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Es war fast Mitternacht. Sie wird heut nicht mehr kommen, sagte der junge Graf, das Schloß liegt ihr zu fern, das Wetter ist ungewiß, die Wege sind nicht die besten.
Und, rief der junge Anselm, was wetten wir, daß sie dennoch erscheint, trotz allen Ihren Befürchtungen? denn sie reist gern in der Nacht, sie hat es versprochen und setzt alles an ihr Wort.
Wetten? antwortete Graf Theodor, ich bin kein Freund davon, aber ich wünsche, daß Ihre Vorhersagung, Baron, die Sie so dreist aussprechen, in Erfüllung geht; denn wir gewinnen alle, wenn Sie recht behalten.
Und tritt der Fall nicht immer ein? rief der hochmütige Anselm mit schnödem Tone.
Wenn Sie Ihrer Sache so überaus gewiß sind, rief Theodor ihm entgegen, so tun Sie wenigstens unrecht, Wetten anzubieten.
Anselm sagte: wenn Sie es scheuen, Geld zu wagen, so ließe sich ja auch die Frage anders stellen.
Thedor stand auf, als wenn er dem Redenden näher treten wollte, die Wirtin des Hauses aber, welche diesen Ungestüm der beiden jungen hochfahrenden Männer fürchtete, begütigte sie beide, indem sie das Gespräch auf andere Gegenstände richtete. Sie forderte einen ältlichen, kleinen Mann auf, in der Geschichte, welche zufällig war unterbrochen worden, fortzufahren, doch dieser sagte mit einer schlauen Miene: Verehrte Baronin, es möchte in diesem Augenblicke zu spät sein, denn vom Tale herauf höre ich schon ein Posthorn klingen, und jetzt möchte ich auch darauf wetten, daß in weniger als einer Viertelstunde die schöne Sidonie hier im Saale stehen wird.
Sie hören? sagte Theodor; ich vernehme nichts, und es ist nur eine Einbildung von Ihnen.
Herr Oberforstmeister, rief der kleine Mann, allen Respekt vor Ihren Talenten und den Gaben aller hier Anwesenden, was aber Ohren betrifft, so meine ich, daß keiner der Verehrten hier sich in Feinheit noch Größe derselben mit den meinigen wird messen können: und darum höre ich so richtig in die Ferne hinein.
Alle lachten, denn sie kannten die Art und Weise des Alten, dessen Scherz darin bestand, sich immer selber preiszugeben, und Blößen und Fehler an sich zu ersinnen, die jeder andere, auch wenn er an ihnen litt, geflissentlich ableugnete. Ein solcher Gesellschafter ist immer beliebt, weil er keiner Eitelkeit in den Weg tritt, und sich geschmeichelt fühlt, wenn man über ihn lacht. Der alte Freiherr Blomberg hatte aber recht, denn so wie der Reisewagen langsam den steilen Berg hinanfuhr, hörten alle das mahnende Posthorn, bald schwächer, bald deutlicher, je nachdem der Weg sich krümmte, oder der Wind die Töne über den Wald hin verwehte. Die Wirtin schellte, und die Bedienten eilten hinaus, um den edlen, wohlbekannten Gast zu empfangen.
Wer wettet jetzt mit mir, rief der alte Blomberg laut, daß Fräulein Sidonie ankommt?
Indem alle mit Heiterkeit dem Alten Beifall zunickten, stand Anselm hastig auf und rief: so wett’ ich denn hundert Dukaten, daß sie in dieser Viertelstunde noch nicht kommt!
So! rief Blomberg und hielt die Hand hin, in welche Anselm einschlug. Indem sich alle noch verwundert und die beiden törichten Menschen fast mit höhnischen Blicken anschauten, rissen die Diener die Türen auf, und eine große, mit vielen Kleidern und Tüchern verhüllte Gestalt folgte ihnen langsam und laut fluchend. Da alle fast erschraken, nahm der Fremde Reisemütze, Kopftuch und Mantel ab, und ein altes, blasses Gesicht kam zum Vorschein, welches allen, im ersten Augenblick, ganz unbekannt schien. Er sah sich etwas scheu im Saale um und rief dann: Nun? mir ist, als wenn ich hier ganz unerwartet käme! Kein Mensch will mir willkommen! sagen? Und meine Nichte Sidonie ist auch noch nicht hier?
Ei, Graf Blinden! rief die Wirtin jetzt aus, und eilte auf ihn zu: wie kommen Sie zu uns? wir hatten Sie nicht erwartet. Und freilich haben Sie sich in den fünf Jahren verändert, in welchen ich Sie nicht gesehen habe.
