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John McCarthy fügte sich bereitwillig den Anordnungen des Prinzipals. Er ist ein Schauspieler, der sich um innere Drangsale nichts schert, es sei denn, es handelt sich darum, genau buchzuführen über die Stunden seines Schlafes und über jeden Penny, den er ausgibt. Auf der Bühne indes kann John mit natürlicher Leichtigkeit Gefühle verkörpern, die er ansonsten zu fühlen vollkommen außerstande ist.

Der Prinzipal brachte F.F. mit einer energischen Geste zum Schweigen und schickte sich gerade an, einen Entschluß zu fassen, als ich eine sechste Person in den Kulissen nahe unserer Gruppe stehen sah, eine schwarze Gestalt, die aussah wie ein in Segeltuch gewickelter Christbaum, mit einem großen Helm auf dem Kopf, der trotz des Schleiers darüber keinen Zweifel an seiner Bestimmung zuließ. Ich packte den Prinzipal am Arm und deutete stumm auf die Figur. Dieser stieß einen derben Fluch aus, ging auf die Figur zu und sagte, sich verlegen räuspernd: »Guthrie, du alter Hundesohn, kannst du denn überhaupt noch auftreten?«

Die Figur grunzte bestätigend.

Joe Rubens zog eine Grimasse, die soviel wie ›Show Busineß‹ bedeutete, dann griff er sich einen Speer vom Garderobentisch und eilte, kurz bevor sich der Vorhang hob, quer über die Bühne, um seinen Auftritt als Marcellus nicht zu versäumen. Die ersten Verse des Dramas ertönten, zuerst noch etwas laut, aber atmosphärisch wunderbar dicht, dann leiser, beklemmender:

»Wer da?«

»Nein, mir antwortet: steht und gebt Euch kund.«

»Lang lebe der König!«

»Bernardo?«

»Er selbst.«

»Ihr kommt gewissenhaft auf Eure Stunde.«

»Es schlug schon zwölf; mach dich zu Bett, Francisco.«

»Dank für die Ablösung! ‘s ist bitter kalt, und mir ist schlimm zumut.«

»War Eure Wache ruhig?«

»Alles mausestill.«

Mit einem resignierenden Schulterzucken setzte sich John McCarthy nieder. F.F. tat dasselbe, allerdings mit einer ganz anderen Geste: verbittert ballte er die Fäuste. Die Szene war sehr komisch. Zwei Geister saßen in den Kulissen und beobachteten einen dritten Geist, der auf seinen Auftritt wartete. Ich knöpfte meinen Mantel auf, zog ihn aus und hing ihn über meinen linken Arm.

Die beiden ersten Erscheinungen des Geistes sind völlig stumm. Er betritt die Bühne, zeigt sich den Soldaten und verschwindet wieder. Dennoch applaudierte das Publikum – die zweite, dritte und vierte Reihe, so schien es, grüßte ihren patriarchalischen Helden. Guthrie fiel nicht zu Boden, ja, er ging sogar aufrecht, was vielleicht auf den Applaus zurückzuführen war.

Außergewöhnlich war einzig die Tatsache, daß er vergessen hatte, das kleine grüne Licht in seinem Helm anzuschalten. Aber das war eine Nachlässigkeit, die bei seinem ersten Auftritt nicht ins Gewicht fiel. Als er wieder abtrat und sich in eine dunkle Bühnenecke verziehen wollte, rannte ich zu ihm hinüber und flüsterte ihm zu, daß seine Lampe nicht brannte. Durch den undurchsichtigen grünen Schleier schlug mir als Antwort eine Whiskyfahne entgegen, ansonsten gab er mir grunzend zu erkennen, daß er es erstens bereits wußte, daß die Lampe zweitens noch funktionierte und daß er sich drittens daran erinnern würde, sie beim nächsten Male anzuschalten.

Nach diesem Auftritt schlich ich über die Bühne, wo gerade die Szene im Staatszimmer des Schlosses eingerichtet wurde. Joe Rubens hielt mich fest und sagte, Guthries Lampe sei nicht eingeschaltet gewesen, worauf ich ihm entgegnete, daß ich Guthrie schon darauf aufmerksam gemacht hätte.

»Wo, um Himmelswillen, hat er sich denn die ganze Zeit über rumgetrieben?«

»Ich weiß es nicht.«

In der zweiten Szene trat F.F. der sich inzwischen der Geisterutensilien entledigt hatte, als König auf, eine Rolle, die er fast immer spielte, seine beste übrigens. Gertrude Grainger als Königin wirkte neben ihm sehr majestätisch. Zaghaft rührte sich wieder etwas Applaus, denn unser Prinzipal betrat im schwarzen ›Hamlet‹-Wams die Bühne, um ungefähr zum siebenhundertsten Male Shakespeares längste und größte Rolle zu spielen. Monica, die immer noch auf ihrem Koffer nahe dem Schaltpult saß, sah unter ihrem Make-up blasser denn je aus. Ich faltete meinen Mantel zusammen und bedeutete ihr wortlos, ihn als Kissen zu benutzen. Dann setzte ich mich neben sie, sie nahm meine Hand, und so verfolgten wir das Spiel vor den Kulissen.

