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Das Raubtier machte keine Anstalten zu springen. Es lag im Sand und sah den Menschen unverwandt an.

Wenn das Tier sich nicht zurückzog, würde die Lage ernst werden. Vor seinen Augen hinunterzusteigen, war unmöglich. Warten? Wie lange? Worauf?

Kamow wußte nichts von der Verhaltensweise der Echsen. Wie lange mochte die Geduld des Tieres reichen, wie hoch mochte der Grad seines Vorstellungsvermögens sein? Ob es begriff, daß der Mensch da oben wieder herunterkommen mußte? Was mochte es überhaupt von dem ihm unbekannten Wesen denken, das plötzlich in seinem Reich aufgetaucht war?

Kamow beschloß, eine halbe Stunde zu warten. Wenn die Echse sich nicht zurückzog, würde er versuchen, sie zu erlegen oder durch den Schuß zumindest in die Flucht zu schlagen. Der Knall würde in der dünnen Luft die anderen Tiere vielleicht gar nicht wecken.

Minute um Minute verging. Wenn man den Wagen auf dem Mars zurückließ, standen Kamow noch einige Stunden zur Verfügung. Inzwischen konnte viel geschehen.

Obwohl er sich in einer tragischen Situation befand, verließ ihn seine Ruhe nicht. Kaltblütig überlegte er, auf welche Weise er sich aus der unerwarteten Gefangenschaft befreien konnte. Wenn er das Seil einzog, würde er mit seiner Hilfe den etwa fünf Meter entfernten Nachbarfelsen erreichen, der am Gipfel eine scharfe Zacke aufwies, um die er die Schlinge leicht werfen konnte. War das Seil erst einmal daran befestigt, dann würde er, wie auf einer Brücke, hinübergelangen.

Das Seil war fünfzig Meter lang. Es mußte also genug davon übrigbleiben, daß er das Manöver wiederholen und sich dem Geländewagen so weit wie möglich nähern konnte. Dann wollte er versuchen, das Tier zu töten, falls es ihm folgte, und sich in den Wagen werfen, ehe die anderen zur Stelle waren.

Kamow begann vorsichtig das Seil einzuziehen. Das Ende lag in der Nähe der Echse, und er wartete gespannt, wie sich das Tier verhalten würde.

Dem Tier war es nicht entgangen, daß sich das Seil vor ihm bewegte. Es wandte den Kopf, richtete die Augen aber sofort wieder auf den Menschen. Ihm galt offensichtlich sein größeres Interesse.

Doch schon hatte Kamow das ganze Seil an sich gerafft.

Er wollte mit der Ausführung seines so gewagten Planes so lange warten, bis die halbe Stunde, die er sich als Frist gesetzt hatte, abgelaufen war. Vielleicht zog sich die Echse doch noch zurück.

Einen Augenblick lang glaubte Kamow, seine Hoffnung erfülle sich. Das Tier hörte auf, ihn zu beobachten. Es strich am Fuße des Felsens umher und schenkte dem Menschen scheinbar keine Beachtung.

Hatte es ihn vergessen?

Das war durchaus möglich.

Doch keine Spur! Nach kurzer Zeit stellte das Tier seine Wanderung ein, legte sich abermals nieder und richtete den Blick starr auf den Felsengipfel.

›Stures Biest!‹ dachte Kamow.

Die festgesetzte Zeit war verstrichen.

Vorsichtig kniete er sich hin, holte mit der Schlinge aus und warf. Obwohl er sich in dieser Kunst nie geübt hatte, legte sich die Schlinge zu seiner Verwunderung gehorsam um die ausersehene Felszacke.

Den Fuß in eine Spalte geklemmt, zog er heftig an dem Seil, um dessen Festigkeit zu prüfen. Das Seil gab unerwartet leicht nach. Die Felszacke, die so zuverlässig ausgesehen hatte, wankte und stürzte in die Tiefe. Um ein Haar hätte Kamow das Gleichgewicht verloren. Mit unwahrscheinlicher Muskelanspannung bog er sich noch im letzten Moment zurück und rettete sich davor, aus zehn Meter Höhe den unter ihm liegenden Ungeheuern in den Rachen zu fallen.

Der Granitbrocken schlug fünf Schritte von der unten lauernden Echse entfernt in den Sand. Erschrocken sprang das Tier mit einem Satz zwischen zwei Felsen hindurch, mitten unter seine schlafenden Artgenossen.

In der Herde erhob sich Unruhe. Der silbrige Teppich in der Tiefe begann zu wogen und zu flimmern.

