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„Weder die Franzosen noch die Briten hätten aus der deutsch-polnischen Frage einen Kriegsgrund gemacht, wenn nicht Washington dauernd ge-bohrt hätte.“ 12

Deutschlands Beitrag zum Kriegsausbruch

Als erstes springt ins Auge, daß Hitler am 1. September 1939 wegen Danzig einen Krieg eröffnet. Doch das ist nur der Anlaß, aus dem sofort ein Weltkrieg wird. Ohne Vorgeschichte hätten England und Frankreich sich alleine wegen der Danzig- und Transitwege-Frage kaum zugunsten Polens in einen neuen Krieg verwickeln lassen. Der eigentliche deutsche Beitrag liegt in zwei früheren Ereig-nissen. Es sind dies die Angliederung der Sudetenlande an das Reich im Oktober 1938 und die Besetzung der Tschechei als Rest der im März 1939 zerfallenen Tschechoslowakei. Beide Vorgänge bringen das Ausland in unterschiedlicher Heftigkeit und Schärfe gegen Deutschland auf.

Der Anschluß der Sudetenlande, so sehr er auch in Deutschland als legitim betrachtet wird, kommt letztlich nur zustande, weil Hitler den Anschluß mit der Drohung durchsetzt, anderenfalls Krieg gegen die Tschechoslowakei zu führen.

Der Anschluß erfolgt zwar der Form nach im Münchener Abkommen mit der Billigung der Engländer, Italiener und Franzosen, doch das nur, weil sich weder die Tschechen noch die genannten Mächte zu der Zeit in der Lage fühlen, eine Eroberung der Sudetenlande militärisch zu verhindern. In München zwingt Hitler 12 Tansill, Seite 597

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die drei genannten Siegermächte erstmals, eine der Versailler Zwangsmaßnahmen selber aufzuheben. In Paris und London kann man das danach nicht mehr vergeben und vergessen. Der englische Oppositionspolitiker Winston Churchill bezeichnet das Münchner Abkommen trotz der britischen Zustimmung deshalb auch rundheraus als „deutsche Erpressung“. Der Anschluß der Sudetengebiete löst in England und Frankreich eine Welle der Kriegsvorbereitungen und der antideutschen Stimmung aus. Seit der Angliederung – und das ist Monate bevor Hitler die Rest-Tschechei bedroht, und ehe er damit beginnt, die Polen wegen Danzig zu bedrängen – beginnen in London und Paris die Parlamente und die Presse, von Kriegsgefahr in Europa zu reden und zu schreiben. Hitler vermag es nicht, die ehemaligen Siegermächte auf diplomatischem Wege und ohne solche

„Erpressungen“ dazu zu bewegen, die letzten Hypotheken von Versailles selbst zu löschen. Statt dessen entfacht er mit der Angliederung der Sudeten eine allgemeine Kriegsbereitschaft gegen Deutschland.

Den zweiten und durchschlagenden Anlaß für den Kriegsausbruch liefert Hitler mit der Besetzung der Tschechei. Er verletzt damit Völkerrecht. Er bricht das gegebene Wort und er verläßt die bislang legitime Linie seiner Außenpolitik, nur deutsche Menschen „heim ins Deutsche Reich“ zu holen. Mit diesen drei Rechts-, Wort- und Politikbrüchen überschreitet Hitler die Grenze dessen, was die Versailler Mächte bereit sind hinzunehmen. Doch in London und Paris fühlt man sich auch diesmal außerstande, militärisch gegen Deutschland vorzugehen. Aber mit der Besetzung Prags reift bei Briten und Franzosen der Entschluß, Hitler und dem Deutschen Reich so schnell wie möglich die Rechnung für die Missetat an der Tschechei zu präsentieren. Die offenen Posten auf der Rechnung heißen:

● Strafe für die Besetzung der Tschechei,

● Wiederherstellung der Machtverhältnisse von Versailles,

● Kündigung des Britisch-Deutschen Flottenabkommens

● britische „balance of power“ und

● französische Vorherrschaft auf dem Kontinent.

Auch wenn sich die letzten beiden Posten gegenseitig ausschließen, so schreibt eben England den einen und Frankreich den anderen auf die Rechnung.

Ohne die Tschechei-Besetzung hätten die Regierungen in Paris und London den Bürgern Frankreichs und Englands kaum erklären können, warum sie der deutschen Stadt Danzig wegen für Polen hätten in den Krieg ziehen sollen. Und ohne die Kriegsermunterungen aus London und Paris hätte die Warschauer Regierung selbst nach einer Friedenslösung suchen müssen. Die zugespitzte Lage im August 1939 hat so nur entstehen können, weil Hitler mit der Besetzung der Tschechei selbst sechs Monate zuvor den Grund zu einem neuen Krieg gegeben hat. Die Regierungen Englands und Frankreichs haben es geschickt verstanden, Hitler mit Hilfe Polens in eine Zwickmühle zu manövrieren, in der er nur auf Danzig verzichten und die deutsche Minderheit in Stich lassen oder Krieg mit Polen führen kann. Die deutsche Mitschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrie-533

ges liegt zuerst in der Besetzung der Tschechei und nur nachrangig in der Ge-waltlösung der deutsch-polnischen Probleme.

