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Nun steht plötzlich die Industriemacht USA mit ihren Menschenmassen und der großen Kriegs- und Handelsflotte auf der Seite der Briten und Franzosen. Die drei genannten Mächte besiegen Deutschland, Österreich und Ungarn binnen zweier Jahre. Die zwei Fäden, die von hieraus auf den nächsten Krieg zulaufen, sind der Wandel des Deutschlandbildes in den USA und die Schäden, die Wilsons fünf Noten und seine 14 Punkte für die Deutschen nach der Niederlage 1919 hinterlassen.
Kaum daß Amerika 1917 in den Krieg eintritt, beginnen der Präsident sowie die politische Elite und die Presse in den Staaten, sich selbst moralisch auf- und Deutschland abzuwerten. In Amerika spricht man – statt sich ehrlich zum eigenen Vorteil zu bekennen – von den menschlichen Werten, die man nun schützen müsse, und davon, daß „die Welt für die Demokratie sicherer gemacht werden müsse“. Deutschlands U-Boot-Krieg wird zum „Krieg gegen alle Nationen“ und die „autoritäre Regierung in Deutschland“ zur „Herausforderung für die ganze Menschheit“. Die deutschen Frontsoldaten sind im Bewußtsein der amerikanischen Öffentlichkeit schon bald „brutale und bluttriefende Hunnen und Vanda-len“. Der Haß und die Verblendung, deren sich die Amerikaner im Ersten Weltkrieg als Stimulans bedienen, bleibt in vielen Köpfen nach dem Krieg lebendig.
Die Regierungen der USA unternehmen zwischen beiden Kriegen nichts, die von ihnen im Ersten Weltkrieg angeheizte antideutsche Stimmung wieder abzubauen.
Die Klischees von den „Hunnen“ leben in den Medien und den Kinofilmen weiter. So ist das Deutschlandbild geprägt, als sich 14 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg eine neue deutsche Reichsregierung anschickt, die Versailler-Nachkriegsordnung aufzukündigen.
Die Roosevelt-Regierung reagiert sehr bald nach Hitlers Amtsantritt mit einer Schärfe gegen Deutschland, die zwischen souveränen Staaten, die im Zustand gegenseitigen Friedens leben, äußerst ungewöhnlich ist. Die Reaktionen Roosevelts auf Hitler werden in der Geschichtsschreibung in aller Regel allein damit begründet, daß der deutsche Diktator das demokratische System verachtet, die Juden verfolgt und im eigenen Land das Recht gebrochen hat. Doch da sind Zweifel angesagt. Die Mißachtung der Demokratie, antijüdische Politik und Rechtsbrüche sind auch die Markenzeichen von Staaten und Regierungen, mit denen Roosevelt ohne Berührungsängste kollaboriert. So liegt der tiefere Grund für Roosevelts unfreundliche Deutschlandpolitik schon ab dem Frühjahr 1933
offensichtlich in einer Feindlichkeit den Deutschen gegenüber, die er seit dem Ersten Weltkrieg in sich trägt. Da ist nicht auszuschließen, daß Roosevelt 1933
auch gegen jede andere deutsche Reichsregierung vorgegangen wäre, die den Versuch gewagt hätte, Deutschland von den Strafbestimmungen des Versailler Vertrags zu lösen.
Roosevelts Haßgefühle gegenüber Hitler haben auch gewiß nicht dadurch abgenommen, daß der deutsche Diktator auf einem Feld der Politik Erfolg verbucht, 530
wo er ihn selber gerne hätte. Deutschlands 6,3 Millionen Arbeitslose sind 1936
zum größten Teil zurück in Lohn und Brot, und Roosevelt mit 12,8 Millionen Menschen ohne Job im Jahre 1933 sitzt trotz seines New-Deal -Programms 1938
immer noch auf 10,4 Millionen Arbeitslosen. So wird Hitlers deutscher Weg mit seinem „Wirtschaftswunder“ auch zu einem Popularitätsproblem für Roosevelt im eigenen Land.