»Fühlen Sie sich besser?« fragte ich sie nach einer Weile flüsternd. Sie schüttelte den Kopf. Dann beugte sie sich zu mir herüber, wobei ihr Mund fast mein Ohr berührte, und wisperte ganz aufgeregt: »Bruce, ich habe Angst. Dieses Theater ist nicht ganz geheuer. Ich glaube einfach nicht, daß es Guthrie war, der den Geist gespielt hat.«

»Natürlich war er es«, flüsterte ich zurück. »Ich habe ja mit ihm gesprochen.«

»Haben Sie sein Gesicht gesehen?« fragte sie.

»Nein, aber ich konnte seine Fahne riechen!« Dann erzählte ich ihr die Sache mit der Helmlampe und fuhr fort: »Francis und John hatten sich beide schon als Geister verkleidet, als plötzlich Guthrie erschien. Mag sein, daß Sie einen von ihnen gesehen haben, bevor die Szene begann, und das brachte Sie auf die Idee, jemand anderer als Guthrie sei aufgetreten.«

Sybil Jameson sah anklagend zu mir herüber, weil ich offenbar zu laut gesprochen hatte. Daraufhin kam Monica noch näher mit ihrem Mund heran, so daß ihre Lippen fast mein Ohr berührten.

»Ich habe nichts dagegen, wenn jemand anderer den Geist spielt«, flüsterte sie kaum hörbar, »wirklich nicht, Bruce, aber in diesem Theater geht etwas um …«

»Sie sollten diesen Ouija-Unsinn vergessen«, sagte ich ein wenig zu scharf. »Stehen Sie jetzt bitte auf«, fügte ich noch schnell hinzu, denn der Vorhang ging eben über der zweiten Szene nieder; es war höchste Zeit für Monica, deren Auftritt mit Laertes und Polonius unmittelbar bevorstand.

Ich wartete, bis sie auf der Bühne war und ihre ersten Verse gesprochen hatte. Obwohl ich sicher war, daß ihr ihre überreizten Nerven einen Streich gespielt hatten, ließen mich ihre unheimlichen Beobachtungen erschauern. Was mich wiederum auf den Gedanken brachte, noch einmal mit Guthrie zu sprechen und mir sein Gesicht anzusehen. Während ich äußerst behutsam ging, damit sich der Vorhang nicht bauschte, ließ mich plötzlich eine Szene vor Verblüffung sprachlos innehalten, die ich schon einmal gesehen hatte, als ich von meinem Gang durch die Bars zurückgekommen war. Nur war die Bühne jetzt hell erleuchtet. Props saß hinter seinem Requisitentisch und beobachtete alles sehr aufmerksam. Hinter ihm sah ich wieder Francis Farley Scott und John McCarthy in ihren improvisierten Geist-Kostümen, und bei ihnen standen wieder der Prinzipal und Joe, alle in einen heftigen, nur für Lippenleser verständlichen Streit verwickelt, der diesmal aber viel hastiger ausgetragen wurde.

Es wurde mir schnell klar, daß Guthrie wieder verschwunden sein mußte. Als ich auf die Streitenden zuging, schoß mir der alberne Gedanke durch den Kopf, daß Guthrie letztendlich doch noch das Loch entdeckt haben könnte, durch das jeder Alkoholiker liebend gern verschwinden würde, um die Pausen zwischen den leider nun einmal notwendigen Auftritten in der reellen Welt trinkend auszufüllen.

Plötzlich rannte Donald Tryer, unser Horatio, an mir vorbei auf den Prinzipal zu und teilte ihm keuchend mit, daß er Guthrie weder in einer Garderobe noch sonst irgendwo im Bühnenraum aufstöbern könnte.

In diesem Augenblick fiel der Vorhang. Die Kulissen, vor denen Ophelia und die anderen agiert hatten, wurden hochgezogen und gaben den Blick auf die Zinnen Helsingörs wieder frei. Die helle Beleuchtung wurde auf das mitternächtliche Blau der ersten Szene herabgedämpft, so daß man momentan fast überhaupt nichts erkennen konnte. Ich hörte den Prinzipal mit größtem Nachdruck sagen: »Sie spielen den Geist.« Dann hasteten er und Joe und Don auf ihre Plätze, um sich für ihren eigenen Auftritt bereitzuhalten. Sekunden später ging der Vorhang träge zischend in die Höhe, und ich hörte den Prinzipal mit volltönender Stimme rezitieren: