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Indem wir in einem schönen Buchenwalde in Gesprächen wandeln, die uns ganz von der Außenwelt abziehn, steht plötzlich, bei einer Wendung des Fußsteiges, diese alte häßliche Sibylle vor uns. Wir waren verwundert, aber auf keine Weise erschreckt, denn wir waren beide in einer heitern Stimmung. Als wir die freche Bettlerin lachend mit einigen Münzen beschenkt hatten, kam sie, nachdem sie schon fortgesprungen war, in Eile zurück, indem sie sagte: Wollt ihr denn für euer Geld nichts prophezeit haben? – Wenn es was Gutes ist, erwiderte ich, so kannst du dir noch einige Groschen verdienen. Ich hielt ihr die Hand hin, die sie mit Aufmerksamkeit betrachtete und dann höhnisch sagte: Ihr habt, guter Gesell, eine ganz miserable Hand, an der jeder, auch der beste Prophet, zuschanden werden muß. So ein mittelmäßiges Geschöpf, wie Ihr es seid, ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen: weder klug noch dumm, weder böse noch gut, weder glücklich noch unglücklich. Ohne Leidenschaften, Geist, Tugend oder Bosheit, seid Ihr so recht einer der ABC-Schüler von unsers Herrgotts dummen Jungen, und Ihr werdet nicht einmal das kleine Verdienst haben, jemals in Eurem Leben Eure eigene Erbärmlichkeit einzusehen. Aus der elenden Hand und dem nichtssagenden Gesicht ist gar nichts zu prophezeien, denn ein solcher trockner Baumschwamm, wenn er nicht erst präpariert und gebeizt ist, kann keinen Funken in sich aufnehmen: so könnt Ihr, Hans von Unbedeutend, in Eurer stumpfen Natur auch nichts erleben. –

Hier erhob sich im Saale von allen Zuhörenden ein lautes Gelächter. Daß Sie diese Rezension so auswendig behalten haben, sagte Anselm, macht Ihnen alle Ehre. – Nun, ist denn diese Prophezeiung in Erfüllung gegangen?

Der gutmütige Blomberg hatte mit den übrigen gelacht und sagte nun etwas empfindlich: Jetzt, Herr Baron, sind bei uns diese Wahrsager ausgestorben, sonst könnten sich unsere jungen Leute auch Rat holen, um an Selbstkenntnis zuzunehmen. Ich trage diese unbedeutende Begebenheit als Geschichtsschreiber mit der gehörigen Treue vor, und es kann dabei von der Kritik meines eignen Selbst nicht die Rede sein.

Sehr wahr, sagte die freundliche Wirtin: Sie, Baron, sind die Güte selbst; und wenn man so über sich selbst zu scherzen versteht, so haben die jungen Leute keine Ursach, aus diesem Scherz Ernst machen zu wollen.

Ich glaube gar nicht, sagte Sidonie mit gespitztem Tone, daß das alte Weib so zu unserm Freunde gesprochen hat, sondern ich meine vielmehr, er improvisiert diesen Panegyrikus, damit wir ihm alle widersprechen und sein Lob in den lautesten Tönen singen sollen.

Dann hat er sich aber über die Maßen verrechnet, meine schnippische Schönheit, sagte Graf Blinden, denn ein solches beifälliges Lachen, wie er es erregt hat, kann gewiß nicht für Widerspruch gelten. Fahren Sie fort, Freund.

