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»Die Luft geht scharf, es ist entsetzlich kalt.«

Dann Don als Horatio:

»‘s ist eine schneidende und strenge Luft.«

Inzwischen hatten sich meine Augen an das Dunkel gewöhnt, und ich sah Francis Farley Scott und John McCarthy Seite an Seite in der Kulisse, durch die der Geist auf die Bühne tritt. Sie schienen noch immer zu streiten, denn jeder der beiden bildete sich ein, der Prinzipal hätte in der Dunkelheit auf ihn gedeutet. Was F.F. betraf, so war es natürlich jederzeit möglich, daß er sich nur diesen Anschein gab. Die Vorstellung von Zwillingsgeistern, die Arm in Arm die Bühne betreten, drohte meinen überreizten, für Komik sehr empfindlichen Verstand ins Schleudern zu bringen. Dann tauchte hinter ihnen jedoch wieder die mächtige Gestalt mit verschleiertem Helm auf – die Geschichte wiederholt sich eben. Auch Scott und McCarthy mußten sie gesehen haben, denn sie blieben abrupt stehen, bevor ich mit meiner Hand die Schulter des dritten Geistes berühren konnte. »Guthrie, sind Sie in Ordnung?« fragte ich flüsternd. Ich weiß, man darf einen Schauspieler vor seinem Auftritt nicht erschrecken, es war sehr töricht von mir, aber die Erinnerung an Monicas panische Angst und die bange Frage, wo Guthrie sich wohl versteckt hatte, machten mich völlig kopflos.

In diesem Augenblick hörte ich die Stimme Horatios:

»O seht, mein Prinz, er kommt.«

Guthrie entzog sich sogleich meinem leichten Griff, trat auf die Bühne, ohne sich auch nur umzudrehen – und ließ mich schaudernd zurück. Denn bei der Berührung seines rauhen, steifleinernen Mantels hatte ich anstelle von Guthries breiten Schultern nur etwas Körperloses gespürt. Ich versuchte mir einzureden, daß es an Guthries Umhang gelegen haben könne, der bei jeder Bewegung ein wenig von seinen Schultern wegstand. Irgend etwas in dieser Art mußte ich mir ja einreden. Dann drehte ich mich um. John McCarthy und F.F. standen vor dem Garderobentisch, zwei dunkle Gestalten, die mir einen neuen Schreck versetzten, was wohl auf meine überspannten Nerven zurückzuführen war. Hinter den Kulissen verborgen beobachtete ich das Geschehen auf der Bühne.

Der Prinzipal lag auf den Knien, während er seinen Degen mit dem Heft nach oben wie ein Kreuz hielt und seine lange Rede begann:

»Engel und Boten Gottes, steht uns bei!« …

Und natürlich hatte der Geist seinen Umhang so eng um sich geschlungen, daß man nicht sehen konnte, was darunter verborgen war. Das kleine grüne Licht in seinem Helm war noch immer nicht eingeschaltet. Für mich war es schrecklich, daß der kleine theatralische Effekt bei der heutigen Vorstellung fehlte, weil ich mir nichts sehnlicher wünschte, als Guthries verwüstetes altes Gesicht zu sehen, um endlich Gewißheit zu erlangen. Gleichzeitig nistete in meiner albernen Fantasie die bizarre Vorstellung, wie Guthries streitsüchtiger Schwiegersohn verärgert die um ihn Versammelten anzischte, daß Gilbert Usher so eifersüchtig auf seinen Schwiegervater sei, daß er ihm nicht einmal erlaube, sein Gesicht auf der Bühne zu zeigen.

In der folgenden Szene, wo der Geist allein mit Hamlet auf der Bühne ist, herrschte fünf Sekunden lang vollkommene Finsternis. Erst dann sprach der Geist seine ersten Verse:

»Hör an!«

Und:

»Schon naht sich meine Stunde,/Da ich den schwefligen, qualvollen Flammen/Mich übergeben muß.«

Falls irgend jemand von uns befürchtet hatte, der Geist könne seinen Text vergessen haben oder sei so betrunken, daß er nur noch lallte, so waren diese Sorgen im Nu verflogen. Die Verse wurden mit größter Autorität und Wirkung gesprochen. Ich war ziemlich sicher, daß ich Guthries eigene Stimme hörte. Er spielte an diesem Abend sogar besser als sonst und interpretierte die Rolle noch distanzierter, weltferner, allem Erdenleben hoffnungslos entfremdet.

Im Zuschauerraum herrschte Totenstille. Ich spürte, wie Francis Farley Scott, der seine Schulter an mich preßte, vor Angst zitterte.