Während Kamow den abgebrochenen Gesteinsklumpen und die eigene Unvorsichtigkeit verfluchte, verließ eine Echse nach der anderen den Lagerplatz und strebte den mittleren Durchgängen zwischen den Felsen zu. Bald sah Kamow überall ringsum ihre silbern glänzenden Felle. Er zählte mehr als fünfzig Tiere. Nun war an einen Abstieg nicht mehr zu denken. Alle Fluchtwege waren verlegt. Solange die Ungeheuer nicht abzogen, mußte er auf seinem Felsen ausharren.

Kamow wußte nur zu gut, daß sich die Echsen aller Voraussicht nach erst bei Anbruch der Dunkelheit entfernen würden. Die Sonne ging hier um acht Uhr zwanzig Moskauer Zeit unter. Also blieben bis dahin noch vier Stunden.

Der Sauerstoff in der Flasche würde so lange reichen. Daß die Tiere zu ihm heraufklettern könnten, brauchte er nicht zu befürchten. Sie machten keinerlei Anstalten, auf den Felsen zu springen, was Raubtiere auf der Erde unbedingt getan hätten. Er war an seinem uneinnehmbaren Zufluchtsort außer Gefahr und hätte in Ruhe abwarten können, bis die Tiere ihren nächtlichen Streifzug antraten, wenn … ja wenn das Raumschiff den Mars nicht hätte pünktlich um acht Uhr verlassen müssen. Spätestens um sieben Uhr mußte er sich befreien, koste es, was es wolle, sonst blieb ihm keine Hoffnung mehr, das Schiff rechtzeitig zu erreichen. Was ihn dann erwartete, war der Tod. Kamow hatte Belopolski das Versprechen abgenommen, unter allen Umständen pünktlich zu starten. „Auch dann, wenn Sie sich verspäten?“ hatte Konstantin Jewgenjewitsch gefragt.

„Auch dann!“ hatte er geantwortet, ohne zu schwanken.

Belopolski würde Wort halten. Er wußte, welche Folgen eine Verzögerung haben konnte.

Heimwärts!

Gegen Mittag hatte ich Kamow zu seiner letzten Fahrt mit dem Geländewagen hinausbegleitet. Sergej Alexandrowitsch war ausnehmend guter Laune. „Lassen Sie sich die Zeit nicht lang werden!“ scherzte er, als er sich ans Steuer setzte. Dann fuhr der Wagen davon.

Ich kehrte an Bord zurück. Belopolski saß an Paitschadses Bett. Dicht neben ihm befand sich auch die Funkstation. Ich ging in mein Laboratorium und räumte auf.

Nachdem ich meine Arbeit im Labor beendet hatte, kehrte ich zu den beiden Astronomen zurück. Sie unterhielten sieh über Dinge, die nichts mit dem Mars und unserem Aufenthalt auf dem Planeten zu tun hatten. Kamow hatte sich noch nicht gemeldet. Ich trat ans Fenster und blickte hinaus auf das bereits vertraute Bild der Marswüste. Der Tag war klar und windstill.

Um vierzehn Uhr zehn teilte Kamow mit, er trete die Rückfahrt an. Er bat uns, in einer Stunde das Leitsignal zu geben, weil er auf einem anderen Wege zurückkehren wollte.

Die Stunde verging. Belopolski schaltete das Mikrofon ein. Es folgte ein kurzes Gespräch, von dem ich nicht ein Wort vergessen habe. Kamow überraschte uns mit der Neuigkeit, daß er Felsen entdeckt habe. Diese Worte wirkten zündend, sogar Paitschadse richtete sich erregt auf. Felsen auf dem Mars! „Endlich!“ murmelte er.

Kamow sagte, er wolle den Wagen verlassen, um seine Entdeckung näher zu untersuchen und Gesteinsproben zu sammeln. Paitschadse bat ihn, vorsichtig zu sein, worauf Kamow das Gespräch ziemlich hastig abbrach. Möglicherweise befürchtete er weitere Einwände.

Als ein Geräusch verkündete, daß Kamow abgeschaltet hatte, sprang Paitschadse unerwartet von seinem Lager auf.

Belopolski schüttelte mißbilligend den Kopf.

„Es besteht doch gar kein Grund zur Besorgnis“, sagte er.

„Ich weiß“, antwortete Paitschadse.

„Weshalb regen Sie sich denn auf?“

„Das weiß ich nicht, aber ich bin nun mal aufgeregt.“

In diesem Augenblick erinnerte ich mich an Basons Aufnahme, die ich entwickelt hatte — Hapgoods Kopf im Rachen des Ungeheuers — und sagte unwillkürlich: „Und wenn nun eine Echse …?“

Keiner sprach ein Wort. Im Observatorium trat bedrückende Stille ein. Paitschadse vergaß Kamows Mahnung, bis zum Start liegenzubleiben, und schritt in dem engen Zwischenraum zwischen Pult und Tür langsam auf und ab.