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Dabei war es eine ganz merkwürdige übernatürliche Art von Kräften, die ich in mir spürte und die absolut nichts gemeinsam hatten mit jenen, die ein normaler Mensch empfindet, wenn er sich im Vollbesitz seiner Vitalität fühlt. Nein, bei mir war es mehr; ich spürte eine geradezu magische Kraft, der nichts widerstehen konnte, die alle Hindernisse einfach hinwegfegen würde.

Als ich schließlich stehenblieb, fand ich mich in der Pall Mall wieder, nicht weit vom St.-James-Palast entfernt, der letzthin so viele Wechsel erlebt hatte und Zeuge so vieler bemerkenswerter Veränderungen in den Affären von Monarchen gewesen war, daß allein die nackten kommentarlosen Chroniken darüber einen dickleibigen Wälzer ergeben hätten.

Ich schlenderte bis zu dem offenen Gitter des königlichen Palastes vor, doch als ich jenes Viereck betreten wollte, das der Colour-Court genannt wurde, wies ein Wachtposten mich rüde zurück.

So war es zu Zeiten Cromwells nicht gewesen, aber im Moment hatte ich völlig vergessen gehabt, daß sich die Dinge inzwischen grundlegend geändert hatten.

Ich beuge mich immer der Autorität, wenn ich sehe, daß kein Weg an ihr vorbeiführt, und so wandte ich mich auch jetzt sofort zur Seite, ohne irgendeine Bemerkung zu machen. Aber gerade, als ich das tat, sah ich, wie sich nicht weit von dort, wo ich stand, eine kleine Tür öffnete, und zwei in dicke, braune Mäntel gehüllte Gestalten traten heraus.

Auf den ersten Blick sahen sie nicht gerade wie Standespersonen aus, aber wenn man ihre Gesichter, ihre Gestalten und ihr Gehabe ein paar Sekunden lang genauer beobachtete, wie ich es tat, kam man zwangsläufig zu dem Schluß, daß es irgendwelche sehr hochgestellte Persönlichkeiten sein mußten.

Abenteuer war für mich das Leben selbst, jetzt, da ich alle anderen Bande an die irdische Welt abgeschüttelt hatte, und ich hatte eine rücksichtslose Verachtung für alle Gefahren, was bei meiner einzigartigen gefeiten Art von Existenz nur natürlich war. Ich beschloß, diesen beiden Männern dicht genug zu folgen.

»Sollen wir uns ein Vergnügen machen?« sagte der eine.

»Ich bin sicher, daß uns die Ladies welches liefern werden«, entgegnete der andere.

»Und doch waren sie bei unserem letzten Zusammentreffen ziemlich schüchtern, finden Sie nicht auch, Rochester?«

»Eure Majestät –«

»Pst, Mann, pst! Seien Sie doch nicht so unvorsichtig, mich in öffentlichen Straßen mit Majestät anzureden. Wenn ein Lauscher das hört, könnte es einen Hofskandal geben. Ich muß Sie doch bitten, etwas vorsichtiger zu sein.«

»Aber der Name Rochester, den Sie gerade fallenließen, könnte ebenso leicht einen Hofskandal heraufbeschwören wie der –«

»Pst, pst! Sagte ich tatsächlich gerade Rochester? Nun, nun, Mann, behalten wir Namen und Titel also für uns und kommen Sie schnell. Wenn wir die Ladys überzeugen können, herauszukommen, können wir mit ihnen in den Garten des Palastes gehen. Ich habe den Schlüssel zu jener bequemen kleinen Tür in der Mauer, die uns schon mehr als einmal gedient hat.«

Natürlich hatte ich danach keinerlei Schwierigkeiten mehr, in dem einen Sprecher den restaurierten Monarchen, Charles den Zweiten, zu erkennen und in dem anderen seinen Favoriten und ausschweifenden Begleiter, Rochester, von dem ich schon allerhand gehört hatte, obwohl ich noch nicht lange genug wieder in dem Reich der Lebenden weilte, um schon einmal Gelegenheit gehabt zu haben, einen von ihnen zu sehen. Aber nachdem sie solchermaßen selbst bekannt hatten, wer sie waren, würde ich sie von nun an jederzeit wiedererkennen.

Ich hatte mich sorgfältig außer Sicht gehalten, während der kleine Dialog geführt worden war, und so entdeckten sie mich nicht, obwohl sie mehr als einmal argwöhnische Blicke um sich geworfen hatten. Befriedigt, daß ihr unvorsichtiges Gespräch keinen Schaden angerichtet hatte, gingen sie eilig weiter in Richtung Pimlico.

