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Soweit, beschloß Theodor seinen Bericht, hat uns Freund Blomberg vorher die Geschichte vorgetragen, als er von Gesprächen, und später durch Ihre Ankunft, Graf Blinden, unterbrochen wurde.

Man hatte unterdessen Erfrischungen umhergegeben, und der Alte sagte: Wollen wir die Fortsetzung nicht doch auf morgen versparen? Die Wirtin stimmte am lautesten diesem Vorschlage bei, indem sie ausrief: Mir ist es lieber, denn da noch die Rede von Gespenstern sein soll, so brauche ich mich wenigstens heut nicht mehr zu fürchten.

Man trennte sich, und Theodor und Anselm bestiegen ihre Pferde, um noch in der Nacht in verschiedenen Richtungen nach ihrer Heimat zu kehren.

Am folgenden Tage war die schöne Sidonie wirklich angelangt. So wie ihr Charakter sich immer zeigte, blieb sie sich auch hier getreu, denn sie sagte ihren älteren Verwandten keine Entschuldigung darüber, weshalb sie nicht früher erschienen sei; man nahm nur aus ihren Erzählungen ab, daß Launen und Eigensinn sie unterwegs länger aufgehalten hatten. Diese zufälligen Mitteilungen mußten der ehemalige Vormund sowie die Tante für Rechtfertigung ihres Betragens gelten lassen.

Es ist eine ausgemachte Sache, fing der Freiherr Blomberg nach Tische an, daß wir auf Reisen eigentlich niemals wissen können, wohin wir geraten werden. Es sind nicht immer die Pferde allein, welche keine Vernunft annehmen, sondern Postillone, ja Postmeister sind zuweilen noch schlimmer, des Wetters, der verdorbenen Wege und zerbrochenen Räder gar nicht einmal zu gedenken. Und wie es Unglück gibt, so oft auch im Elend selbst ein unbegreifliches Glück. Es ist noch nicht so lange her, daß ein Vetter von mir mit seiner jungen Frau und einem kleinen Kinde drüben auf meinem kleinen Gute ankam, und der Wagen fiel im Hofe sogleich um, indem sie absteigen wollten. Aber kein Wunder, denn er hatte nur drei Räder. Wir erstaunten nur, daß die Reisenden nicht früher umgeworfen hatten, und noch unbegreiflicher wurde die Sache, als die Diener im Walde, eine Viertelmeile hinein, das fehlende Rad an einem Baume ganz nachlässig angelehnt fanden. So hatte sich also der Wagen, ohne daß irgendwer den Mangel bemerkte, von selbst im Gleichgewichte gehalten, und die Freunde waren unbeschädigt angelangt. Und doch dürfte keiner deshalb ein viertes Rad am Wagen für so überflüssig halten, wie jenes berüchtigte fünfte. In meiner Jugend war ich einmal gezwungen, in den kürzesten Wintertagen eine ziemlich weite Reise beim abscheulichsten Wetter zu machen. Einen eigenen Wagen besaß ich nicht, und so mußte ich mich mit jenen Fuhrwerken behelfen, die mir die Postmeister gaben, und die oft nichts weniger als bequem waren und ein seltsames Aussehen hatten. Solange ich in der wohlhabenden menschenvollen Gegend reiste, war es noch erträglich. Aber nun geriet ich in Heidegegenden, wo Dörfer und Städte fehlten und Mangel vollauf war. Mit der zunehmenden Kälte verwandelte sich nun der Regen in Schnee, welcher in Ungeheuern Massen aus den Wolken niederfiel, und Wege, Gesträuche, Gräben und alle Kennzeichen, an denen man sich orientieren konnte, verdeckte. Weil es in diesem Landstriche keine Chausseen und große Heerstraßen gab, war das Fortkommen mit tausend Schwierigkeiten verknüpft und Geduld war das notwendigste Talent, um weiterzugelangen und auszuhalten.

Hübsch und behaglich wohnte es sich in der Nacht bei einem jungen Postmeister, der sich erst seit kurzem in dieser Wüstenei eingerichtet hatte. Wir schwatzten beim Abendtisch, indem wir guten Wein tranken, fröhlich miteinander. Er wollte am folgenden Tage seine Braut in sein Haus führen, die schon unterwegs war, um mit den Eltern des Mädchens die Hochzeit im ziemlich großen Hause zu feiern. Mein Herr, sagte er zu mir, indem ich zu Bette gehen wollte, wenn Sie den Rat eines Wohlmeinenden annehmen wollen, so bleiben Sie wenigstens morgen hier bei uns, und nehmen an unserer Freude teil. Sie haben selbst den Sturm gehört, welcher sich seit einigen Stunden aufgemacht hat, er treibt die Schneemassen hin und her, und kein Weg läßt sich unterscheiden.

