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Es war schon heller Tag, als eine Männerstimme mich ins Bewußtsein zurückrief. Ich lag, wo ich in der Nacht lang hingeschlagen war, und über mir stand der Farmer, die Brotlaibe in Händen. Das Grauen der Nacht saß mir noch immer im Herzen, und während der stämmige Siedler mir auf die Beine half und sich nach dem Gewehr bückte, das mir im Hinstürzen entglitten war, wobei er unter allerlei Fragen sein Mitgefühl bekundete, kam mir zu Bewußtsein, daß meine einsilbigen Erwiderungen ihm keinerlei Auskunft bedeuten, ja nicht einmal verständlich sein konnten.

Noch denselben Tag, nachdem ich das Haus ebenso gründlich wie ergebnislos durchsucht hatte, kehrte ich der Insel den Rücken und fuhr mit dem Farmer zum Festland hinüber, um die letzten zehn Tage meines hiesigen Aufenthalts unter seinem Dach zu verbringen. Und als die Zeit des Abschiednehmens herangekommen war, hatte ich mein Pensum aufgearbeitet, und auch mein nervliches Gleichgewicht war zur Gänze wiederhergestellt.

Am Tage meiner Abreise brach der Farmer schon frühmorgens mit seinem geräumigen Ruderboot auf, um alle meine Habseligkeiten bis zu dem zwölf Meilen entfernten Anlegeplatz zu bringen, der zweimal wöchentlich von einem kleinen Dampfboot angelaufen wurde, das die Jäger mit allem Nötigen versorgte. Spät am Nachmittag machte auch ich in meinem Kanu mich auf den Weg, freilich in anderer Richtung: Ich wollte jener Insel, auf der ich einem so seltsamen Begebnis zum Opfer gefallen, noch einmal einen Besuch abstatten.

Ich traf zur rechten Zeit auf ihr ein und durchstreifte sie ein letztes Mal. Auch die Blockhütte suchte ich noch einmal auf und betrat, nicht ohne die widerstreitendsten Empfindungen, meine Schlafkammer im Oberstock. Aber nichts Ungewöhnliches war zu sehen.

Ich hatte eben vom Ufer abgelegt, als ich voraus in meinem Fahrwasser ein Kanu bemerkte, das soeben hinter der Insel hervorgeglitten war. Ein Kanu um diese Jahreszeit war ein ungewöhnlicher Anblick, und jenes da vorn schien zudem noch wie aus dem Nichts gekommen zu sein! Sobald ich meinen Kurs ein wenig geändert hatte, konnte ich es im Auge behalten, bis es hinter dem nächsten, vorspringenden Uferfelsen verschwand. Es war an beiden Enden hoch aufgebogen und wurde von zwei Indianern gerudert. Gespannt verhielt ich auf der Stelle, um abzuwarten, ob es wohl hinter dem andern Ende der Insel wieder zum Vorschein kommen werde. Und wirklich, noch waren keine fünf Minuten verstrichen, als es neuerlich in Sicht kam.

Es befand sich jetzt nahezu in Rufweite, die auf ihren Schenkeln kauernden Indianer hielten direkt auf mich zu und kamen rasch näher.

Nie in meinem Leben habe ich rascher gepaddelt als in den nun folgenden Minuten! Indes, als ich mich umblickte, um abermals nach meinen Verfolgern Ausschau zu halten, hatten sie ihren Kurs schon wieder geändert und umrundeten wie vorher die Insel.

Die Sonne war schon im Begriff, hinter den Wäldern des Festlands zu versinken, die im Abendrot lodernden Wolken verwandelten den Spiegel des Sees in ein purpurnes Feuermeer, als ich mich zum letztenmal wandte und das große Rindenkanu mit seinen zwei im Dämmerlicht verschwimmenden Insassen noch immer die Insel umkreisen sah. Dann senkte die Dunkelheit der Nacht sich auf raschem Fittich hernieder, der See ward wieder schwarz, der Nachtwind sprang mich an und blies mir seinen Atem ins Gesicht, mir, der ich da ein letztes Kap umrundete, dessen weit in den See hinausragendes Felsmassiv alsbald beide – so Insel wie Kanu – meinen Blicken entzog.

Die Zaubernacht in den Hochlanden von Honoré de Balzac

Honoré de Balzac (1799-1850), der bedeutendste französische Romancier seiner Epoche, wandte sich in seinen »Mystischen Geschichten«, aus denen die hier ausgewählte Erzählung stammt, den dunklen Seiten der menschlichen Seele zu, dem, was die deutschen Romantiker die »Nachtseite der Natur« zu bezeichn en pflegten. Vor dem Hintergrund spukhafter Ereignisse beschreibt Balzac das unheimliche Pandämonium menschlicher Leidenschaften und Triebkräfte.

