Um nicht zu umständlich zu werden, sage ich nur, daß wir langsam fortirrten, daß die Pferde im tiefen Schnee bald müde wurden, daß nach meiner Rechnung und wenigen Besinnung die Mittagsstunde schon vorüber sein mußte, denn ich hatte vergessen, meine Uhr am Morgen aufzuziehn, und im Nebel und immerwährenden Schneegestöber konnte man vom Stande der Sonne nichts erfahren. Mich hungerte, meine Betäubung ging endlich in eine Schläfrigkeit über, gegen die ich ankämpfen mußte, um nicht am Ende gar zu erfrieren.
Es dürfte mir schwer werden, irgend von dem Rechenschaft abzulegen, was ich in diesen Stunden dachte, denn mein Geist schlief wirklich, wenn ich auch meinen Körper noch so notdürftig wach erhielt. Endlich kam es mir vor, als wenn sich die Luft zum Dunkeln anschickte, wenigstens wurden Nebel und Schnee noch dicker. Keine Spur von Wohnung oder Menschen. Die Pferde waren ganz matt, und nach meiner träumerischen Rechnung mochten wir dem Abend nahe sein. Der junge Postillon war abgestiegen, um an den Strängen etwas zu knüpfen, die beim deutschen Fuhrwesen immerdar schlecht und in Unordnung sind. Als ich mich zu ihm hinbeugte, um mit ihm zu sprechen und etwas Tröstliches zu erfahren, sah ich zu meinem Schrecken, daß der Bursche ganz unverhohlen weinte, und endlich gar laut schluchzte. Was ist dir? – Ach! gnädiger Herr, lautete seine Antwort, mit den Pferden, und auch mit uns, ist es völlig aus. Wir sind schon stundenlang auf keinem gebahnten Wege mehr. Es hat mich einer behext, ich weiß nicht, wo wir sind. Ich bin in die Wildewahl hineingeraten. So nannte er, nach seiner Bauernsprache, unsre Verirrung.
Aber was anfangen? – Wenn uns der Heiland nicht durch ein Wunder errettet, so müssen wir hier umkommen. – Mut gefaßt, Kleiner! heut früh warst du so dreist und lustig. – Ja, damals war ich noch nicht verhext. – Wir können hier aber nicht bis zum Frühling halten. – Ach Gott! wir müssen hier umkommen. Und die heißen Tränen rollten wieder in den Schnee.
Ich sah, daß der Bursche alle Fassung verloren hatte. Zum Glück hatte ich noch einen Rest von süßem Wein bei mir, womit ich den schon ganz Verzweifelnden stärkte, und so setzte er sich, etwas ermutigt, auf den Bock, um auf gut Glück oder schlimm Unglück weiterzufahren, indem die Dämmerung, und bald darauf auch die Finsternis, wirklich hereinbrach.
Ich war jetzt weniger betäubt. Mit der größten Anstrengung horchte ich umher, ob der Laut eines Menschen, das Bellen eines Hundes mein Ohr träfe. Aber alles war still wie die tote Mitternacht. Fast mußte ich sorgen, daß die Pferde, die immer häufiger stolperten, ohnmächtig niedersinken möchten. Ich sprach, so gut es sich bei dem Getöse des Windes tun ließ, mit meinem Fuhrmann, damit er nicht einschliefe, oder von neuem in sein trostloses Weinen verfiele. Meine Situation war in der Tat keine beneidenswerte, und in stumpfer Resignation war ich so tief gesunken, daß ich schon auf den andern Morgen zu hoffen begann, obgleich ich es wußte, daß die Nacht nur seit kurzem begonnen hatte.
Eine Art von Schimmer verbreitete in der schwarzen Nacht der fallende und liegende Schnee; dieses Aufdämmern diente aber mehr, Augen und Sinne zu verwirren, als zu irgendeinem Sehen zu verhelfen.
Endlich, so bildete ich mir ein, hörte ich etwas, wie aus weiter Ferne: es schien auch etwas Dunkles, Festes sich in die Luft hinein zu erstrecken. So war es auch, denn wir gerieten nun wieder in einen Wald. Immer eine Art von Gewinn, wenn wir die Nacht doch einmal im Freien zubringen sollten. Jene Leute, die auch wohl nur eingebildet waren, ließen sich nun aber nicht mehr vernehmen.
Nachdem wir eine Weile noch fortgestolpert waren, zeigte sich wirklich ein Lichtlein ganz, ganz ferne. Ich wollte erst meinen Augen nicht trauen, aber der Postillon entdeckte es ebenfalls. – – –
Hier wurde der Erzähler unterbrochen, denn Anselm, so wie Theodor, die eben vom Pferde gestiegen waren, traten ein. Theodor wurde rot vor Freude, als er die schöne Sidonie erblickte. Er begrüßte sie so lebhaft und leidenschaftlich, daß die Wirtin lächelte und Blinden herzutrat, um ebenfalls dem jungen Mann Willkommen zu sagen und ihm die Hand zu bieten.
Sie kommen einen Augenblick zu früh, meine werten Gäste, sagte die Baronin, denn soeben ist unser Blomberg bei der Entwicklung einer interessanten Gespenstergeschichte, die er selbst erlebt haben will.
Man setzte sich wieder, und Blomberg gab verwundert von sich: Gespenstergeschichte?
Nun ja, fiel Sidonie ein, was kann denn nur das rätselhafte ferne Licht anders sein als die erleuchtete Kammer einer Elfe oder das Begräbnis eines wunderbar Ermordeten, dessen Gespenst dort im Schein der Irrlichter umirrt und Buße tut oder seinen Mörder auf schauerliche Weise anklagen will.
Sie haben recht, sagte Blomberg lachend, so sollte eigentlich der Regel nach die Geschichte fortfahren, und mein Postillon schien auch derselben Meinung zu sein; denn hatte er bis jetzt nur im stillen geschluchzt, so fing er jetzt vor Grausen und Entsetzen laut zu heulen an und wollte anfangs meinen Fragen und Ermahnungen kein Gehör geben.
Immer rief der junge Mensch, als wir näher kamen: Nun sind wir verloren! Lauter Hexen und Gespenster! Das ist nicht die Station! Wir sind in einem fremden Weltteile!
Ich konnte ihn nur mit Mühe dahin bringen, daß er die todmüden Pferde stärker antrieb, denn er zitterte und weinte.
Meine Neugierde ward gespannter, als wir näher kamen. Es schien mir ein großes Haus, welches mir, hell erleuchtet, entgegenglänzte. Meine Fantasie, indem ich von den vielstündigen Leiden alle meine Kräfte erschöpft fühlte, bildete aus der breiten Masse bald einen großen feenartigen Palast, ich sah Säulen und glänzende Balkone, wunderliche Zinnen und Türme, nebst allen Zubehören eines Zauberschlosses. Nicht lange, so vernahm ich Musik. Ganz wunderbare Töne schlugen an mein Ohr, und ich rüttelte mich endlich gewaltsam auf, weil ich furchtete, ich sei eingeschlafen und alles nur ein Traum. –
Nun, sagte Graf Blinden; schlieft Ihr wirklich, Freund? Nichts weniger, antwortete Blomberg, alles war wirklich. Wirklich? rief die Wirtin mit großem Erstaunen aus.
Wenn ich sage alles, sagte der Freiherr lachend, so meine ich damit, wie jener Hetman der Kosaken, einiges und also bei weitem nicht alles. Das hell erleuchtete große Haus blieb, die Musik verschwand ebenfalls nicht, wohl aber die prächtigen Balkone, die königlichen Säulen, die romantischen Türme und Zinnen des Mittelalters, welche sich in ganz alltägliche Schornsteine verwandelten.
Aber so sagen Sie doch endlich, was es nun war! rief Blinden.
Mich wundert’s nur, sagte Blomberg ganz ruhig, daß Sie es noch nicht erraten haben. – Ich war freudig und beruhigt, daß ich wieder zu Menschen geriet, mochten es auch sein, welche es wollten, da meine Not den höchsten Grad erreicht hatte, und ich jener unerträglichen, völlig hilflosen Einsamkeit entronnen war. Es war mir daher nur erfreulich, als mir aus der Tür des Hauses jener Postmeister mit einem satirischen Lächeln entgegentrat, den ich heut morgen so überaus früh und in hastiger Geschäftigkeit verlassen hatte. Wir waren in diesen vierzehn Stunden mühselig im Kreise rundum gefahren, um zerschlagen, erfroren, ganz verhungert und übermüdet da wieder anzulangen, wo wir unsere Reise begonnen hatten. Sie hätten es bequemer haben können, sagte der gutmütige Mann, indem er mich wegen meines Unglücks, zugleich aber auch seine hinfälligen Pferde bedauerte. Ich mußte, da man auf mich nicht mehr gerechnet hatte, in einem kleinen Stübchen mich einrichten, und erst am folgenden Tage konnte ich, ausgeruht, meinen Anteil an den Freuden der Hochzeit nehmen. Ich war aber nun so klug, daß ich das schlechte Wetter austoben ließ, und ohne mich zu übereilen, erst nach vier Tagen weiterreiste. Ein alter, erfahrener Postillon brachte mich zur nächsten Station.