Wie viele Rätsel barg der Organismus des Tieres? Welcherart mochten seine Atmungsorgane sein? Es atmete dünne Luft mit einem sehr geringen Sauerstoffgehalt. Kein Tier der Erde hätte hier atmen können. Seine gewaltigen Sprünge, von denen jeder seinen Körper zwölf Meter nach vorn warf, erforderten viel Kraft. Woher nahm es die?
Kamow schrak aus seinen Gedanken auf, als rechts von ihm, etwa einen Kilometer entfernt, eine kleine Gruppe von Felsen oder Hügeln auftauchte. Er hatte sich schon so sehr an ebenes Gelände gewöhnt, daß sein Bewußtsein den seltenen Anblick nicht gleich aufnahm. Berge auf dem Mars!
Sandhügel konnten es nicht sein. Der Wind hätte sie längst eingeebnet. Also waren es Felsen. Bis jetzt hatten sie auf dem Planeten nicht einen Stein gefunden.
Der Geländewagen legte die kurze Entfernung rasch zurück. Je näher Kamow dem Felsen kam, desto erregter wurde er. Endlich! Endlich hatte er etwas vor sich, was sich von der Eintönigkeit des bisher Gesehenen unterschied!
In der Lage der Gesteinsblöcke — er sah schon deutlich, daß sie sandfrei waren — glaubte er eine gewisse Ordnung festzustellen, deren System er noch nicht erkennen konnte.
Sollten das Überreste eines von denkenden Wesen errichteten Bauwerks sein?
Inzwischen war der Geländewagen an die Gesteinsblöcke herangekommen. Die Gruppe bestand aus einigen Dutzend fünf bis fünfzehn Meter hohen Felsen, die eine Fläche von etwa einem Hektar einnahmen. Kamow schaute sich das ihm zunächst befindliche Gestein aufmerksam an. Es schien eine Art Glimmergranit zu sein. Deshalb also hatte er die Felsen zuerst für Sandhügel gehalten! Die braune Färbung des Gesteins ließ sich kaum von der Farbe der Wüste unterscheiden.
Er ließ den Wagen langsam an den Granitfelsen entlangfahren und fotografierte jeden einzelnen mehrere Male. Sie standen so dicht beieinander, daß er nirgends eine Möglichkeit zur Durchfahrt entdeckte. Ob ihrer Anordnung eine bestimmte Regelmäßigkeit zugrunde lag, wie er anfänglich angenommen hatte, oder ob sie in dem der Natur eigenen wirren Durcheinander gruppiert waren, konnte er nicht feststellen. Die Beantwortung dieser Frage war aber von größter Bedeutung. Handelte es sich um eine natürliche Formation oder um ein im Laufe der Zeit zerfallenes, bis zur Unkenntlichkeit zerstörtes Bauwerk einstiger Bewohner des Planeten?
›Ich muß das herausbekommen, koste es, was es wolle! dachte Kamow. ›Wenn ich auf einen Felsen klettere, der in der Mitte steht, kann ich das Panorama von oben, aus der Vogelschau aufnehmen. Das gäbe bestimmt Aufschluß über die Gesamtanordnung der Granitblöcke und vielleicht auch eine Antwort auf diese Frage. Er sah auf die Uhr. Die Zeit wurde bereits knapp. ›Macht nichts!‹ sagte er sich. ›Ich fahre eben auf meiner alten Spur zurück. Auf bekannter Strecke kann man voll aufdrehen.
Dadurch spare ich mindestens eine Stunde. So lange habe ich noch Zeit. Im Empfänger knackte es, und er vernahm die Stimme Belopolskis: „Hier spricht das Raumschiff.“
„Ich höre!“
„Wie gewünscht, schalte ich jetzt den Leitsender ein.“
„Nicht nötig!“ sagte Kamow. „Ich werde auf demselben Weg zurückkehren.“
„Der Wagen steht am Fuß einer Gruppe von Granitfelsen. Ich habe durch Untersuchungen viel Zeit verloren.“
Im Lautsprecher waren deutlich Ausrufe der Verwunderung zu hören. „Felsen?“ fragte Belopolski dann. „Wo haben Sie die entdeckt, Sergej Alexandrowitsch?“
„Ungefähr achtzig Kilometer südlich von unserem Schiff. Ich habe sie fast alle fotografiert, muß aber noch herausbekommen, ob es sich hier um eine natürliche Formation oder um Reste eines Bauwerks handelt. Dazu muß ich in das Innere der Felsengruppe eindringen. Mit dem Wagen geht das nicht.“
„Sie wollen aussteigen?“ fragte Belopolski.
„Das ist unumgänglich. Außerdem muß ich Gesteinsproben sammeln.“
„Seien Sie vorsichtig, Sergej Alexandrowitsch!“ Das war Paitschadses Stimme.
