Выбрать главу

Er hatte aufgehört zu graben und sah sich vorsichtig um, dann stieg er auf einen Stein und reckte sich und schaute in die Ferne, daß er mit seiner dünnen Gestalt wie ein einsames Ausrufungszeichen in der Landschaft stand. Aber es war ringsherum niemand zu sehen, nur ein in Nahrungssorgen vertiefter Storch stelzte in einem fernen Wiesengrunde umher. Der Schneider brachte einen Busch zwischen sich und diesen Storch und schaute wieder auf den Nebenacker. Wie das köstlich und verheißungsvoll dalag! Dann sah er sich noch einmal vorsichtig um und schlich auf das schüsterliche Feld. Nach kurzer Prüfung schob er sein Grabscheit behutsam unter eines jener flachen Gebilde, welche, wie allgemein bekannt, nur der Kuh in dieser Vollendung gelingen und schleuderte es auf seinen Acker. Eine geschickte Verteilung des umherliegenden Materials ließ die entstandene Lücke verschwinden, und bald war die letzte Spur der Tat unter dem Sande verborgen. Mit einem Male geschah ein Klappern auf der Wiese, der Storch hüpfte mit ausgestreckten Beinen eine Weile über das Gras, hob sich dann empor und flog auf die Stadt zu. Der Schneider schrak zusammen und zitterte, ihm war, als habe der kluge Vogel alles gesehen und eile ihn anzuklagen. Doch der Schreck legte sich, und da nun der erste Schritt getan war, so folgten ihm noch manche andere, wobei der vorsichtige Schatzdieb jedoch allemal bestrebt war, die Spuren seiner Tat sorglich zu verbergen.

Sie blieb auch unentdeckt. Am anderen Tage schickte der Schuster seine Gesellen und sein Mädchen hinaus, und diese gruben wohlgemut den Acker um, ohne im geringsten an dergleichen zu denken. Dem armen Schneider fiel ein Stein vom Herzen, als in der nächsten Zeit alles still blieb. Die Ruhe seines Gemüts aber war und blieb verschwunden. Es war, als ob ein dämonisches Etwas ihn immer zu dem Kartoffelfelde hinzöge, wo die Jungfräulichkeit seiner ehrlichen Gesinnung neben so geringfügigen und niedrigen Gegenständen begraben lag. Des Abends, wenn es dunkel ward, sah man ihn den Feldweg entlang schleichen und in den Himmel nach Wolken spähen. Von Zeit zu Zeit bohrte er mit dem Fuß im mahlenden Sande, bis er auf die Feuchtigkeit kam, die sich vor den Sonnenstrahlen und dem ausdörrenden Winde in die Tiefe zurückzog. Je klarer der Himmel leuchtete, je bewölkter waren seine Züge, bis endlich der ersehnte Regen kam, mehrere Tage anhielt und einen freundlichen Schein über sein abgewelktes Gesicht verbreitete.

Die Kartoffeln mußten von einer leichtgläubigen und vertrauensseligen Sorte sein, denn sie ließen sich durch diesen Regen verleiten zu keimen, nach einiger Zeit streckten sie die ersten grünen Blätter aus dem Sande hervor und schienen gesonnen, auch von den schwierigsten Umständen sich nicht zurückschrecken zu lassen. Ein warmer Frühling und günstige Regengüsse beförderten ihr Wachstum, und nun begann eine neue Qual für den armen Schneider. Das böse Gewissen leitete seine Blicke mit dämonischer Macht immer auf einzelne seiner Pflanzen, welche unter den anderen durch ein volleres Grün und üppigeres Wachstum sich auszeichneten. Seine Schuld wuchs aus dem Boden und jedes dieser Gewächse war eine grünende Anklage.

Das Kartoffelkraut mochte etwa die Höhe von drei Zoll erreicht haben, und der Schneider dachte schon daran, ob es wohl Zeit sei zu häufeln, da trat eine große Dürre ein. Der Himmel glänzte wie poliert hernieder und eine unerbittliche Sonne brannte Tag für Tag auf das unbeschützte Feld. Zuweilen rotteten sich nach Mittag einige unternehmende Wolken zusammen und versuchten einen kleinen Angriff; allein am Abend gaben sie schamrot den Versuch auf und die Sonne ging siegreich unter. Einmal gelang es ihnen, sich zu einem Kumulus zu vereinigen, aber sie schienen wenig Vertrauen in sich zu setzen und hatten es sehr eilig. Im hastigen Vorüberschweben bekam das Sandfeld auch seinen Tribut, einige schwere Tropfen fielen puff, puff auf das ausgedörrte Land, und jeder erzeugte eine kleine Staubwolke um sich her. Nach fünf Minuten hatte die gierige Sonne alles wieder aufgesogen. Bald war das ganze Land fußtief in ein feines Pulver verwandelt, das Kartoffelkraut nahm eine gelbgrüne Farbe an und legte sich. Jetzt mußte ein schwerer, nachhaltiger Regen kommen, oder alles war verloren.

