So waren wir denn, sagte die Wirtin, getäuscht, indem wir eine Gespenstergeschichte erwarteten. Wir dürfen Ihnen aber jene nicht schenken, deren Erzählung Sie noch nicht vollendet haben, und welche neulich Graf Theodor dem Hinzugekommenen erläuterte.
Man setzte sich in einen Halbkreis, und die übermütige Sidonie sagte: Wenn ich auch wenig oder nichts von jenem Vorfalle weiß und so mitten hineingerate, so will ich dennoch Interesse nehmen, denn Gespenster und alles, was damit zusammenhängt, sind meine Passion.
Recht so! rief Anselm aus, kann man doch nicht wissen, ob wir nicht alle noch einmal umgehn werden, denn keinem steht es an der Stirn geschrieben, ob er nicht aus eines Bäckers Tochter oder Sohn zur Eule wird.
O ihr junges Volk! sagte der alte kranke Blinden mit einem tiefen Seufzer: euch fällt es doch niemals ein, daß ihr schon vor dem Tode zu Gespenstern werden müßt; denn was ist der hilflose, mürrische, runzelvolle Greis anders, wenn man das Bild jenes blühenden Jünglings zurückruft, welches er vor vierzig oder fünfzig Jahren darstellte. Wie wird unser Sidonchen aussehn, wenn sie achtzig Jahr alt werden sollte.
Ich bitte mir einen andern Diskurs aus! wie manchmal der Wiener sagt, – rief Sidonie ganz empfindlich; Vormünder dürfen unhöflich sein, und von diesem erloschenen Recht machen Sie noch immer Gebrauch.
Also denn, rief der kranke Graf, zu jenen wirklichen, echten Gespenstern, lieber Blomberg, um uns von den imaginären abzuwenden. Ihre idealischen sind vielleicht angenehmer.
Blomberg fing an: Sie wissen also, teure Freunde, wie Graf Moritz mehr und mehr verarmte und seinen Nachkommen nur wenig von jenem großen Vermögen hinterließ, welches ihm durch Erbschaft zugefallen war. Kriege brachen auch ein, doch erhielt sich der nächste Besitzer der Klausenburg und seine Familie und war in der Nachbarschaft angesehen und geachtet. Fleiß, Glück, die Heirat mit einem wohlhabenden Fräulein brachten ihn wieder empor. Und so gelang es den Bemühungen jenes Erben, daß sein Schloß noch einige fünfzig oder sechzig Jahre mit seinem altertümlichen Schmuck in unsrer Nachbarschaft glänzte, daß Freunde und Verwandte ihn gern besuchten, und daß er seinem einzigen Sohne, als er starb, die übriggebliebenen Güter im guten Zustande und noch bedeutende bare Summen hinterlassen konnte. Jener Fluch der Zigeunerinnen schien also gänzlich beseitigt, erloschen oder eingeschlafen zu sein. Der Graf und sein Sohn hätten die frühere Begebenheit völlig vergessen, von dem Fluche mögen sie auch vielleicht nichts erfahren haben.
Ich war ein munterer Knabe, als ich die Bekanntschaft mit dem letzten jungen Erben, Franz, dort auf der Klausenburg machte. Dieser Franz; etwa um ein Jahr älter als ich, war heiter, schön, liebenswürdig, die Freude seines Vaters, jenes tätigen Mannes, der den Glanz seiner Familie zum Teil wieder hergestellt hatte. Da mein Vater nur einige Meilen von hier auf seinem Gute wohnte, so kam ich oft von den jenseitigen Bergen nach der Klausenburg herüber, und habe auch oft Ihrer Frau Mutter, meine gnädige Baronin, meine Aufwartung gemacht, zuweilen auch, als ein ungezogener Junge, hier vielen Unfug getrieben.
Ich war damals noch nicht geboren, sagte die Wirtin.
In jenen Tagen, sagte Graf Blinden, bin ich niemals in diese Berggegenden gekommen.
Dieser mein Spielkamerad, Franz, fuhr Baron Blomberg fort, erwuchs nicht nur zur Freude seines Vaters, sondern aller Menschen. Er war schön, witzig, beliebt, geschickt als Tänzer und Reiter, und im Fechten konnte sich niemand mit ihm messen. Er hatte sich dem Fürsten vorstellen lassen, dessen Gunst er auch durch sein heiteres Wesen gewann und in dessen Dienst war er nach wenigen Jahren zum Rat emporgestiegen. Wenigen Menschen auf Erden schien ein so glückliches Los bereitet zu sein. Alle Mütter und Tanten in der Nachbarschaft sahen und wünschten in ihm auch den künftigen Mann ihrer Töchter und Nichten, und in der Stadt war er auf den Bällen der vergötterte und verzogene Held der jungen Mädchen sowie der Gegenstand des Neides und der Verfolgung aller männlichen Stutzer. Man begriff es nicht, daß der junge Mann so lange mit seiner Wahl zögerte, und lange wollte man den Gerüchten, die darüber umliefen, keinen Glauben schenken. Es hieß nämlich, es habe sich ein Verständnis mit der Tochter des Fürsten angesponnen. Die beiden Liebenden warteten also, so erzählte man sich im Vertrauen, auf irgendeinen Zufall, auf eine Begebenheit, die ihnen zum Glück ausschlagen möchte, um öffentlich ihre gegenseitige Leidenschaft und ihre Wünsche zu bekennen. Dieser Fall ereignete sich aber nicht, und Jahre um Jahre vergingen, und mit ihnen erloschen die Gerüchte und jene mannigfaltigen Deutungen der vielklugen Politiker.