Charles und sein Begleiter hatten also nicht die mindeste Ahnung, welch ein schreckliches Wesen sich an ihre Fersen geheftet hatte. Wenn der König auch leichtsinnig genug war, so daß man ihm gefahrlos hätte folgen können, warf Rochester ständig lauernde, argwöhnische Blicke um sich, und mehr als einmal war ich dicht davor, von ihm entdeckt zu werden, entging dem aber durch mein geschicktes Verhalten und meine Behendigkeit.

Pimlico war zu jener Zeit eine trostlose Gegend und weit von dem entfernt, was es heute ist. Aber sowohl der König als auch Rochester schienen sich dort bestens auszukennen; sie gingen eine beträchtliche Strecke schnurstracks weiter, bis sie in eine schmale, öde und verlassen daliegende Straße kamen, die auf beiden Seiten nicht von Häusern, sondern von Gartenmauern eingefaßt war. Nach der Höhe und Festigkeit dieser Mauern zu urteilen, mußten die Häuser, die dahinter standen, von einiger Bedeutung sein.

»Bravo, bravissimo«, sagte der König. »Es ist uns gelungen, derart weit in feindliches Territorium vorzudringen, ohne bisher beobachtet worden zu sein.«

»So scheint es«, entgegnete Rochester. »Glauben Sie, daß wir jene bestimmte Mauerstelle jetzt auch wiederfinden werden?«

»Aber sicher finden wir die wieder. Ich habe die Ladys doch gebeten, dort ein Taschentuch oder irgendein anderes Zeichen hinzuhängen, damit es uns im Nachtdunkel den Weg weist, und dort flattert es auch schon.«

Der König zeigte auf eine Stelle der Mauerkrone, an der ein Taschentuch geschwenkt wurde. Ein menschlicher Kopf erschien gegen den Nachthimmel, und eine Stimme, so süß, wie ich noch niemals im Leben gehört hatte, sagte:

»Gentlemen, ich bitte Sie, gehen Sie wieder weg.«

»Was?« sagte der König. »Wieder weggehen? Nachdem wir den ganzen weiten Weg gekommen sind. Ist das eine Weiberlaune?«

»Nein«, sagte die Stimme. »Wir fürchten vielmehr, Gentlemen, wir werden beobachtet.«

»Wir?« sagte Rochester. »Sie sagen wir, und doch ist Ihre hübsche Begleiterin nirgendwo zu sehen.«

»Edler Sir«, sagte die Lady. »Es ist für unsereins nicht die leichteste Sache der Welt, auf einer Leiter zu stehen. Und noch viel weniger ginge es zu zweit.«

»Hübsche Lady«, sagte der König. »Wenn Sie es nur irgendwie schaffen könnten, über die Mauer zu kommen, werden wir alle vier einen der angenehmsten und amüsantesten Spaziergänge der Welt machen. Ein Freund von mir, der ein Hauptmann in der Königlichen Garde ist, wird uns auf meine Bitte erlauben, in dem Privatgarten des St.-James-Palastes zu lustwandeln.«

»Wirklich?«

»Ja, meine Schöne. In jenem Garten, von welchem Sie vielleicht schon gehört haben, daß er der Lieblingsaufenthalt des fröhlichen Charles’ ist.«

»Aber wir sind in Angst«, sagte die Lady, »unser Onkel könnte nach Hause kommen. Es ist wirklich sehr unschicklich, sehr indiskret, und wir sollten eine solche Sache eigentlich überhaupt nicht in Betracht ziehen. In der Tat, Gentlemen, sie wäre regelrecht skandalös – aber wie sollen wir jetzt über die Mauer kommen?«

Alle zusammen lachten sie kichernd auf.

Es war gewißlich eine höchst raffinierte kleine Rede, welche die Lady auf der Mauer gehalten hatte; sie ließ ganz trefflich erkennen, wie hier Neigung und Klugheit miteinander rangen. Und es war auch genau die Art von Rede, welche jene ansprach, an die sie gerichtet war.

Nachdem das Gelächter ein wenig abgeebbt war, sagte Charles:

»Aber mit Hilfe der Leiter können Sie doch, wenn Sie mit ihr auf der anderen Seite heraufgekommen sind, auf dieser ebenso leicht wieder hinab. Ich vermute, Ihnen fehlen wohl nur die Kräfte, sie herüberzuheben.«

»Genauso ist es«, sagte die Lady.

»Nun, ich glaube, mit Unterstützung meines Freundes Smith hier würde ich es schaffen; auf die Mauer heraufzukommen, und ich werde Ihnen dann helfen.«

Mit Hilfe von Rochester schaffte Charles es auch tatsächlich, die Mauerkrone zu erklimmen, um den Schönen hinüberzuhelfen, die so ängstlich, aber doch auch so willens waren, ein wenig Gefahr für ihren Ruf zu riskieren, um im Königsgarten von St. James lustwandeln zu können.