Jedes Wort, das der Geist sprach, war wie ein anderer Geist, erhob sich in die Luft und hing schwebend über uns, bevor es in die Ewigkeit entschwand. »Ich bin Deines Vaters Geist: Verdammt auf eine Zeitlang, nachts zu wandern …«

Die Worte waren kaum verklungen, da fiel mir ein, daß Guthrie ja tot sein konnte und nun sein Geist gekommen sei, um eine allerletzte Vorstellung zu geben. Ein schauderhafter, unmöglicher Gedanke, aber dann erinnerte ich mich, daß Monica ähnliche oder gar noch schrecklichere Gedanken peinigten. Ich mußte unbedingt zu ihr gehen.

Während die Worte des Geistes sich emporschwangen – wunderbare schwarzgefiederte Vögel –, lief ich wieder einmal hinter der Bühne herum. Auf der rechten Seite standen F.F. und John noch genauso da, wie ich sie verlassen hatte, bewegungslose Schemen, erstarrt und gefesselt.

Monica hatte sich von dem Schaltpult entfernt und stand jetzt, ein wenig gebückt, nahe dem Scheinwerfer, der ein diffuses blaues Licht auf den Vorhang warf.

Ich ging zu ihr hinüber, als der Geist gerade von der Bühne abtrat und sich rückwärts entlang des Lichtkegels bewegte, ohne in ihn hineinzutreten, seine letzten Worte sprechend, die noch schrecklicher und einsamer klangen, als ich sie jemals zuvor gehört hatte:

»… Lebe wohl mit eins:

Der Glühwurm zeigt, daß sich die Frühe naht,

Und sein unwirksam Feuer beginnt zu blassen.

Ade! Ade! Ade! Gedenke mein!«

Es vergingen ein, zwei Sekunden, ehe im gleichen Augenblick an zwei verschiedenen Stellen Lärm ausbrach: Monica schrie gellend auf, während gleichzeitig im Parkett und auf den Rängen donnernder Applaus losbrandete, angeheizt von Guthries Leuten, aber diesmal das ganze Publikum mitreißend. Meiner Meinung nach war es der größte Beifall, den der Geist in der ganzen Theatergeschichte jemals bekommen hat. In der Tat war mir vorher nie zu Ohren gekommen, daß sich seinetwegen extra eine Hand gerührt hätte. Es war sicher die unpassendste Stelle zum Klatschen, wenn ich auch zugebe, daß die Vorstellung den Beifall durchaus verdient hat. Aber die Atmosphäre war zerstört, und der anhaltende Applaus nahm der Szene viel von ihrem bedrohlichen Charakter.

Monicas Schrei erstickte in den Beifallswogen, so daß nur ich und einige andere aus der Truppe ihn hören konnten.

Zuerst dachte ich, ich selbst sei die Ursache für den Schrei gewesen, weil ich sie ganz plötzlich, wie zuvor Guthrie, von hinten angefaßt hatte. Aber anstatt zu erschrecken, drehte sie sich um und klammerte sich an mich. Gertrude Grainger und Sybil Jameson nahmen sich ihrer fürsorglich an und versuchten sie zu beruhigen.

Der Beifall war abgeklungen. Der Prinzipal, Don und Joe taten ihr Bestes, um die Situation zu retten, während aus den Scheinwerfern ein rosaroter Lichtschein auf die Bühne fieclass="underline" Die Dämmerung brach über Helsingör herein. Schließlich beherrschte sich Monica und erzählte uns in hastig hervorgestoßenen Worten, was sie zum Schreien gebracht hatte. Der Geist, sagte sie, sei für einen kurzen Augenblick an den Rand des blauen Lichtkegels getreten, und dabei hätte sie durch seinen Schleier ein Gesicht gesehen, das dem Gesicht Shakespeares aufs Haar glich. Ja, so sei es gewesen. Später geriet ihre Sicherheit etwas ins Wanken, aber als sie uns das erzählte, war sie noch absolut sicher, daß sie Shakespeare höchstpersönlich und niemand anderen gesehen habe.

Ich machte die Erfahrung, daß man nicht entsetzt aufschreit oder sich nach außen hin besonders exaltiert benimmt, wenn man so etwas hört. Es bringt einen eher zum Schweigen. Aber ich fühlte mich ziemlich elend, während gleichzeitig meine Verärgerung wegen des Ouija-Brettes wieder wuchs. In der Tat war ich zutiefst erregt und obendrein verdrossen und gereizt, so als hätte eine riesenwüchsige Kreatur die Spielzeugwelt meines Universums in Unordnung gebracht.