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Georgi Martynow

220 Tage im Weltraumschiff

Wissenschaftlich-phantastischer Roman

Übersetzung: Erich Ahrndt

Kultur und Fortschritt, 1958

Illustrazionen: L. Rubinstein

Dieses e-Buch ist eine Privatkopie und nicht zum Verkauf bestimmt!

Vor dem Start

Morgen ist es so weit!

Genau um zehn Uhr vormittags wird das von Kamow gesteuerte Weltraumschiff die Erde verlassen …

Wer hätte gedacht, daß ich ihn begleiten werde!

Viel Wundersames erwartet uns auf der weiten Reise.

Wird es mir gelingen, all denen, die nicht dabei waren, ein lebendiges Bild davon zu vermitteln? Es muß mir gelingen, denn der Zweck meiner Teilnahme an der Expedition ist es ja, alles, was wir sehen und erleben, mit Bleistift, Fotoapparat und Filmkamera festzuhalten. Das Tagebuch, das ich heute beginne, wird mir später, wenn ich nach siebeneinhalb Monaten wieder zur Erde zurückgekehrt bin, als Grundlage für ein Buch über den Flug dienen.

Fange ich also ganz von vorn an …

Am 29. April, es sind nun gerade zwei Monate her, ließ mich unser Chefredakteur zu sich rufen.

Als ich eintrat, bat mich der Chef, Platz zu nehmen.

„Wir wollen Ihnen vorschlagen“, sagte er, „an einer etwas ungewöhnlichen Reise teilzunehmen …“ Er sah mich an, und da er merkte, daß ich antworten wollte, fuhr er rasch fort: „Es handelt sich um eine Expedition, die mit Gefahren verbunden ist.“ Die letzten Worte des Chefs ließen mich aufhorchen.

„Gefahren schrecken mich nicht“, erwiderte ich. „Je ungewöhnlicher eine Aufgabe ist, desto interessanter ist sie.“

„Ich wußte, daß Sie so antworten werden“, sagte der Chef. „Sie sind jung und gesund. Außerdem sind Sie ein tüchtiger Journalist und verstehen mit Fotoapparat und Filmkamera umzugehen. Gerade auf diese Eigenschaften kommt es an. Ich werde aber nicht auf Ihre Zusage dringen. Sie haben das Recht, abzulehnen.“

„Was es auch sein mag, ich denke nicht daran, abzulehnen“, entgegnete ich.

Er sah mich an mit einer Miene, die ich im Augenblick nicht zu deuten wußte, und lächelte. „Um so besser“, meinte er. „Wer Kamow ist, werden Sie wohl wissen?“

Bei dieser Frage fuhr ich zusammen. Kamow? Der Konstrukteur und Kommandant des ersten Raumschiffes der Welt? Der Mann, der bereits zweimal die Erde verlassen hat? Hatte ich mich auch nicht verhört?

„Natürlich“, antwortete ich. „Wer kennt ihn nicht!“

›Also darum hat er die Expedition als gefährlich bezeichnet‹, dachte ich. Der Name Kamow ließ keinen Zweifel daran, daß es sich um einen Flug ins Innere des Sonnensystems, vielleicht gar auf einen Planeten, handelte. Wer von uns hat nicht schon davon geträumt, eine solche Reise zu unternehmen? Aber es ist doch wohl ein Unterschied, ob man nur davon träumt, oder ob man plötzlich zu einer solchen Reise aufgefordert wird.

„Wenn Sie wollen“, sagte der Chef, „können Sie an seiner Expedition teilnehmen.“

„Wohin, wenn ich fragen darf?“

„Das entzieht sich meiner Kenntnis. Wenn Sie zusagen, erfahren Sie alles Weitere von Kamow selbst.“

„Warum machen Sie dieses Angebot gerade mir?“

„Weil Sie der geeignete Mann zu sein scheinen.“

Alles das war für mich so überraschend, daß ich erst einmal meine Gedanken sammeln mußte.

„Gestatten Sie, daß ich Ihnen die Antwort morgen gebe?“

„Übereilen Sie sich nicht!“ warnte der Chef. „Solch ein Angebot will reiflich überlegt sein. Sie könnten sonst Ihren Entschluß später bereuen.“

Am nächsten Morgen sagte ich dem Chef, ich sei bereit, mitzufliegen, wohin es auch immer gehe.

„Ich habe keinen Augenblick daran gezweifelt!“ gab er mir darauf zur Antwort.