»Hallowe’en, Hallowe’en!« schrien sie alle. »Das ist der Abend der heiligen Nacht, die schöne Nacht der Skelpies[2] und Fairies[3]! Carrick, und du, Colean, kommt ihr? Alle Bauern von Carrick-Border[4] sind da. Unsere Megs und Jannies kommen auch. Wir werden guten Whisky in zinnernen Krügen bringen und schäumendes Ale und den schmackhaften Parridge[5]. Das Wetter ist schön, der Mond muß bald aufgehen; nie, Kameraden, sollen die Ruinen von Cassilis-Downans eine so heitere Gesellschaft gesehen haben.« Also sprach Jock Muirland, ein Landmann und junger Witwer. Er war, gleich den meisten schottischen Bauern, Theolog, ein wenig Dichter und ein großer Trinker, aber dabei sehr sparsam; Murdock, Will Lapraik und Com Duckat waren bei ihm. Die Unterhaltung fand in der Nähe des Dorfes Cassilis statt. Ihr wißt wahrscheinlich nicht, was der Hallowe’en ist: Es ist das die Nacht der Feen, in der Mitte des August; alle neckischen Geister tanzen dann auf der Heide, eilen über die Gefilde oder reiten auf des Mondes bleichen Strahlen. Der Hallowe’en ist der Fasching der Geister und Gnomen. In dieser Nacht gibt es keine Grotte und keine Felsen, wo nicht ein Ball und ein Fest gefeiert würde; nicht eine Blume, die nicht von dem Hauch einer Sylphide bewegt würde; keine Hausfrau, die nicht sorgsam ihre Türe verschlösse, damit der Spunkie[6] nicht das Frühstück für den folgenden Tag weghole oder seinen Freunden das Essen der Kinder opfere, welche in der Wiege nebeneinanderliegen.

Eine feierliche Nacht legte sich über die Hügel von Cassilis. Denkt euch ein bergiges Land, wellenförmig wie das Meer, dessen zahlreiche Hügel mit grünem und glänzendem Moos bedeckt sind. In der Ferne, auf einem steilen Felsen, erblickt man die Mauern des zerstörten Schlosses, dessen Kapelle das Dach fehlt, die aber sonst fast unversehrt ist mit ihren schlanken Säulen.

Der Boden ist unfruchtbar in jener Gegend, und der Mensch, welcher in der Verödung und dem Grauen eine höchste Macht erkennt, glaubt, daß diesem unfruchtbaren Boden das Siegel der Gottheit selbst aufgedrückt ist.

Die Güte des höchsten Wesens flößt uns wenig Dank ein, aber seine Zuchtrute und Strenge beten wir an.

Die Spunkies tanzten in dieser Nacht auf dem kümmerlichen Rasen von Cassilis, und der aufgegangene Mond scheint breit und rot. Die Spunkies tanzten.

Der Spunkie hat einen Mädchenkopf, schneeweiß, mit langem flammenden Haar. Auch hat er Flügel, doch sitzen diese nicht an den Schultern, sondern an den weißen und dünnen Armen, mit denen sie bis an das Handgelenk verbunden sind. Der Spunkie ist Hermaphrodit – mit einem weiblichen Antlitz verbindet er die zarte Eleganz der männlichen Jugend. Der Spunkie hat keine andere Kleidung als seine Flügel, ein Gewebe, zart und fein, schmiegsam und dicht, undurchdringlich und leicht, wie der Flügel der Fledermaus. Eine bräunliche Färbung, durch welche es rot hindurchschimmert, zeichnet dieses natürliche Gewand aus, das sich um den ruhenden Spunkie zusammenlegt, wie die Falten der Fahne um den Schaft. Lange Rippen, welche in ihrer bläulichen Färbung dem Stahl gleichen, stützen diese langen Flügel, mit denen der Spunkie sich kleidet; eherne Krallen bewaffnen ihre äußersten Enden. Wehe der Hausfrau, die sich abends in die Nähe des Moores wagt, wo der Spunkie lauert, oder die in den Wald geht, den er durchläuft!

An den Ufern der Doon tanzten die Spunkies, als eine heitere Gesellschaft von Frauen, Kindern und jungen Mädchen sich näherte. Sofort verschwanden die Kobolde. Sie breiteten ihre großen Flügel aus und verdunkelten den Mond. Sie gleichen einer Wolke von Vögeln, die sich plötzlich aus rauschendem Röhricht erheben. Muirland und seine Gefährten blieben stehen.

»Mich graust«, sagte ein junges Mädchen.

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2

Wassergeister

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4

Name des Bezirks

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5

Ein schottischer Pudding