„Selbstverständlich!“ antwortete Kamow. „Aber es besteht gar kein Grund zur Besorgnis. Das Gelände ist völlig verödet. Erwarten Sie mich in zwei Stunden zurück.“
Nachdem Kamow seine Waffe geprüft hatte, schnallte er sich den Sauerstoffbehälter auf den Rücken und zog, damit er ihn beim Klettern nicht behinderte, die Riemen fest an.
Der Felsen, den er sich ausgewählt hatte, stand etwa fünfzehn Meter vom Wagen entfernt und war mindestens zehn Meter hoch. Von seinem Gipfel mußte sich ein weiter Ausblick bieten. Das Gestein war stark verwittert, aber dieser Umstand konnte Kamow nur zustatten kommen! Um so leichter würde er die steile Wand bezwingen. Für alle Fälle nahm er noch ein langes Seil mit. Er setzte die Maske auf und verließ den Wagen, dessen Tür er fest hinter sich schloß.
Kamow trat an den Felsen heran. Wind und Wetter hatten das Gestein zerstört und gehöhlt. An vielen Stellen waren große Granitstücke abgebröckelt. Dicht unter dem Gipfel hatte sich ein Vorsprung gebildet, über den sich eine Schlinge werfen ließ. Das würde den Aufstieg bedeutend erleichtern. Schon der zweite Wurf gelang. Die Schlinge legte sich fest um den Vorsprung. Kamow begann sich hinaufzuziehen. Obwohl sein Körpergewicht hier nur etwa dreißig Kilogramm betrug, hatte er doch nicht erwartet, daß der Aufstieg so mühelos vor sich gehen würde. In wenigen Minuten hatte er den Gipfel erreicht. Stehen konnte er hier nicht, also legte er sich auf den Bauch, wobei er sich mit den Füßen gegen den Vorsprung stemmte, über den er sein Seil geworfen hatte.
Kamow konnte nun das ganze Felspanorama übersehen.
An der Gruppierung der Felsen erkannte er sofort, daß sie auf natürlichem Wege entstanden waren. Er unterdrückte seine Enttäuschung und machte etliche Aufnahmen. Dann wandte er sich vorsichtig nach der anderen Seite, um auch diese zu fotografieren.
Am Fuße des Felsens, den er erklommen hatte, befand sich ein freier Platz von zwanzig bis fünfundzwanzig Meter Durchmesser. Als Kamow hinunterschaute, lief ihm ein Schauer über den Rücken. Einem Teppich gleich breitete sich da unten matt schimmernd das ihm wohlbekannte silbrigweiße Fell. Echsen!
Es waren sehr viele. Eng aneinandergedrängt lagen sie auf dem Sand und schienen zu schlafen. Sonderbar, daß sie seine Gegenwart nicht spürten. Er war ihnen doch ganz nahe gewesen, als er am Fuße des Felsens stand. Vielleicht ging diesen Raubtieren die Witterung ab, die bei ihren Artgenossen auf der Erde so hoch entwickelt war? Ohne es zu ahnen, war er auf ihren Unterschlupf gestoßen, auf die Stätte, an der sich die Raubtiere tagsüber verborgen hielten.
Er mußte schleunigst von hier weg, solange sie noch schliefen. Wenn auch nur eine von ihnen aufwachte, ihn sah, war der Rückweg abgeschnitten.
Kamow machte rasch einige Aufnahmen. Er konnte sich nicht enthalten, die schlafenden Echsen zu fotografieren.
Auf der Erde hätte das Schnappen des Kameraverschlusses die Tiere sofort geweckt, aber in der dünnen Marsluft pflanzte sich der Schall nur schlecht fort. Die Echsen lagen immer noch unbeweglich.
Kamow steckte den Apparat ein und ließ sich behutsam hinab zum Seil. Ach, schliefen doch die Tiere nur noch drei, vier Minuten, er würde seinen Wagen erreichen!
Während er sich mit beiden Händen am Seil festhielt, schaute er nach unten. Vor Entsetzen begann ihm das Herz wie rasend zu hämmern. Wieder jagte ihm ein Schauer über den Rücken. Direkt unter ihm, an der Stelle, wo er sich hinablassen mußte, schimmerte ein langer, silbriger Leib. Graugrüne Katzenaugen starrten ihn unverwandt an und verfolgten jede seiner Bewegungen. Sprungbereit duckte sich das Tier zu Boden.
Konnte es einen zehn Meter hohen Sprung ausführen?
Kamow nahm den Revolver und kletterte, das Tier nicht aus den Augen lassend, wieder auf den Gipfel. Warum hatte er nur kein Gewehr mitgenommen! Aus dieser Entfernung hätte jeder Schuß tödlich getroffen. Mit dem Revolver aber konnte er das Tier unter Umständen nur verwunden. Zudem würden die schlafenden Echsen natürlich erwachen. Nein, schießen durfte er nicht. Er schmiegte sich an den Felsen, bemüht, nicht die geringste Bewegung zu tun, und beobachtete seinen Gegner.