Ich kann Ihnen leider nur einen kleinen, ganz offenen Wagen geben, und die nächste Station ist weit, vier Meilen von hier. Dazu kommt noch, daß ein junger unerfahrner Bursche Sie führen muß, denn die älteren sind fort, mir Eltern und Braut abzuholen. Sie sparen Zeit und gewinnen, wenn Sie es sich wenigstens diesen einen Tag bei mir gefallen lassen.

Mein guter Herr, antwortete ich, ich würde Ihr gütiges Anerbieten annehmen, wenn ich nicht allzusehr pressiert wäre. Ein Freund erwartet mich auf der nächsten Station, dem ich mein Wort verpfändet habe, unfehlbar einzutreffen. Ich darf nicht ausbleiben. Meine Geschäfte sind von der Art, daß ich mit meinem Verwandten auch sogleich von dort in der größten Schnelle weiter reisen muß.

Der Wirt, indem er mir gute Nacht bot, sah mich, wie etwas mißtrauisch, von der Seite an, als wenn er meinen Versicherungen keinen rechten Glauben zustellte. Und er war mit seinem Argwohn auch auf keinem ganz unrechten Wege. Denn, mit Menschenkenntnis ausgerüstet, wie ich damals mir zutraute, nahm ich alles, was der Mann mir sagte, nur für Vorwand und List, um mich länger in seinem Hause zu behalten. Er hatte bemerken können, daß ich das Geld nicht sonderlich achtete, ich mochte ihm als reich erscheinen, wofür man in der Jugend so gerne gilt, ich hatte ihn gezwungen, mit mir eine Flasche und mehr von seinem teuersten Weine zu leeren, ich hatte ein leckres Abendessen bestellt, welches er mit mir verzehren mußte.

Dabei dünkte ich mich nicht wenig politisch, als ich schon um fünf Uhr, lange vor Tage, alles im Hause munter machte und nach genossenem Frühstück, beim Schein der Laternen, meinen dürftigen Wagen bestieg. Ich lachte innerlich, indem ich von meinem Wirt Abschied nahm, der auch schon munter war, und dem jungen blonden Postillon alle mögliche Vorsicht empfahl. Vom Schnee war eine gewisse dämmernde Helle verbreitet, und als wir im Freien waren, fragte ich den jungen Menschen, ob er sich getraue, mich bis zur Mittagszeit auf jene Station zu liefern, und ob er auch des Weges recht kundig sei. Er lachte und sagte: Gnaden, ich bin ja von dort gebürtig und habe den Weg, seit ich hier in Dienst stehe, schon über zwanzigmal gemacht. – Wie wünschte ich mir selber zu meiner Klugheit und Konsequenz Glück, als ich diese tröstlichen Worte vernahm.

Es ging auch allem Anschein nach recht gut, wenigstens im Anfange, und ich tröstete mich um so mehr, daß mit einbrechender Helle und dem Tageslicht jede Beschwer völlig müsse überwunden sein. Mein Postillon sang, pfiff und blies abwechselnd, was auch dazu beitrug, meinen Sinn zu erheitern. Jetzt kamen wir in ein Fichtengehölz, in dem der kältere Morgenwind uns anblies und die Dämmerung etwas lichter wurde. Von einer Straße oder einem Wege war nirgends etwas zu sehen, denn der Schnee hatte alle Spuren verdeckt. Als wir weiterkamen, fiel von neuem Schnee, und mit dem stoßenden Winde wurde er so hin- und hergewirbelt, und nach allen Richtungen gestreut und getrieben, daß ich in meinem widerwärtigen offenen Fuhrwerk bald alles Bewußtsein verlor. Wenn der Schnee so stoßweise mir entgegenschlug, das Gesicht erkältete und die Augen blendete, so war es völlig unerträglich. Wir können es alle schon bemerkt haben, daß ein solches Wetter, auch abgesehen von Frost und Schmerz, selbst eine betäubende Kraft hat, eine Schwindel erregende, so daß man an solchem Tage auf viele Minuten oft das Bewußtsein ganz eigentlich verliert. Das begegnete uns denn auch, und ehe ich mich dessen versah, hatte mein Postillon mich, als wir wieder im Freien waren, in einen tiefen Graben geworfen. Wir hatten ihn nicht bemerkt, und der verhüllende Schnee gab nach. Es kostete Anstrengung und Schweiß, das Fuhrwerk wieder in die Höhe und aus dem Graben zu bringen, und als es gelungen war und ich meinen Sitz wieder eingenommen, war ich eigentlich um nichts besser daran. Fast kam mir schon die Reue, daß ich der Einladung des verständigen Postmeisters nicht nachgegeben hatte, doch nahm ich Zuflucht zum Stolze und einer konsequenten Ausdauer. So krabbelten wir weiter, und mein junger Fuhrmann schien auch von seinem frohen Mute nach und nach etwas einzubüßen.