Mit verständlicher Erregung drückte ich am Abend desselben Tages auf den Klingelknopf an Kamows Wohnungstür. In wenigen Augenblicken sollte ich dem Mann gegenüberstehen, der als erster in der Geschichte der Menschheit die Erde verlassen und den Weg in die endlose Weite des Weltraumes gebahnt hatte.

Mir öffnete Kamows Frau, Serafima Petrowna Kamowa.

„Sergej Alexandrowitsch erwartet Sie schon“, sagte sie, als ich ihr meinen Namen genannt hatte.

Dann trat ich in das Arbeitszimmer des berühmten Astronautikers.

Ich hatte Kamow vorher noch nicht gesehen, erkannte ihn aber sofort, als er sich hinter seinem Schreibtisch erhob, um mich zu begrüßen. Er sah genauso aus, wie ich ihn mir nach zahllosen Fotografien vorgestellt hatte: ein etwas schwerfällig wirkender mittelgroßer und breitschultriger Mann mit ruhigen, sicheren Bewegungen. Seine ganze Erscheinung ließ auf einen starken Charakter und einen unbeugsamen Willen schließen. Am stärksten beeindruckten mich seine Augen, die unergründlich tief schienen und eine große Ruhe ausstrahlten. Über der hohen Stirn wellte sich weiches stahlgraues Haar. Das Gesicht mit den allzu dichten Brauen und dem ein wenig massiven Unterkiefer war nicht gerade schön, wohl aber energisch und kühn.

Kamow schüttelte mir kräftig die Hand und sagte: „Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Genosse Melnikow.“ Er forderte mich auf, in einem Sessel Platz zu nehmen, und ließ sich mir gegenüber nieder.

„Machen wir uns also näher miteinander bekannt“, schlug er vor. „Zunächst — wie alt sind Sie?“

„Siebenundzwanzig.“

„Ihrem Aussehen nach hätte ich Sie jünger geschätzt“, meinte Kamow. „Wo sind Sie denn so braun geworden?

Ihr Haar ist ja ganz weiß im Vergleich zu Ihrem Gesicht!“

Ich erzählte ihm von meiner zweimonatigen Reise durch Kasachstan, von der ich erst vor zwei Tagen zurückgekehrt war.

„Und nun wollen Sie sich schon wieder auf den Weg machen?“ fragte er lächelnd. „Sie sind also fest entschlossen, mitzufahren? Haben Sie es auch gut überlegt? Sie wissen doch noch gar nicht, wohin die Reise geht.“

„Stimmt schon“, gab ich zu, „das Ziel der Expedition ist mir nicht bekannt, aber allein Ihr Name sagt mir, daß ich es nicht auf der Erde zu suchen habe. Wenn es Ihnen nur recht ist, daß ich mitfahre — mein Entschluß steht fest,“

„Und wie ist Ihre Gesundheit? Man wird Sie einer strengen Untersuchung unterziehen.“

„Davor habe ich keine Angst. Ich wurde erst im vorigen Jahr, als es nach dem Südpol ging, von einer Ärztekommission untersucht; man fand absolut nichts an mir auszusetzen. Ich bin kerngesund.“

„Wenn ich Sie mir so ansehe“, sagte er, „glaube ich das gern. Schön! Wir werden also wieder vier Mann sein. Unserer Expedition sollten ursprünglich nur Wissenschaftler angehören. Außer mir noch drei. Die Teilnehmer sind schon seit langem ausgewählt und haben sich in einem einjährigen Kursus vorbereitet. Vor einem Monat ereignete sich aber ein Unglück, durch das wir einen Expeditionsteilnehmer verloren …“ Er schwieg und sah mich prüfend an.

„Unser Freund“, fuhr Kamow fort, „kam bei einem Autounfall ums Leben. Wir können ihn jetzt nicht mehr durch einen anderen Wissenschaftler ersetzen. Die Forschungsarbeit während einer Weltraumfahrt erfordert eine lange Vorbereitung.“

„Und da beschloß man, ihn durch einen Journalisten zu ersetzen?“

„Nun, ganz so ist es nicht“, meinte Kamow. „Es war meine Idee, jemand zu suchen, der Journalist, Fotograf und Kameramann in einem ist. Vor allem ging es uns darum, jemand an Bord zu haben, der astronomische Aufnahmen macht. Unser verunglückter Freund hatte einen solchen Lehrgang hinter sich; wir können nun zwar ohne die Mithilfe eines Astronomen auskommen, aber nicht ohne einen Fotografen und Kameramann. Aus diesem Grunde haben wir Sie um Ihre Teilnahme ersucht.“