Betrachtet man dagegen den letzten Anlaß, den Streit um Danzig, so sieht man, daß die sachlichen Streitpunkte, um die es dabei geht, nur noch von ganz geringem Umfang sind. Nachdem Hitler der polnischen Regierung die Beibehaltung der bisherigen wirtschaftlichen Privilegien in Danzig zugesichert hat, und nachdem die Polen ihrerseits bereit gewesen sind, die außenpolitische Vertretung Danzigs wieder abzugeben, bleiben nur noch die Zoll- und Postrechte der Polen im Freistaat und ein Munitionsdepot, die beide Seiten von einer Einigung trennen.

Von ungleich größerem Gewicht sind die emotionalen Differenzen. Die Danziger Bevölkerung will nach rund 20 Jahren wieder zum eigenen Land gehören dürfen, und die polnische Bevölkerung wertet Danzig als urpolnisch und sieht im Anschluß Danzigs an das Deutsche Reich für Polen eine nationale Niederlage. Gemessen an der geringen Bedeutung der noch offenen sachlichen Streitpunkte und an der Tatsache, daß Hitler den Regierungschefs Englands und Frankreichs mehrmals mitteilt, daß er keinen Krieg mit ihren Ländern wünscht, ist es ein ungeheu-erlicher Vorgang, daß die polnische Regierung die Heimkehr Danzigs zum Grund für einen Krieg erklärt, daß Hitler diesen Krieg beginnt und daß Chamberlain und Daladier den Krieg um Danzig binnen zweier Tage zu einem Weltkrieg machen.

Der Anlaß Danzig kann alleine nicht erklären, warum die Regierungen von sechs Nationen mit Vorsatz auf den Krieg zusteuern. Doch auch die deutsche Besetzung der Tschechei reicht nicht zur vollen Deutung dieses Kriegsausbruchs. Die wahren Gründe liegen tiefer.

Bilanz

Der große Krieg, der zwischen 1939 und 1945 ausgetragen wird, hat seine mitteleuropäisch-deutsche, seine mediterran-italienische und seine pazifisch-japanische Dimension. Bei den letztgenannten beiden sind es die ehemaligen Alliierten aus dem Ersten Weltkrieg, die sich auseinandersetzen. Bei der mitteleuropäisch-deutschen Dimension handelt es sich um die Wiederholung oder die Fortsetzung des Ersten Weltkriegs, den die Deutschen erst in Flandern und auf dem Atlantik und dann in Versailles verloren hatten. 1919 bringen alle Sieger ihre Kriegsgewinne heim, die einen deutsche und österreichische Grenzgebiete, die anderen deutsche Kolonien und die dritten deutsche Industriepatente und Reparationen.

Die Sieger versäumen es dabei, den Schluß des Krieges in den Anfang eines Friedens umzuwandeln. Sie zementieren einen Zustand, den die besiegten Deutschen und Österreicher nicht auf Dauer dulden können. In Deutschland scheitern letzten Endes alle demokratischen Regierungen vor 1933 an den mittelbaren oder unmittelbaren Folgen der Versailler Lasten und an der Unwilligkeit der Sieger, den Deutschen einen echten Frieden einzuräumen.

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Schon als ab 1927 die deutschen Reichsregierungen versuchen, die Selbstschutzfähigkeit ihres Landes in Maßen auf dem Verhandlungswege zu erstreiten, und als sich 1931 die österreichische und die deutsche Regierung um eine Zollunion bemühen, stören sie das, was in der Sicht der Sieger „Friede“ ist. Den zwei neuen Republiken Deutschland und Österreich wird 1919 mit den „Taufsprüchen“ von Versailles und Saint-Germain in die Wiege gelegt, daß sie auf Dauer halbsouveräne Staaten bleiben oder Friedensstörer werden müssen. Als die neue deutsche Reichsregierung unter Hitler anfängt, die Versailler Nachkriegsordnung Stück um Stück hinwegzuräumen, stört sie demzufolge das, was die Siegermächte für den Frieden halten. Selbst der moderate Start der Hitler-Regierung, die sechsmal von sich aus Angebote zur Rüstungsbegrenzung unterbreitet, ändert daran nichts. Die Status-quo-Veränderungen, die von deutscher Seite vorgeschlagen werden, sind tendenziell Brüche des Versailler Friedens. Daneben zeigt sich, daß Hitler jeder mäßigende Schritt als Schwäche ausgelegt wird. Das erste Beispiel dazu ist sein Vorschlag, die Tumulte vor der Saarabstimmung durch Verzicht auf einen Urnengang und einen freundschaftlichen Vertrag mit Frankreich zu beenden, der die augenblickliche Rechte der Franzosen im Saar-bergbau als Dauerlösung festschreibt. Hitlers Mißerfolge am Verhandlungstisch im deutlichen Kontrast zu den Erfolgen, die er mit Handstreich oder Drohung durchsetzt, „erziehen“ den Diktator, sich fortan der letzteren Methoden zu bedienen.