Der zweite Faden, der vom Ersten bis zum Zweiten Weltkrieg reicht, spult sich von Wilsons vielen „Friedensnoten“ ab. Die USA, die mit Wilsons 14 Punkten 1918 den Anstoß zu einem Verhandlungsfrieden geben, und die danach mit einer ganzen Serie von weiteren Noten darauf bestehen und auch wiederholt versichern, daß diese 14 Punkte zur Basis eines Verständigungsfriedens werden sollen, dulden vom Beginn des Waffenstillstands an, daß Großbritannien, Italien und Frankreich die meisten dieser 14 Punkte übergehen und mißachten. Die USA haben mit ihrer Serie von Noten Deutschland und Österreich-Ungarn gegenüber die Bürgschaft übernommen, daß es einen Frieden nach den Bedingungen der 14
Punkte geben wird. Der amerikanisch-deutsche Notenaustausch über Wilsons 14
Punkte vom Januar bis zum November 1918 gleicht einem Friedensvorvertrag, den die Amerikaner, kaum daß die deutschen, die österreichischen und die ungarischen Truppen ihre Waffen im Vertrauen auf die 14 Punkte niederlegen, nicht mehr halten. Die USA ziehen sich in Versailles aus ihrer moralischen und völ-kerrechtlichen Pflicht, die Bürgschaft für die vereinbarten Bedingungen einzuhalten, ohne Sang und ohne Klang zurück. Sie lassen eine Nachkriegsordnung in Europa zu, von der sie wissen müssen, daß sie zum nächsten Krieg führt.
In den Folgejahren hüllt sich die amerikanische Nation in ihren Isolationismus und tut so, als trüge sie keine Verantwortung für die in Versailles aufgehäuften Trümmer. So unternehmen die US-Regierungen bis 1939 keinen einzigen wir-kungsvollen Schritt, die Minderheitenproblematik für die Millionen deutschen und ungarischen, von ihren Mutterländern abgetrennten Bürger zu lindern oder zu lösen. Amerika will von seiner Bürgschaft für die 14 Wilson Punkte nichts mehr wissen. Die USA versteifen sich viel mehr darauf, den Status quo des Deutschen Reichs ab 1933 festzumauern.
Der Präsident der USA Woodrow Wilson hatte vor dem Waffenstillstand 1918
schriftlich zugesagt, daß bei einem Friedensschluß keine Landesteile gegen den Willen der betroffenen Bevölkerungen geteilt oder fremden Ländern zugeschlagen werden sollten. Genau um diesen Punkt verhandelt das Deutsche Reich seit Jahren, und droht Hitler seit September 1938. Roosevelt sieht jetzt und später nicht, daß hier die USA in Pflicht gewesen wären. Er sieht „Frieden und Gerechtigkeit“ allein in der Bewahrung des Status quo der Ländergrenzen in Europa. Daß das von den Amerikanern selber proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker auch zu Frieden und Gerechtigkeit gehören, kann Roosevelt in seiner Voreingenommenheit gegen Deutschland nicht erkennen.
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Roosevelt malt Hitlers Expansionsdrang an die Wand, noch ehe der Diktator sich zu seiner Absicht, Österreich anzugliedern und die Tschechei zu annektieren, öffentlich geäußert hat. Der amerikanische Präsident setzt seinen „Feldzug“ gegen Deutschland fort, auch als Hitler nacheinander einen Freundschaftsvertrag mit Polen schließt, Frankreich den Besitz von Elsaß-Lothringen garantiert und England mit Vertrag zusichert, die deutsche Flotte bei 35% der britischen zu begrenzen. Erst mit Hitlers Untat an den Tschechen gibt es völkerrechtlich einen Grund, gegen Deutschland Krieg zu führen. Doch beim deutschen Einmarsch in die Tschechei sind Roosevelt die Hände vom US-Kongreß gebunden. So
verspricht er Polen, Briten und Franzosen, sie bei einem Krieg gegen Deutschland aktiv zu unterstützen. In London drängt er sogar ganz massiv, den Deutschen beim nächsten Revisionswunsch Einhalt zu gebieten. Roosevelt übersieht dabei, daß es die USA gewesen sind, die in Versailles erst ihr Wort gebrochen und dann den Danzig-Streit geboren haben. Der amerikanische Präsident will 1939 eine Danzig-Einigung verhindern oder Krieg. Sein Botschafter in England Josef Kennedy hat im Dezember 1945 rückblickend auf seine Zeit in London gesagt: