Also verließ ich mich auf meine eigene Stärke und gedachte, diese skrupellos zu nutzen; ich wartete in leidlich gefaßter Haltung die Nacht ab.
Während des Tages vergnügte ich mich durch Spazierengehen und bemerkte die vielen Veränderungen, die in lediglich zwei Jahren in London vor sich gegangen waren. Aber es waren eben zwei sehr bedeutsame, schicksalhafte Jahre gewesen. Die Gefühle und Gewohnheiten der Leute hatten eine völlige Revolution durchgemacht, über welche ich noch mehr erstaunt war, als ich dann erfuhr, mit welch heimtückischem Verrat die Restauration der exilierten Stuart-Familie bewirkt worden war.
Der Tag ging weiter. Ich verspürte keinerlei Bedürfnis nach irgendwelchen Erfrischungen; ich fühlte mich längst wieder vollends hergestellt, und wenn ich ab und zu einen kräftigenden Schluck köstliches Lebensblut bekam, wie in der letzten Nacht, würde das genug frisches Mark für meine Knochen sein. Davon war ich überzeugt.
Als ich das Haus betrat, das ich zu meinem zeitweiligen Heim gemacht hatte, konnte ich sehen, daß mein Gefühl, mein Aussehen hätte sich inzwischen grundlegend verbessert, nicht von anderen geteilt wurde, denn die gesamte Familie schrak vor mir zurück, als sei ich mit einer ansteckenden Krankheit behaftet und als wäre die bloße Luft, die ich atmete, hassenswert und verderblich. Ich war überzeugt, daß in der Zwischenzeit über mich gesprochen worden war und daß ich jetzt wieder im höchsten Grade verdächtigt wurde. Sicher hätte ich das Haus unverzüglich leise und still verlassen können, aber eine Art Trotzgefühl wurde in mir wach, das mich davon abhielt.
Ich harte das Gefühl, als sei ich verletzt worden und müßte mich deshalb gegen etwas wehren, das nach Unterdrückung aussah.
»Warum«, sagte ich, »bin ich eigentlich aus dem Grab gerettet worden? Nur um einem böswilligen Schicksal als Spielball zu dienen? Gewiß, mein Verbrechen war schwer, aber dafür habe ich auch genug gelitten, durch meine Todesqualen genug gebüßt. Oder man hätte mich lieber gleich da im Grab ruhen lassen sollen.«
Diese Gefühle gewannen immer mehr Platz in meinem Denken, beherrschten mich bald völlig, und in einer Art trotziger Verzweiflung glaubte ich deshalb, alle Pläne, mich noch weiter zu strafen, vereiteln zu müssen, selbst wenn dieses der Vorsehung selbst zuwiderlaufen sollte.
Dies war letztlich der Grund, warum ich mich nicht als Feigling zeigen und beim ersten Anzeichen von Gefahr fliehen wollte.
Ich saß in meinem Zimmer, bis die Stunde meiner Verabredung mit Mr. Harding kam, ging dann zuversichtlichen Schrittes den Korridor hinauf, wobei ich die Spitze meiner Degenscheide über den Boden klappern ließ, und klopfte kühn an seine Tür. Es schien mir, als zögerte er ein wenig, ehe er mich bat, hereinzukommen, aber vielleicht bildete ich mir das auch nur ein.
Er saß voll angekleidet an einem Tisch, und außer seinem Degen hatte er vor sich auf dem Tisch eine riesige Pistole liegen, beinahe halb so lang wie ein Karabiner.
»Ich sehe, Sie sind gut vorbereitet«, sagte ich, indem ich auf die Pistole deutete.
»Ja«, sagte er, »und ich werde keineswegs zögern, sie zu gebrauchen.«
»Was wollen die jetzt wieder?«
»Wer will was?« fragte er.
»Ich weiß nicht«, sagte ich, »aber mir war so, als hätte da gerade jemand unten im Haus Ihren Namen gerufen.«
»So, wirklich? Dann entschuldigen Sie mich bitte einen Moment, vielleicht haben sie unten etwas entdeckt.«
Es stand eine Karaffe Rotwein auf dem Tisch, und während Harding weg war, goß ich ein Glas voll vorn in den Lauf der Pistole hinein. Dann wischte ich die Mündung sorgfältig mit der Manschette meines Jacketts ab, so daß äußerlich nichts davon zu merken war, daß ich das Pulver durchnäßt hatte.
Als er zurückkam, sah er mich argwöhnisch an und sagte:
»Niemand hat mich gerufen. Wie kommen Sie denn dazu, zu behaupten, jemand hätte mich gerufen?«
»Weil ich glaubte, ich hätte gehört, wie jemand Sie rief. Es wird einem Menschen ja wohl noch gestattet sein, sich dann und wann einmal zu irren.«
»Ja, aber ich bin dennoch überrascht, wie Ihnen ein solcher Irrtum unterlaufen konnte.«
Es war nicht ganz einfach, ohne zu zucken seinem durchdringenden Blick standzuhalten, aber schließlich wandte er ihn ab, nahm seine Pistole in die Hand und überprüfte das Zündhütchen. Das war natürlich in Ordnung, und offenbar befriedigt legte er die Pistole wieder hin.
»In den Korridor wird ein Tisch mit zwei Stühlen gestellt werden«, sagte er, »so daß wir dort ganz bequem sitzen können. Ich will keineswegs voraussagen oder behaupten, daß etwas geschehen wird, aber wenn, dann werde ich von diesen Waffen hier rücksichtslos Gebrauch machen; das möchte ich noch einmal wiederholen.«
»Daran zweifle ich nicht und kann Ihnen das nur empfehlen«, sagte ich. »Jene Pistole da muß eine schreckliche Waffe sein. Hat sie manchmal auch Fehlzündungen?«
»Nicht, daß ich wüßte«, sagte er. »Außerdem habe ich sie mit besonderer Sorgfalt geladen, und deshalb ist es beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, daß sie ausgerechnet diesmal nicht losgehen sollte. Trinken Sie ein Glas Wein?«
Genau in diesem Augenblick kam von der Haustür lautes Klopfen. Ich sah einen Ausdruck von Genugtuung über sein Gesicht kommen, er sprang auf die Beine und brachte die Pistole auf mich in Anschlag.
»Wissen Sie, was jenes Klopfen zu bedeuten hat?« sagte ich. »Zu solch einer Stunde?« Gleichzeitig schleuderte ich mit einer Armbewegung seinen Degen vom Tisch und damit außerhalb seiner Reichweite.
»Ja«, sagte er ganz aufgeregt, »Sie sind mein Gefangener. Sie waren es, der letzte Nacht das Unheil und Durcheinander gestiftet hat. Das Mädchen ist bereit zu schwören, daß Sie es waren, und wenn Sie jetzt zu fliehen versuchen, blase ich Ihnen mit einer Kugel das Gehirn aus.«
»Feuern Sie nur auf mich, und nehmen Sie die Konsequenzen in Kauf«, sagte ich. »Aber auch die Drohung allein genügt mir schon, Sie werden für Ihre Unverschämtheit sterben.«
Ich zog meinen Degen, und er wähnte sich offenbar in unmittelbarer Lebensgefahr, denn er drückte sofort die Pistole ab, mit der Mündung direkt in mein Gesicht. Natürlich ging bei der nur das Pulver in der Pfanne los, sonst nichts, aber einen Moment darauf ging dafür mein Degen durch ihn hindurch wie ein Blitz. Es war eine gute Klinge, die mir der Jude verkauft hatte – das Heft stieß gegen sein Brustbein, und er schrie auf.
Bum, bum, bum, kam es indessen wieder von der Haustür. Ich zog die blutige Klinge zurück, rammte sie, während ich die Treppe hinunterraste, in die Scheide und kam unten gerade zurecht, meine Wirtin davon abzuhalten, die Haustür zu öffnen. Ich packte sie am Genick, schleuderte sie ein ganzes Stück weit in den Flur nach hinten, öffnete dann selber die Haustür, trat hinter sie und ließ drei Männer an mir vorbei ins Haus stürzen. Dann kam ich hinter der Tür hervor, verließ unauffällig das Haus und war frei. Dieses letzte Abenteuer hatte mich weder besonders beeindruckt, noch verursachte mir der Tod Hardings irgendwelche Gewissensbisse; ich hatte ganz einfach nur getan, was getan werden mußte, um mir die Freiheit zu erhalten.
Eilig ging ich die Straße entlang und schaute mich nicht ein einziges Mal um, bis ich weit genug weg war und mich sicher fühlte, daß jede Verfolgung ausgeschlossen war.
Ich begann dann nachzudenken, was ich als nächstes zu tun hatte.
Ich fühlte mich durch die Blutmahlzeit, die ich bereits zu mir genommen hatte, zwar wieder kräftig belebt, aber ich war noch so neu in meiner Vampir-Existenz, daß ich nicht die mindeste Ahnung hatte, wie lange eine solche Mahlzeit in der Wirkung anhalten würde, mir weiter Leben und Kräfte zu geben.