Frankreich gelingt es, mit dieser Mauer von Verträgen mit Polen, der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Rumänien, der Sowjetunion und Belgien nicht nur Deutschland und Österreich einzukreisen8. Es fügt auch eine Allianz zusammen, die Deutschland 12fach in der Friedensstärke und etwa lOOfach im Kriege überlegen ist, so daß sich Hitler und die Reichswehr ab 1935 beim Aufbau einer neuen Wehrmacht daran orientieren müssen. Frankreich hat es versäumt, die Droh-kulisse rund um Deutschland in den Jahren abzubauen, in denen Hitler angeboten hatte, die deutsche Rüstung zu begrenzen. Außerdem baut Frankreich seine Sicherheit auf Militärallianzen auf, ohne dabei einzurechnen, daß es dafür der-einst auch „Sicherheit zurückerstatten“ muß. Und es klinkt sich damit in alle Händel seiner Alliierten ein. Frankreichs Sicherheitsanstrengungen nach dem Ersten Weltkrieg bestehen in summa daraus, Deutschland kleinzuhalten und nicht darin, sich mit den Deutschen zu vergleichen.
Als Hitler den Rest der zerfallenden Tschechoslowakei gegen Völkerrecht und eigene Versprechen im März 1939 zum Protektorat erklärt, nutzt Frankreich die sich bietende Gelegenheit, um weitere Revisionen des Vertrages von Versailles zu 8 Französische Verträge 1919 mit GB, 1920 mit B, 1921 mit P, 1924 mit der CSR, 1926 mit RUM, 1927 mit JUG und 1932 mit der SU
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verhindern. Polen steigt aus der Ächtung Englands wegen Teschen plötzlich zu dessen Bündnispartner auf und Frankreich findet damit einen neuen Partner, den es gegen Deutschland aktivieren kann. Die Franzosen, die den polnisch-deutschen Streit um Danzig in Versailles selber mit verursacht haben, nutzen ihren Bündniseinfluß auf die Polen nicht im geringsten dazu, eine Friedenslösung an-zusteuern. Sie versuchen nicht einmal im Ansatz, zwischen beiden Kontrahenten zu vermitteln oder gar die Probleme selber anzufassen. Frankreich will Deutschland wegen seines Wiederaufstiegs und wegen der Tschechei-Besetzung in einem neuen Krieg besiegen. Es bestärkt die polnische Regierung deshalb, den deutschen Forderungen gegenüber hart zu bleiben und notfalls einen Krieg um Danzig zu riskieren, und das zu einer Zeit, da die deutsche Reichsregierung immer noch versucht, eine kriegerische Auseinandersetzung mit den Polen zu umgehen.
Im Mai 1939 verspricht der französische Oberbefehlshaber General Gamelin dem polnischen Kriegsminister Kasprzycki, daß Frankreich gemeinsam mit Polen in einen Feldzug gegen Deutschland ziehen werde. Der französische Premierminister Daladier und sein Außenminister Bonnet wissen, daß Gamelin dies Versprechen gegeben hat und nicht beabsichtigt, es auch notfalls einzulösen. Sie lassen die Polen in dem falschen Glauben, daß sie mit Frankreich gemeinsam gegen Deutschland siegen können. Im Mai 1939 sind die Verhandlungsvorschläge der deutschen Reichsregierung in Bezug auf Danzig und die Transitwege noch so bescheiden, daß Polen ohne eigene Territorialverluste hätte Frieden haben können. Es ist Frankreich, das der polnischen Regierung an dieser Wegegabel im Mai 39 nicht zur Normalisierung, nicht zu Verhandlungen und nicht zum Frieden zu einem bislang noch minimalen Preis rät, sondern das Polen mit falschen Versprechungen verlockt, den Weg zum Kriege einzuschlagen.
Das französische Versprechen, im Falle einer Danzig-Auseinandersetzung Deutschland anzugreifen, wiegt deshalb schwerer als die Garantie der Briten, weil 1939 nur die Franzosen über ein Heer verfügen, das in der Lage wäre, Deutschland direkt und unverzüglich anzugreifen. Die Briten mit Flotte und mit Luftstreitkräften – das wissen auch die Polen – könnten nur mittelbar und in einem Krieg von langer Dauer helfen. Polen aber kann einen Krieg nur mit direkter und schneller Hilfe gewinnen und, wenn es schlecht kommt, überstehen. So ist es vor allem die französische Regierung, die Polen mit dem Versprechen des Zweifrontenkrieges gegen Deutschland in den Krieg lockt. Mit solcher „guten Aussicht“ hat die polnische Regierung auch kaum noch einen Anreiz, um einen neuen Danzig-Status und um exterritoriale deutsche Transitwege zu verhandeln.