Blomberg erzählte: Mein Freund Franz lachte nicht über meine Charakteristik und die Aussprüche des alten Weibes, sondern weil er mich liebte, ward er im Gegenteil böse und fuhr sie mit heftigen Redensarten an. Ebenso unbillig, als über die Worte der alten Vettel Schadenfreude zu empfinden! Sie hörte ihm ganz ruhig zu und sagte dann: Warum so böse? Wenn Ihr mir für meine Bemühung und Weisheit nicht noch etwas schenken wollt, so laßt mich ruhig gehn. Denn die Menschen können es freilich nicht gut vertragen, wenn man ihnen so ihr eigenes Inneres an das Tageslicht zieht. Was kann ich denn dafür, daß in deinem Freunde da nicht mehr und Besseres steckt? Er ist nicht mein Sohn, noch mein Zögling. – Sehn Sie, meine Freunde und Zuhörer, so wollte die Wahrsagerin ihre vorige Grobheit durch eine neue gutmachen und rechtfertigen. – Franz war auch wieder besänftigt und gab der Bettlerin einen Dukaten, indem er sagte: Pflegt Euch, Alte: wo wohnt und hauset Ihr?

Wo ich bin, antwortete sie, mein Dach wechselt so oft, daß ich nicht sagen kann, wie es aussieht: nicht selten ist es offen, und mein Kamerad der Sturmwind. Natur nennen sie’s, wo die Menschen nichts hingebaut haben. Aber ich danke und muß Euch Eure Freundlichkeit vergelten. – Mit Gewalt faßte sie schnell die widerstrebende Hand des Freundes, hielt sie zwischen den knöchernen Fingern fest und betrachtete sie lange, dann ließ sie den Arm mit einem tiefen Seufzer fallen und sagte mit einem Tone, der tiefe Trauer ausdrückte: Sohn! Sohn! Ei, du stammst aus einem bösen Blut, von schlimmen Vorfahren ein schlimmer Sproß. Aber zum Glück bist du der letzte deines Stammes, denn deine Kinder würden noch schlimmer werden. Was einmal böse angefangen hat, muß auch ein böses Ende gewinnen. Ei! Ei! und deine Physiognomie! Deine Mienen! Dein ganzes Gesicht! Ist mir doch fast zumute, als wenn ich einen Mörder vor mir sähe. Ja, ja! Du hast ein junges, schönes und vornehmes Mädchen umgebracht. Auf ihrem Sterbebette hat sie lange mit Gram und Angst gerungen. Könnt ihr denn nicht treu sein und eure Schwüre halten, ihr Bösewichter? Nicht Messer, Degen und Flinte töten und schneiden. Auch Blicke, auch süße Worte: o die verführerischen Reden und all das lügenhafte Schöntun! Nun bricht die glänzende Hülle zusammen und wird der Verwesung gegeben, die erst euer dummes Auge blendete. Schönheit! o du unglückselige Gabe des Himmels! Und auch du, Mordgesell, bist schön genug, um noch andere umzubringen. Die Flüche des Vaters verfolgen dich nun. Du magst nun hier im Walde, oder in deinen schön tapezierten Stuben sein. Meinst du nicht, fühlst du es nicht, wie sie, recht aus dem Herzen kommend, das Unglück und Elend auf dich hinwehen, wie der Sturmwind die dürren Blätter in die Tiefe des Gebirges hinstreut? Wo ist deine Ruhe, dein Glück, dein Vertrauen? Alles zerstiebt wie Flugsand in der dürren Ebene; keine Frucht kann hier Wurzel fassen.

Mit einem Male jauchzte die Wahnsinnige laut auf und lief schreiend und widerwärtig singend in den dichtesten Wald hinein. Als ich mich umsah, erschrak ich, denn mein Freund war totenbleich geworden; er zitterte so heftig, daß er sich auf einen Grashügel wie ohnmächtig niedersetzen mußte. Ich setzte mich zu ihm und suchte ihn zu trösten und zu beruhigen. Ist diese Besessene, rief er aus, von der Wahrheit begeistert? Sieht sie wirklich Vergangenheit und Zukunft? Oder sind es nur wahnsinnige Laute, die sie in tierischer Gedankenlosigkeit herausstößt? Und wenn dies ist, – sind diese zusammengewürfelten Worte nicht vielleicht die echten Orakel aller Zeiten gewesen.

