Mir kam jetzt der Gedanke, einen Zwischenfall zu inszenieren, aber andererseits wollte ich lieber nicht stören, sondern vielmehr beobachten, wie sich die Sache weiterentwickeln würde.
Nachdem die beiden Ladys oben auf der Mauer waren, zog der Monarch die Leiter nach, und während Rochester diese, an der anderen Seite der Mauer angelehnt, hielt, stiegen die beiden Schönen ganz bequem und sicher auf ihr herab. Eilig entfernte sich dann die Gesellschaft in Richtung St. James.
Ich folgte ihr mit großer Vorsicht, nachdem ich die Leiter genommen und rasch ein paar Grundstücke weitergetragen hatte. Die vier redeten und lachten in der denkbar fröhlichsten Art, bis sie zum Buckingham-Palast kamen, wo sie einen verschwiegenen Pfad einschlugen, der sie in den Garten von St. James bringen würde.
Überhängende Bäume warfen hier solch undurchdringliche Schatten, daß ich mich der Gruppe gefahrlos auf Hörweite nähern konnte. So bekam ich mit, daß die Ladys inzwischen leicht alarmiert waren über soviel Geheimnistuerei und Verstohlenheit, in den königlichen Garten zu gelangen.
»Gentlemen«, sagte die eine, »wir kommen nicht in den Garten mit, wenn Sie dazu nicht eine ordnungsgemäße Erlaubnis haben.«
»Aber die haben wir«, sagte der König. »Nachdem mir diese Erlaubnis für einige Zeit genommen war, habe ich sie kürzlich wiedererhalten und noch ein paar andere Privilegien dazu, nach denen es mich schon sehnlichst verlangt hatte.«
»Sie brauchen nicht das mindeste zu fürchten«, fügte Rochester, zu den Ladys gewandt, hinzu.
Zu viert standen sie alle vor einer kleinen Tür, während der König ein paar Minuten lang mit einem Schlüssel fummeln mußte, bevor er das Schloß aufbekam. Endlich hatte er es geschafft, die Tür schwang auf. Der König ließ dann versehentlich den Schlüssel fallen, konnte ihn nicht wieder finden und mußte die Tür deshalb angelehnt lassen. So war es mir ohne weiteres möglich, der Gruppe zu folgen, als sie durch die Tür gegangen war.
Die Örtlichkeit lag in tiefstem Dunkel.
Unter meinen Schuhen konnte ich den feinen, weichen Kies knirschen hören; aus Angst, das könnte meine Anwesenheit verraten, ging ich zur Seite, bis ich auf einen weichen Rand kam, der aus Turf zu bestehen schien. Der Duft süßer Blumen drang mir in die Nase, und wenn der Nachtwind leise durch die Bäume strich, kam von ihnen ein Säuseln, so angenehm und zart wie Musik.
Der weiche Boden verhinderte absolut, daß meine Schritte gehört werden konnten, und so war ich bald ganz dicht an der Gruppe dran, die ich vor dem Eingang eines kleinen Lustpavillons stehend fand, aus dessen buntverglastem Fenster Lichtschein fiel.
Die Ladys schienen ziemlich nervös zu sein, und doch hatte sich die Affäre für sie als so charmantes und romantisches Abenteuer angelassen, daß sie jetzt wohl niemals mehr umgekehrt und zurückgegangen wären, selbst wenn sie alle Möglichkeiten der Welt dazu gehabt hätten.
Schließlich gingen sie alle in den Pavillon hinein.
Ich schlich hinterher und fand ein Fenster, durch das ich einen guten Blick ins Innere hatte. Ich war höchst amüsiert über das, was ich sah.
Das Innere war höchst geschmacklos dekoriert, obwohl es ein wenig zum Frivolen neigte, und die Bilder, als Fresken an die Wände gemalt, waren wohl auch nicht gerade das, was strikte Prüderie als korrekt betrachtet haben würde, wiewohl an ihnen auch nichts eigentlich Anstößiges war.
Ein Tisch stand in der Mitte und war mit reichem Konfekt und Wein gedeckt, während die Lampe, deren Schein durch das buntverglaste Fenster gefallen war, an drei massivgoldenen Ketten von der Decke hing.
Alles in allem war es ein höchst geschmackvoll eingerichteter kleiner Liebespavillon.
Der König und Rochester drängten die Ladys jetzt, Wein zu trinken, und zum erstenmal hatte ich nun Gelegenheit, mir die Gesichter der verschiedenen Personen, denen ich gefolgt war, genauer anzusehen. Ich muß gestehen, daß ich es mit einiger Neugier tat. Die Ladys mußte man fraglos als sehr hübsch bezeichnen, vor allem die jüngere, die dem König zugefallen war. Sie hatte ein Gesicht, so unschuldig und süß, daß ich sie unwillkürlich bedauerte.
