Im amerikanischen Schiff mußte auch Papier zu finden sein. Arbeit hatte er genug für die Zeit, die ihm noch blieb.
Er konnte und mußte die Betrachtungen und Berechnungen niederschreiben, die er in bezug auf Weltraumflüge angestellt hatte.
In Hapgoods Schiff gab es natürlich auch Sauerstoff.
Wenn Kamow wollte, konnte er sich weit länger als zwei Wochen am Leben erhalten.
Jedem Menschen auf der Erde, der in eine scheinbar aussichtslose Lage gerät, bleibt trotzdem die Hoffnung, daß ihm der Zufall andere Menschen zuführt, die ihm helfen.
Er muß bis zum Letzten um sein Leben kämpfen. Kamow aber hatte absolut nichts, worauf er hoffen durfte. Niemand konnte ihm zu Hilfe kommen. Er war allein auf einem fremden Planet. Die Erde war weit von ihm entfernt, unvorstellbar weit. Das Raumschiff wird sie in anderthalb Monaten erreichen. Selbst wenn es dann unverzüglich zurückflog — was an und für sich völlig unmöglich war —, würde es doch erst nach vier Monaten wieder auf dem Mars eintreffen. So lange reichte der Sauerstoff im amerikanischen Schiff nicht aus. Daß es vernünftige Wesen auf dem Mars gab, war ausgeschlossen, und gar Hilfe von sonstwoher zu erhoffen, einfach unsinnig.
Systematisch durchdachte Kamow alle Möglichkeiten zu seiner Rettung, weil er sich überzeugen wollte, daß es nicht einmal theoretisch eine Möglichkeit gab.
Das amerikanische Raumschiff! Auf den ersten Blick der leichteste Weg zur Rettung. Nichts einfacher als das — einsteigen und zur Erde fliegen. So würde zweifellos jeder denken, der nicht mit der Steuertechnik kosmischer Schiffe vertraut ist und wenig Ahnung von Weltraumnavigation hat. In den unermeßlichen Weiten, über die sich das Sonnensystem erstreckt, sind Erde und Mars winzige Pünktchen. Will man von einem dieser Punkte zum andern gelangen, so muß man den kaum spürbaren Einflüssen, die von beiden Planeten, der Sonne und selbst anderen Planeten, insbesondere dem Jupiter, auf das Raumschiff ausgeübt werden, peinlichst Rechnung tragen. Der Kommandant eines Weltraumschiffes muß sein Schiff genau kennen, er muß wissen, wie groß und wie schwer es ist, wie die Motoren angeordnet sind, was sie leisten und welche Geschwindigkeit sie dem Schiff vermitteln; er darf sich nicht um einen Zentimeter in der Sekunde irren. Ohne diese Voraussetzungen würde sich das Schiff rettungslos in den Weiten des Raumes verlieren und sein Ziel nie erreichen. Kamow wußte das nur zu gut. Mit einem fremden Schiff, von dessen Konstruktion und Motoren man keine Daten hat, zur Erde fliegen zu wollen, war dasselbe, als wollte man mit verbundenen Augen ein Gewehr abschießen und gleich beim ersten Schuß ein zwei Kilometer entferntes Zwanzigkopekenstück treffen. Ein aussichtsloses Unterfangen!
Schluß! Alle nur erdenklichen Möglichkeiten einer Rettung, sogar die unwahrscheinlichsten waren durchdacht und erwogen, die Konsequenzen gezogen. Also genug!
Als Kamow den Scheinwerfer einschaltete, mußte er feststellen, daß er vom Weg abgekommen war. Er wendete und fuhr zurück. Bald stieß er wieder auf die alte Spur. Er hatte die Biegung nach Norden verpaßt.
Von der Wegbiegung bis zum Landeplatz des Raumschiffes waren es noch siebzig Kilometer.
Draußen herrschte strenger Frost, doch im Wagen war es heiß. Die hermetisch verschlossenen Fenster und Türen ließen keine Außenluft herein, und die Wände des Geländewagens wurden elektrisch geheizt.
Kamow knöpfte den Pelzoverall auf und nahm den Helm vom Kopf. Er war hungrig, aber er hatte nichts Eßbares bei sich.
Es waren noch anderthalb Stunden bis Sonnenaufgang, als sich der Wagen dem wohlbekannten Platz näherte. Undeutlich ragte auf der Lichtung die dunkle Silhouette des Stahlobelisk empor. In seinen glattpolierten Flächen spiegelten sich funkelnd die Sterne. Der zugefrorene See schien merkwürdig nahe an die Lichtung herangerückt. Es fehlte dazwischen der riesige Leib des Schiffes.
Den Sonnenaufgang verschlief Kamow. Der erschöpfte Organismus forderte sein Recht. Er erwachte erst gegen Mittag.
Kamow beschloß, Hapgoods Raumschiff aufzusuchen, sich daraus die nötige Menge Wasser und Nahrungsmittel zu nehmen und dann zu dem Obelisk zurückzukehren. Daß er es in dem amerikanischen Schiff weitaus bequemer haben konnte, daran mochte er nicht denken. Er wollte die letzten Tage hier verbringen.
Die Spuren der Gleisketten waren verweht: Wind und Sand hatten sie zugeschüttet.
Kamow lenkte den Wagen nach Westen. Dort wird er das Schiff suchen, wenn er hundertfünfzig Kilometer zurückgelegt hat. Er erinnerte sich, daß Paitschadse und er während der ersten Ausfahrt den Kurs genau nach Westen gehalten hatten und nirgends abgebogen waren. Dieser Umstand kam ihm sehr zustatten. Andernfalls wäre es eine unlösbare Aufgabe gewesen, das kleine Schiff inmitten der endlosen Wüste zu finden.
Der einzige Orientierungspunkt unterwegs, der „Sumpf“, lag fünfzig Kilometer entfernt; Kamow, der diese Strecke durchfuhr, gewann die Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein. Er erkannte die denkwürdige Stelle leicht, die zu erreichen er und Melnikow sich so beeilt hatten. Nun fuhr der Geländewagen schneller.
Als der Kilometerzähler anzeigte, daß hundertfünfzig Kilometer zurückgelegt waren, hielt Kamow den Wagen an, stieg aus und kletterte aufs Verdeck.
Das amerikanische Schiff war nirgends zu sehen.
Ohne Zweifel, er war vom damaligen Weg abgewichen.
Aber um wieviel?
Nach kurzem Überlegen beschloß Kamow, nach rechts abzubiegen und in dieser Richtung zehn Kilometer zu fahren. Wenn er das Schiff nicht entdeckte, wollte er auf der Wagenspur zurückkehren und das gleiche Manöver nach links wiederholen. Ließ sich das Schiff auch auf dieser Seite nicht finden, so würde er es weitersuchen, indem er immer größere Kreise beschrieb. Umzukehren, ohne das Schiff gefunden zu haben, bedeutete, Hungers zu sterben.
Kamow wußte, daß er nur wenig vom Weg abgewichen sein konnte. Das Ziel mußte irgendwo in der Nähe sein.
Tatsächlich, als er etwa acht Kilometer zurückgelegt hatte, sah er linker Hand einen Sandhügel. Im ersten Augenblick glaubte er, wiederum auf Felsen gestoßen zu sein; aber als er näher hinsah, erkannte er das amerikanische Raumschiff, vor dem der Sturm, der hier einem Hindernis begegnet war, einen Sandberg aufgehäuft hatte.
Die Eingangstür war unter diesem Berg verschüttet.
Kamow arbeitete nicht weniger als drei Stunden, bis er zu ihr vordringen konnte. Zum Glück waren die Spaten, die sie auf ihrer letzten Fahrt hierher mitgenommen hatten, im Wagen liegengeblieben. Ohne Spaten hätte er den Sand mit den Händen wegschaufeln müssen.
Zum dritten Male betrat er nun das Innere des amerikanischen Schiffes.
Neben dem Steuerpult sah er den dicken Briefumschlag, den er selbst hingelegt hatte, den Umschlag mit dem Protokoll über das Ableben des Kommandanten dieses Schiffes.
›Welch merkwürdige Fügung des Schicksals‹, dachte Kamow. ›Beide Weltraumschiffe haben auf dem Mars ihre Konstrukteure verloren.
Er fand den Aluminiumkasten, in dem Proviant lag, aber Getränke fand er nicht. Hatten die Amerikaner denn nichts zu trinken gehabt? Irgendwo mußte doch zumindest Wasser sein. Mehr noch als der Hunger plagte Kamow jetzt der Durst. Er begann zu suchen; dabei wunderte er sich immer mehr über das Durcheinander von Behältern, Flaschen, Kisten und verschiedenartigen Gefäßen, zwischen denen man sich kaum rühren konnte.
Als er den Hahn eines Stahlbehälters aufdrehte, entdeckte er darin Alkohol. Komischer Einfall‹, dachte er, Alkohol in solcher Menge auf eine kosmische Reise mitzunehmen, und noch dazu in einem so schweren Gefäß! In anderen Behältern war flüssiger Sauerstoff. Viele Behälter waren leer.
Ein großer Aluminiumtank enthielt Wasser. Es roch scharf nach Metall und, wie ihm schien, auch nach Gummi.
Von dem Tank führten Schläuche zu zwei länglichen, sargähnlichen Kästen. Das Wasser war offensichtlich nicht zum Trinken bestimmt.
Endlich fand er mehrere Flaschen mit Orangensaft. ›Sehr schön! Was will ich mehr?‹ dachte er.