Er überließ sich den Tränen und lauten Wehklagen, er rief jetzt laut in die Lüfte, was er bis dahin so sorgsam in seinem Innersten geheimnisvoll verschlossen hielt. Ja Fluch, Fluch! rief er aus, allem Talent, der Rede, der Anmut und allen Gaben, die uns ein schadenfrohes Schicksal mitteilt, um uns und andere zu verderben! Könnt’ ich nicht dem ersten ihrer freundlichen Blicke aus dem Wege gehn? Warum ließ ich mich betören, Blick mit Blick und nachher Wort mit Wort zu erwidern? Ja, sie war liebenswert, edel und schön, aber in meinem Herzen erhob sich mit den besseren Gefühlen auch die Eitelkeit, daß gerade sie, die höchste, es war, die mich so auszeichnete. Nun trat ich näher, dreister, bestimmter, und mein geläutertes, hochgestimmtes Gefühl überraschte und gewann sie. Sie schenkte mir ihr Vertrauen. Ihr Herz war so schon und groß; ach! alle diese Jugendgefühle so zart und innig; es war ein Paradies, was sich uns beiden auftat. Wir glaubten, kindisch genug, es könne kein höheres Glück auf dieser Erde uns geboten werden, diese himmlische Gegenwart, der Moment genügte uns. Nun erwachte aber in meinem Herzen die Leidenschaft. Das hatte sie nicht erwartet, sie erschrak und zog sich zurück. Das stachelte meine Eigenliebe, ich fühlte mich unglücklich, zerstört, der Krankheit nahe. Das erbarmte sie, sie kam mir wieder näher. Durch eine vertraute Kammerfrau ward es uns möglich, uns oft ohne Zeugen zu sehn und zu sprechen. Unser Verständnis war inniger, unsre Liebe gewisser und zärtlicher, aber da diese Gefühle in Worte gefaßt und bewußter ausgesprochen wurden, so war auch auf immerdar jener paradiesische Hauch, jener überirdische Duft verschwunden. Es war ein Glück, aber ein anderes, irdischer, freundlicher, vertraulicher, aber nicht von jener Magie umgeben, die mich in der früheren Zeit entzückt hatte, so daß ich mich wohl oft im stillen fragen konnte: Bist du denn glücklich? – Ach! mein Freund! indem wir uns oft sahen – wieviel Entwürfe, törichte und wahnsinnige, wurden da gemacht! Es war von unserer Zukunft die Rede, an welche der schwärmend Liebende in den ersten Zeiten seiner Entzückung niemals denkt. Einmal schien eine Gelegenheit sich anzubieten, sie zur Ehre des Hauses zu vermählen. Da erwachte Wut und böser Hader in mir. Sie ward von meinem Zorn bis in das innerste Herz mißhandelt, da es schien, als wenn sie dieser glänzenden Verbindung nicht abgeneigt wäre. Ich war schlecht in meiner Leidenschaft, und tief fühlte sie meine Entartung, mehr in ihrer Liebe um meinetwillen, als ihrer Schmerzen wegen. Oh, sie hat dieses Bild meiner Raserei niemals wieder in ihrer Seele vertilgen können. Um mir die Schmerzen gut zu machen und mich ganz zu versöhnen, stieg sie zu meinem geringern wildern Wesen herab. Unsre Herzen hatten sich wieder ganz ausgesöhnt, aber mit Sehnsucht sah ich aus den schwefelgelben Gewitterwolken, die mich jetzt umgaben, nach jener Himmelsklarheit zurück, die mich anfangs so blendend angestrahlt hatte. Wir lebten in unserm Dünkel wie Verlobte und träumten von unserer Vermählung, von unerwartetem Glück, von Freuden aller Art und Wendungen des Schicksals, die niemals eintreffen konnten. Aber wir tappten im Nebel umher und hielten das Unmöglichste für nahe und natürlich.