Plötzlich, als kein Mensch mehr dieser Sache dachte, ward mein Jugendfreund durch die Ungnade seines Fürsten vom Hofe und aus der Stadt verbannt. Alle seine ehemaligen Freunde wichen von ihm zurück. Noch schlimmer, daß ihm die von oben beschützte Schikane einen gefährlichen Prozeß an den Hals warf, der ihn mit dem Verlust seines ganzen Vermögens bedrohte. So sah sich der geschmeichelte, bewunderte und von aller Welt geliebkoste Franz in der schlimmsten Lage und mußte sich gestehen, daß sein Lebenslauf beschlossen und alle glänzenden Aussichten für immer verdunkelt seien.
Ich sah ihn um diese Zeit wieder. Er ertrug sein Unglück wie ein Mann. Noch war er jugendlich schön, und die Heiterkeit seines Humors hatte nur wenig gelitten. Wir bereisten die hiesige Gegend, und da die Klausenburg fast schon eine Ruine geworden war, so hatte er nicht gar weit davon, am Abhänge eines Berges, sich ein niedliches Haus gebaut, von welchem er der schönsten Aussicht genoß. Es ist dasselbe, das eine halbe Meile von hier liegt und jetzt dem alten kranken Förster, dem verarmten Matthias, gehört.
Jenes, rief plötzlich Theodor aus, vor dem sogenannten Eibensteige?
Dasselbe, antwortete Blomberg.
Dasselbe? wiederholte Theodor fast mechanisch und wie in Gedanken verloren.
Aber, warf Anselm lebhaft ein, – was kümmern uns alle diese Dinge? Sorgen wir doch lieber, daß die einleitende Erzählung zu Ende kommt, damit wir nun an den Anfang der Gespenstergeschichte gelangen. Das neue Haus, welches wir, wie ich glaube, alle kennen, ist eben das neue Haus, und jene veraltete Klausenburg ist das Gespensternest. Und von diesem sollten wir etwas mehr erfahren.
Sie machen mich irre, sagte Blomberg verdrießlich, denn wenn ich erst weiter vorgerückt bin und im Namen und der Person meines Freundes Franz erzählen werde, darf ich noch weniger unterbrochen werden und muß mich noch mehr vor Zerstreuung hüten. –
Also, ich fand diesen Franz ziemlich heiter und verständig. Er vermied es, von seinen früheren Verhältnissen zu sprechen, doch war er eines Abends sehr gerührt, als ihm ein Brief den Tod der jungen Fürstin meldete, die am gebrochenen Herzen verschieden war, oder die, wie man später behaupten wollte, willkürlich ihren Tod gesucht hatte, weil sie die Last eines verbitterten Lebens nicht mehr ertragen konnte.
Ich sah wohl, daß eine stille Melancholie meinen Freund in den meisten Stunden beherrschte, indessen war er nicht gemütskrank, es zeigten sich bei ihm keine Spuren von Lebensüberdruß; so daß ich hoffen durfte, sein Unglück und die Schicksale, die er erlebt hatte, würden dazu dienen, seinen Charakter zu läutern und ihm die echte Haltung zu geben, die auch dem Unangefochtenen notwendig ist, wie vielmehr dem, welcher schwere Prüfungen durchzugehen hat.
Es lebte damals ein verwildertes altes Weib in den hiesigen Gegenden und trieb sich bettelnd und halbwahnsinnig in den Dörfern herum. Die Vornehmeren nannten sie scherzend nur die Sibylle, und die gemeinen Leute trugen kein Bedenken, sie geradezu für eine Hexe auszugeben. Man wußte nicht eigentlich, wo sie wohnte, auch mochte sie wohl keine Hütte oder eine ihr zugehörige Einkehr besitzen, weil man sie stets auf den Landstraßen traf und sie allenthalben in der Provinz umherschwärmte. Einige alte Jägersleute wollten behaupten, sie sei noch ein Nachkomme jener berüchtigten Zigeunerbande, welche Graf Moritz vor Jahren verfolgt und zerstreut hatte.