Das läßt sich denken, sagte der Alte und nahm in einem Sessel behaglich Platz, indes sich die übrige Gesellschaft um ihn her stellte. Ich bin eben erst von einer sehr schweren Krankheit genesen, ich reise in das Bad, und wollte mich bei Ihnen, Cousine, ein paar Tage ausruhen. Und ganz ähnlich sieht das meiner Sidonie, daß sie mich nicht gemeldet hat, wie ich ihr doch auftrug, denn sie weiß es schon seit einer Woche, daß ich herkommen will.
Für den alten, von der Reise erschöpften Mann wurde sogleich Glühwein zubereitet, und der alte Blomberg hatte dessen kein Hehl, wie verdrießlich er darüber sei, daß er so gegen alle Wahrscheinlichkeit sein Geld verloren hatte. Der schon übermütige Anselm triumphierte jetzt um so mehr, und als der Angekommene die sonderbare Sache vernahm, neckte er den kleinen Mann mit seiner verlorenen Wette so sehr, daß Blomberg endlich ausrief: Nun will ich aber beschwören, daß unsere eigensinnige Sidonie heute gar nicht mehr anlangt! Sie setzt etwas darein, alles immer anders zu tun, als die übrigen Menschen, oder als man es erwarten darf.
Das weiß der Himmel, sagte Blinden, indem er sich am heißen Weine erquickte; das hat keiner so sehr empfunden als ich, so lang ich ihr Vormund war. Sie hat ein wahres Studium daraus gemacht, denen Menschen, welche sie ihre Freunde nennt, das Leben sauer zu machen. Gnade Gott dem Ärmsten, der sich einmal zu ihrem Liebhaber aufwerfen möchte, oder noch schlimmer, wen sie einmal zu lieben vorgeben sollte. Lieber Galeerensklave sein.
Aller Blicke wendeten sich in scharfer Beobachtung zugleich auf den jungen Grafen Theodor, und Anselm, der keine Gelegenheit vermied, seinen Übermut zu zeigen, lachte laut. Theodor, der schon gereizt war, ging auf den lachenden jungen Mann mit drohendem Auge zu, indem er überlaut fragte: Darf man wissen oder erfahren, was Sie zu diesem übermäßigen Gelächter bewegt?
Nichts anders, erwiderte Anselm ganz trocken, als die Betrachtung, daß es doch immer wieder die Liebe ist, die alles verwirrt und in Bewegung setzt. So dachte ich denn eben, wie hübsch sich die, so oft nur allzu langweilige politische Geschichte ausnehmen müsse, wenn man sie einmal von dieser Seite darstellte, und alle jene unsichtbaren Fäden sichtbar machte, die der sogenannte Amor knüpft und löst, häufig die ernstesten Minister und Herrscher an der Nase führt oder gängelt, und, wie oft, hinter der Maske spielt, die der betrogenen Welt ein ganz ehrbares Gesicht entgegen richtet.
Das ist ja schon genug geschehen, sagte der alte Blomberg, was Sie da wünschen. Sie sind nur, junger Herr, in Memoiren und Klatschgeschichten zu wenig belesen. Was will man nicht alles von Franz dem Ersten, dem Dritten und Vierten Heinrich, den Medicäern, Ludwig dem Vierzehnten, von einigen spanischen Tyrannen und dem englischen Carl und Jakob dem Zweiten wissen. Wie vieles auch wahr ist, so haben doch manche Zungen, die nur lästern mögen, gerade dadurch die Sachen entstellt, daß sie bloß die Ausschweifung als Motiv und Verknüpfung aller Begebenheit erzählten.
Sehr wahr! rief der alte Blinden: und wenn wir alle hier, die Besten im Saale nicht ausgenommen, Regenten wären, wie viele Lügen würde man von uns erzählen, da wir schon in unserm Privatstande der Verleumdung nicht entgehen können. Erinnern Sie sich, lieber Blomberg, was Ihre Neider in Ihrer Jugend sich hinterrücks zuraunten, was man über mich lästerte, ja unsere ehrwürdige Wirtin wurde nicht verschont, und es gibt ja böse Menschen genug, zu denen ich selbst in manchen Stunden gehöre, die Sidonchen ebenfalls scharf hernehmen.
Da die Baronin sah, daß Theodor schon wieder auffahren wollte, suchte sie das Gespräch auf einen andern Gegenstand zu lenken, indem sie sagte: Aber Graf Blomberg könnte uns doch die Geschichte zu Ende erzählen, die grade beim interessantesten Punkte abgebrochen wurde.
Graf Blinden, welcher nicht ermüdet schien, fragte nach der Geschichte und Blomberg sagte: Lieber Freund, es ist eine Art von Gespensterhistörchen, eine der Erzählungen, in welchen die guten redlichen Geister eben so verleumdet und verklatscht werden, wie regierende Häupter oder angesehene Menschen. So, daß es scheint, es gibt nirgendwo Ruhe und Sicherheit vor dieser allgemeinen Verlästerung.