Auch sonst zeigt Frankreich im Jahre 1939 wenig Neigung, dem Frieden eine Chance zu geben. Noch kurz vor dem verhängnisvollen Gamelin-Versprechen vom 17. Mai an Kasprzycki versucht Papst Pius XII. die Konflikte durch Verhandlungen der großen Staaten in Europa auf einer Fünf-Mächte-Konferenz aus der Welt zu schaffen oder zu entschärfen. Frankreichs Premierminister Daladier lehnt es, wie berichtet, ab, an solchen Verhandlungen teilzunehmen. Im frühen 522
Sommer 1939 sind die Franzosen eher damit beschäftigt, eine französisch-britisch-polnisch-sowjetische Koalition für den Krieg gegen das Deutsche Reich zu arrangieren. Frankreich hofft, bei minimalem eigenem Aufwand mit der Kraft der versammelten Verbündeten Deutschland zu besiegen. Es bemüht sich außerdem, die Schwelle zu einem neuen Weltkrieg so weit abzusenken, daß er auch wahrscheinlich wird. So teilt der französische Außenminister Bonnet der deutschen Reichsregierung am 1. Juli 39 in einer Note mit, daß schon ein deutscher Versuch, den Status quo von Danzig zu verändern, zu einem Krieg mit Deutschland führt9. Schon ein Versuch!
Auch als Hitler am 24. August und noch einmal – um 5 vor 12 – am 30. August die Angriffsbefehle für die Wehrmacht aufhebt und damit zeigt, daß er nur Danzig und nicht Polen haben will, bestärkt Frankreich Polen, zur vorgeschlagenen, moderaten Danzig-Regelung Nein zu sagen, wohl wissend, daß das Krieg bedeutet.
Französische Bemühungen, das in Versailles selbst geschaffene Problem des Freistaats Danzig im Konsens mit den Beteiligten zu lösen, unterbleiben. Außer vielen Beteuerungen des eigenen Friedenswillens trägt Frankreich nichts zum Frieden bei. Präsident Daladier ist 1939 genauso kriegsbereit wie Hitler. Der ei-ne scheut nicht vor dem Krieg zurück, wenn er damit Deutschland wieder auf Versailles-Niveau herunterstufen kann. Der andere scheut nicht vor dem Krieg zurück, wenn er damit die letzten Störfaktoren von Versailles beseitigen kann, die Abtrennung Danzigs und Ostpreußens vom Deutschen Reich. Am 3. September 1939 erklärt Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg.
Polens Beitrag zum Kriegsausbruch
Polen ist nicht nur der gestrafte Erbe einer in Versailles übernommenen Last mit einer großen Zahl von ethnischen Minderheiten und vielen zudiktierten Grenz-problemen. Polen, obwohl es nach dem äußeren Anschein als das erste Opfer des Zweiten Weltkriegs dasteht, gehört bei genauerem Betrachten auch zu den ersten Tätern.
Der 1918 wiedererstandene Staat Polen bringt es fertig, in den ersten vier Jahren seiner neuen Existenz Streit und Kriege mit fast allen seinen Nachbarn zu beginnen. 1918, noch vor den Versailler Grenzentscheidungen, nutzt Polen den Waffenstillstand der Siegerstaaten mit dem Deutschen Reich und nimmt im Handstreich die bis dahin deutschen Provinzen Posen und Westpreußen in Besitz.
Letztere ist allerdings nicht überwiegend polnisch, und die Annexion des Nordens der Provinz trennt den deutschen Landesteil Ostpreußen vom Rest des Deut-9 Paul Karl Schmidt, Seite 74
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schen Reiches. Es entsteht der sogenannte Korridor. Auch wenn die Sieger dieses Landstück den Polen später zugestehen, so ist es dennoch Polen, das zuerst die Fakten schafft, das dann eine Volksabstimmung im umstrittenen Land verhindert, und das 1939 eine moderate Lösung für die Verkehrsanbindung Ostpreußens an das Reich als unzumutbar ablehnt. Das Korridor-Problem, von Polen geschaffen und erhalten, wird Polen 1939 zum Verhängnis.
Zum gleichen Stil gehören von 1919 bis 1921 die polnischen Versuche, in Oberschlesien eine Volksabstimmung zu vereiteln, und als das nicht funktioniert, das deutsche Oberschlesien zu erobern. Das Verhalten der Polen im Oberschlesien-Streit trägt nicht unerheblich dazu bei, daß ein Großteil aller Deutschen die Kriegseröffnung Hitlers 1939 als recht und billig akzeptiert, auch wenn sie diesen Krieg mit Polen an und für sich nicht führen möchten.