Das Quecksilber des Barometers, das wochenlang mit einer kleinen Kuppe geziert zu immer heitereren Höhen aufgestiegen war, fing plötzlich an zu sinken. Dann eines Mittags zog ein gewaltiges Gewitter herauf, blieb jedoch in der Ferne stehen und sandte nur einen mächtigen Sturm herüber. Allenthalben in der Weite sah man in dunklen Streifen den Regen aus dem Gewölk herniedergehen, nur hier war weiter nichts als das flatternde Ächzen der Bäume, und die Wege, welche in die Stadt führten, standen wie lange, wogende Staubmauern in der Landschaft.

Am Nachmittag konnte der Schneider es nicht länger aushalten und machte sich auf nach seinem Acker. Ein breiter gelblicher Streif zeigte sich ihm an der Stelle, wo er sonst hinter dem Felde den dunklen Wald zu sehen die Berechtigung hatte. Schlimme Ahnung beflügelte seine Schritte, und als er nahe genug war, zeigte es sich, daß sie ihn nicht betrog.

Das Schrecklichste, das einem Menschen, der auf Sandfelder seine Hoffnung setzt, geschehen kann, war eingetroffen. Sein Acker befand sich auf Reisen. Mit dem fröhlichen Leichtsinn und der geringen Anhänglichkeit an die Heimat, welche diesem Boden eigen ist, benutzte er die günstige Gelegenheit, andere Gegenden und fremde Länder zu sehen, aufs bereitwilligste. Der arme alte Schneider stieg auf den Sandberg und schaute stumm in das grausige Treiben. Es war heute einer der Glanztage des kleinen Hügels; er konnte dann im Stolz auf seine Proteusnatur stets sagen: »Wer ist unter den Sterblichen, der mich kennt, wie ich jetzt bin und wer unter ihnen dürfte es wagen zu behaupten, daß er mich kennen wird, wie ich morgen sein werde?« Er hatte seine Abnahme- und Zunahmetage, heute war das letztere der Fall und der Schneider saß bereits im wahren Sinne des Wortes auf den Trümmern seiner Hoffnung. Und der Wind heulte und wütete in dem fliegenden Felde, hier häufte er Sandwehen auf, die jede Spur von Grün verschlangen, dort entblößte er erbarmungslos die armen welken Pflanzen bis auf die Wurzel, und über dem Ganzen schwebte, stets wallend und wechselnd, die dichte, hohe gelbgraue Wolke. Am Abend, als es schon zu spät war, kam das Gewitter herauf, ein gewaltiger Platzregen entlud sich und jagte unter Donner und Blitz den armen durchnäßten Schneider wieder nach Hause.

Von diesem Schlage erholte er sich nicht mehr. Hatte er sich nun bei dieser Gelegenheit erkältet, oder hatte Gemütsbewegung seine Gesundheit zerrüttet, er verfiel bald darauf in eine heftige Krankheit und nach ein paar Tagen war er begraben. Aber selbst im Grabe hatte sein armer Geist keine Ruhe. Er umflatterte und umschwebte noch immer die Stätte seiner Sorge und seiner Schuld, und indem er die feinsten ätherischen Dünste aus der Luft an sich zog, verdichtete er sich allmählich zum Gespenst.

Es möchte an der Zeit sein, die vielfachen und bedauerlichen Irrtümer, welche über die Natur der Gespenster verbreitet sind, einmal näher zu beleuchten. Eine der rohesten Anschauungen lautet: Ein Gespenst ist eine Gestalt in einem weißen Bettlaken, welche nachts zwischen zwölf und ein Uhr Unfug treibt. Ich vermute, daß diese Fabel von einem Liebhaber erfunden ist, den sein Nebenbuhler des Nachts in dieser Vermummung durchgeprügelt hat. Schon der allgemeine Glaube, daß ein Gespenst sich an gewisse engumschriebene Nachtstunden bindet, zeugt von einer betrübenden Unkenntnis der wirklichen Verhältnisse. Ich glaube des Dankes unserer verstorbenen Mitbürger, welche das Schicksal genötigt hat, sich diesem wenig befriedigenden Beruf zu widmen, gewiß zu sein, wenn ich die Ergebnisse meines eingehenden Studiums über die Natur und die Eigenschaften der Gespenster zur allgemeinen Kenntnis bringe. Vielleicht geschieht dies am besten, wenn ich ganz einfach in meiner Geschichte fortfahre und die weiteren Schicksale, welche den armen alten Schneider in seiner neuen Laufbahn trafen, ans Licht der Öffentlichkeit ziehe.