ist?«

»Ja, sicher. Der wurde doch bei irgendeinem Krawall von zwei von Cromwells Dragonern erschossen.«

»Ja, jetzt entsinne ich mich. Er hatte seinen Sohn ermordet, nicht wahr?«

Ich ging weiter. Jene Worte schienen mir wie ein Feuerstrahl durch das Gehirn zu fahren, und ich fürchtete, der Sprecher könnte das Thema noch breiter ausführen.

Ein leiser Nieselregen hatte inzwischen zu fallen begonnen, der bewirkte, daß die Straßen völlig verlassen dalagen, aber bestens vertraut, wie ich mit der Stadt war, ging ich weiter, bis ich in jenes Viertel kam, das hauptsächlich von Juden bewohnt wird, von denen ich wußte, daß sie mein Geld nehmen würden, ohne mir lästige Fragen zu stellen, was ich benötigte. Und so geschah es auch. Kaum war eine weitere Stunde vergangen, da tauchte ich reich gekleidet wie ein Kavalier jener Epoche auf und hatte dem geflissentlichen Israeliten für die Kleidung kaum mehr als das Vierfache gezahlt, was sie in Wirklichkeit wert war.

So stand ich nun mitten in London mit mehreren hundert Pfund in der Tasche und der schrecklichen Ungewißheit im Herzen, wer oder was ich selber war.

Ich wurde langsam immer schwächer und schwächer; ich fürchtete, ohne eigenes Quartier bald jemandem zum Opfer zu fallen, der – wenn er sah, wie entkräftet ich war – mich trotz des formidablen Rapiers an meiner Seite um alles berauben würde, was ich besaß.

Meine ganze frühere Karriere ist viel zu lang und wildbewegt gewesen, als daß ich von ihr hier auch nur eine kurze Schilderung geben könnte. Alles, was ich hier berichten will, ist, wie ich zu der Überzeugung kam, daß ich ein Vampir war und das Menschenblut die einzige mir bekömmliche, meine neue Existenz erhaltende Nahrung war.

Ich ging weiter, bis ich in eine Straße kam, wo sehr große, aber unmoderne und heruntergekommene Häuser standen, die sich jetzt zumeist im Besitz von Personen befanden, die sich ein Gewerbe daraus machten, einzelne Apartments zu vermieten; dort hoffte ich, eine sichere Bleibe zu finden.

Da ich keinerlei Schwierigkeiten über die Mietbedingungen machte, fand ich auch bald etwas Passendes; ich wurde in eine leidlich hübsche Suite von Zimmern in dem Haus einer anständig aussehenden Witwe geführt, die zwei junge, blühende Töchter hatte, die mich, den neuen Mieter, mit allem anderen als wohlgefälligen Blicken betrachteten; mit meinem gespenstischen, kadaverhaften Aussehen versprach ich ihnen wohl kaum, ein angenehmer Hausgefährte zu werden.

Nun, darauf war ich vorbereitet gewesen, denn ich hatte inzwischen einen Blick in den Spiegel geworfen, und der hatte genügt; ich kann wohl behaupten, niemals ist ein schrecklicheres Skelett, angetan mit Samt und Seide, durch die Straßen der City gewandelt.

Als ich mich auf mein soeben erst gemietetes Zimmer zurückgezogen hatte, fühlte ich mich so schwach und krank, daß ich kaum noch einen Fuß dem anderen nachziehen konnte; verzweifelt überlegte ich, was ich dagegen tun könnte, als plötzlich ein seltsames Gefühl über mich kam, was mir vielleicht schmecken würde – was, nun was? Blut, ja, rotschäumendes, frisches Blut, das gleich Fontänen aus den Venen eines keuchenden Opfers sprudelt.

Eine Uhr im Treppenhaus schlug ein Uhr nachts. Ich stand von meinem Bett auf und horchte; im Haus war alles still – still wie in einem Grab.

Es war ein großes, altes, weitverzweigtes Gebäude, das zweifelsohne einmal einem reichen und bedeutenden Mann seiner Zeit gehört hatte. Mein Zimmer war eines von sechs, die von einem Korridor von beträchtlicher Länge abgingen, der quer durch das ganze Haus führte.