Der König war ein kleiner dunkler Mann mit einem scharf geschnittenen, nicht unhübschen Gesicht, aus dem mir jedoch Tücke und Verschlagenheit zu sprechen schienen. Was Rochester betraf, so war er ausgesprochen häßlich. Sein Gesicht war ziemlich flach und von fahlgrauer Farbe; sicher war es nicht dazu angetan, ihm die Gunst einer Lady zu gewinnen. Aber dazu mochte er eine Zunge haben, die selbst einen Engel des Himmels betören würde.
Solche Fähigkeiten zählen bei Frauen, die außer Schönheit auch Verstand haben, weit mehr, und Frauen ohne Verstand sind es gar nicht wert, gewonnen zu werden.
»Nein«, hörte ich den König jetzt sagen. »Sie haben hier nur ganz erlesene Weine, und den hier können Sie ganz beruhigt trinken.«
Aber das jüngere der beiden Mädchen schüttelte den Kopf.
»Geben Sie her«, sagte Charles daraufhin lachend, nahm das Glas, von dem das Mädchen kaum genippt hatte, und kippte es in einem Zug hinunter. »Ich werde Sie schon noch überzeugen, wie hervorragend dieser Wein ist.«
Die Lady, mit der Rochester in leiser Unterhaltung beisammenstand, hatte keine solche Skrupel, sondern trank zwei Gläser so schnell, wie sie ihr nacheinander gereicht wurden, auf einen Zug aus und redete völlig ungeniert, bewunderte den Pavillon, die Fresken, die Wandbehänge und die Möbel; schließlich fragte sie noch, ob manchmal auch der König selber hierherkäme.
Rochester erging sich daraufhin, um sie an der Nase herumzuführen, in mystifizierenden Reden, während ich meine Aufmerksamkeit wieder dem König und der jüngeren Frau zuwandte, die von den beiden zweifellos die begehrenswertere war.
Der König hatte leise auf sie eingesprochen, als sie plötzlich zwei Schritte vor ihm zurückprallte, mit hochrotem Kopf und allen Anzeichen tiefster Empörung.
»Louisa«, erklärte sie laut, »ich fordere deinen Schutz, denn in deiner Obhut wurde ich gelassen. Bringe mich sofort nach Hause, oder ich werde meinem Onkel sagen, daß du sein Vertrauen schändlich verraten hast, indem du mir einredetest, es sei nichts weiter dabei, sich mit diesen Gentlemen zu treffen.«
»Pah, das Kind muß verrückt sein«, sagte Louisa.
»Ja, völlig verrückt«, sagte der König, indem er erneut auf die Jüngere zuging. Diese wandte sich um und floh zur Tür des Pavillons. Ich weiß nicht, was für ein Impuls mich dazu trieb, aber ich verließ sofort das Fenster, rannte von außen her zur Tür des Pavillons und kam dort gerade zurecht, das herausstürzende Mädchen in meinen Armen aufzufangen. Das Licht fiel mir voll ins Gesicht, während ich dem König gegenüberstand.
»Wache!« schrie er. »Wache!«
Louisa heuchelte, in Ohnmacht gefallen zu sein, während sich das jüngere Mädchen verzweifelt an mich klammerte als seinen einzigen Beschützer und ausrief:
»Retten Sie mich! Oh! Retten Sie mich!«
»Die Gartentür ist offengeblieben«, raunte ich ihr zu. »Folgen Sie mir rasch, wir dürfen nicht einen Moment verlieren.« Zusammen flohen wir.
Ich hatte sie gerade durch das kleine Gartentor geschoben und wollte selber hindurchschlüpfen, als ein Schuß von einer der Wachen mich traf; ich wurde zu Boden geschleudert, als hätte die Faust eines Riesen mich niedergeschlagen. Blut rauschte mir vom Herzen in den Kopf; ein, zwei Sekunden lang spürte ich einen brennenden Schmerz, der ganz entsetzlich war. Dann schien mich ein Meer von gelbem Licht zu umfangen.
An mehr erinnere ich mich nicht mehr.
Hinterher fand ich dann heraus, daß dies mein zweiter Tod gewesen war und daß Rochester, der Günstling des Königs, ausdrücklich den Befehl gegeben hatte, mich zu erschießen, statt mich gefangenzunehmen oder gar fliehen zu lassen, denn er fürchtete wohl noch mehr als der Monarch die Enthüllung seiner Laster. Ich glaube nicht, daß Charles, falls er die Befehle gegeben hätte, mich in dieser Art hätte niedermachen lassen, obwohl es schwer vorauszusagen ist, was Könige tun und was nicht, wenn sie ihre Pläne durchkreuzt sehen.