Auf diesen Korridor schlich ich hinaus und horchte erneut, volle zehn Minuten lang, aber ich hörte nicht das leiseste Geräusch, außer meinem eigenen verhaltenen Atem. Das erkühnte mich in meinem mit jedem Augenblick noch wachsenden Appetit auf frisches Blut so, daß ich mich zu fragen begann, aus wessen Venen ich mir am besten diese Stärkung und Nahrung holen könnte.

Aber wie hatte ich da vorzugehen? Wie sollte ich wissen, welchen Schläfer in dem großen Haus ich am ungefährdetsten attackieren konnte, denn daß ich dazu jemanden attackieren mußte, war mir inzwischen natürlich klar. Ich stand da wie ein böser Geist, der über die Mittel und Wege nachsann, sich ein Opfer zu holen.

Und gerade da kam wieder ein neuer Schwächeanfall über mich, jenes entsetzliche Schwächegefühl, das mit jedem Moment stärker wurde und mich völlig zu übermannen drohte. Ich fürchtete, daß ich nach einem neuerlichen Schwächeanfall nicht mehr imstande sein würde, wieder aufzustehen; und so seltsam das auch erscheinen mag, ich hing plötzlich verzweifelt an diesem neuen Leben, das mir da gegeben worden war. Ich schien bereits mit allen dessen Schrecken, aber noch nicht mit dessen Freuden vertraut zu sein.

Plötzlich lichtete sich das Dunkel in dem Korridor, weicher Silberschein fiel herein, und ich sagte mir:

»Der Mond muß aufgegangen sein.«

Ja, tatsächlich war der helle und schöne Mond, der solch einen wiederbelebenden Einfluß auf mich gehabt hatte, als ich inmitten der Gräber gelegen hatte, hinter einer Wolkenbank am östlichen Himmel hervorgekommen, und sein Schein fiel zu einem kleinen Fenster herein. Das Mondlicht erfüllte von dort aus den ganzen Korridor, ihn zwar nur schwach, aber wirksam genug erhellend, um mich ganz klar die verschiedenen Türen erkennen zu lassen, die in die diversen Zimmer führten.

Und so kam es, daß ich zwar genügend Licht hatte für alles, was ich unternehmen wollte, aber sonst keinen weiteren Anhalt.

Die Mondstrahlen, die mir ins Gesicht fielen, schienen mir jedoch vorübergehend neue Kräfte zu verleihen. Erst viel später lernte ich aus Erfahrung kennen, daß sie auf mich immer eine solche belebende Wirkung haben, aber schon damals spürte ich es, obwohl ich diese Wirkung noch keineswegs dem königlichen Himmelsgestirn der Nacht zuschrieb.

Ich ging den Korridor entlang und spürte plötzlich einen Einfluß, der mich zu einer bestimmten Tür hinzog. Ich weiß nicht, wie und woher das kam, aber ich legte meine Hand auf den Türgriff und sagte mir sofort:

»Da drinnen werde ich mein Opfer finden.«

Ich hielt jedoch erst noch einen Moment inne, denn plötzlich wurde mir bewußt, welch schreckliche Tat ich zu begehen im Begriff war und welch schwere Konsequenzen sich daraus vielleicht für mich ergeben konnten. Selbst nachdem ich so weit gegangen war, wäre ich vielleicht immer noch vor der Tat selbst zurückgezuckt, wenn ich nicht gerade im nämlichen Augenblick einen neuen Schwächeanfall gespürt hätte, so entsetzlich und verheerend, daß ich überzeugt war, es würde mein sicherer Tod sein, wenn ich nicht sofort etwas dagegen unternähme.

Daraufhin zögerte ich nicht mehr länger; ich drückte die Klinke nieder, glaubte aber sicher, dadurch entdeckt zu werden. Und so ließ ich die Tür etwa einen Zollbreit offenstehen und floh zu meinem eigenen Zimmer zurück.

Ich horchte gespannt, aber es erfolgte weder ein Alarm, noch rührte sich etwas in irgendeinem der anderen Zimmer – die gleiche totenähnliche Stille wie vorher lag über dem Haus, und ich hatte das Gefühl, daß ich immer noch sicher war.

Ein weicher Strahl von gelbem Licht war durch den Spalt jener Tür gefallen, als ich sie geöffnet hatte. Er mischte sich seltsam mit dem silbrigen Mondlicht, und ich schloß daraus, korrekt genug, wie ich später feststellte, daß in dem Zimmer eine Lampe brannte.