„Der Motor meines Schiffes kann zehn Minuten arbeiten und gestattet uns bei einer Beschleunigung von vierzig Metern in der Sekunde eine Geschwindigkeit von vierundzwanzig Kilometern — genauer gesagt, dreiundzwanzig Komma acht. Wenn wir die Beschleunigung beim Aufstieg auf fünfzig Meter steigern, erhalten wir eine Endgeschwindigkeit von achtundzwanzigeinhalb Kilometern. Und das genügt vollauf, Kamow zu überholen, um so mehr, als wir uns den Umweg zur Besichtigung der Venus ersparen.“
„Sind Sie davon überzeugt?“ fragte Bason, der aus Hapgoods Worten neue Hoffnung schöpfte.
„Ja, aber nur, wenn wir den Flug spätestens am zehnten Juli antreten.“
„Es wird schwer halten, mit den Vorbereitungen so schnell fertig zu werden.“
„Ich werde alles tun, damit wir es schaffen“, sagte Hapgood. „Wir haben noch sieben Tage Zeit. Wenn wir uns ordentlich ins Zeug legen, werden wir rechtzeitig fertig.
Kommen Sie morgen um neun Uhr wieder zu mir.“
Als der Journalist gegangen war, saß Hapgood noch lange Zeit tief in Gedanken versunken. Er war sich darüber im klaren, daß sein Entschluß, die Beschleunigung auf fünfzig Meter zu erhöhen, schwere Folgen für die Gesundheit haben konnte. Schon die ursprüngliche Beschleunigung von vierzig Metern hätte die dem Organismus zumutbare Belastung um das Anderthalbfache überschritten. Laut ärztlicher Feststellung betrug die Beschleunigung, die ein Mensch ohne Schaden für seine Gesundheit vertragen konnte, dreißig Meter in der Sekunde, und das auch nur eine Minute lang. Er aber hatte vor, sich und seinen Begleiter zehn Minuten lang einer auf das Fünffache gesteigerten Schwerkraft auszusetzen. Zwar wollte er den Start im Wasserbad liegend durchführen, doch war er sich nicht gewiß, ob ihm dies die erwünschte Wirkung verbürgte. Das Risiko war sehr groß, aber es blieb keine andere Wahl. Entweder nahm er das Wagnis auf sich, oder er gab den Kampf auf und mußte erleben, daß sein Rivale einen vollen Triumph feierte.
Der Name Charles Hapgood war seinerzeit in den Vereinigten Staaten überaus populär. Der talentierte Ingenieur und bekannte Theoretiker der Astronautik hatte die erste mit Atomdüsenantrieb versehene Stratosphärenrakete der Welt konstruiert.
Nachdem er mit ihr über den Atlantischen Ozean geflogen war und dabei alle bisher erzielten Geschwindigkeitsrekorde weit hinter sich gelassen hatte (der Flug dauerte nur eine Stunde und fünfzehn Minuten), hatte er sich in der ganzen Welt einen Namen gemacht. In einem Interview, das er nach diesem Flug gab, erklärte er, sein nächster Flug werde über den Bereich der Erde hinausgehen. Die amerikanischen Zeitungen nannten Hapgood einen „Weltraumkapitän“, worauf der seinerzeit noch völlig unbekannte sowjetische Ingenieur Kamow in einem Artikel, in dem er den Erfolg des amerikanischen Konstrukteurs würdigte, die Bemerkung fallen ließ, ein solcher Titel sei noch etwas verfrüht.
„Formal hat er recht“, sagte Hapgood im Gespräch mit einem Zeitungskorrespondenten, der ihn fragte, wie er über diesen Satz denke, „aber eine Überquerung des Atlantiks und ein Flug, sagen wir, zum Mond unterscheiden sich wenig voneinander. Von der Stratosphärenrakete zum Weltraumschiff ist es nur ein Schritt, und ich werde diesen Schritt in Kürze tun.“
So dachte Charles Hapgood, aber in Wirklichkeit kam es anders, und den ersten Schritt zur Eroberung des Weltraums tat nicht er, sondern jener sowjetische Ingenieur Kamow.
Damit begann zwischen ihnen ein hartnäckiger Kampf um die Führung in der Raumschiffahrt. Die Regierung der Vereinigten Staaten gewährte Hapgood jedwede Unterstützung.
Das erste Ziel Hapgoods sollte der Mond sein, den Kamow nur umflogen hatte. Hapgood, der davon ausging, daß Kamow mindestens zwei Jahre brauche, ehe er seinen zweiten Flug durchführen könne, trieb den Bau seines Raumschiffes energisch voran.
Das Schiff war bereits fertig, als die Nachricht eintraf, daß Kamow und Paitschadse den Mond erreicht hatten.
Das war für Hapgood ein schwerer Schlag. Er verfolgte aufmerksam alles, was von Kamows Vorbereitungen auf seinen dritten Flug in der Fachliteratur durchsickerte, und versuchte, sich eine Vorstellung vom Schiff seines Rivalen zu machen. Aber Kamow war sehr vorsichtig, und bis zum letzten Tag blieben Hapgood so wichtige Daten wie Geschwindigkeit und Maße des russischen Raumschiffes unbekannt. So kam es, daß er die Kräfte und Möglichkeiten des Rivalen unterschätzte und die eigenen überschätzte.
Dennoch entschloß er sich, zur vollen Gewähr seines Erfolges die Beschleunigung bis auf vierzig Meter zu steigern.
Hapgood baute sein Schiff so, daß nur zwei Personen darin Platz fanden. Alle Angebote amerikanischer Wissenschaftler, die gern an dem Flug teilgenommen hätten, beantwortete er mit einer kategorischen Absage und erklärte ein für allemal, auf die erste Reise nur einen Pressevertreter mitnehmen zu wollen.
Nachdem das Schiff fertig war, wandte sich Hapgood in einem offenen Schreiben an die Journalisten Amerikas.
Bason meldete sich zum Mitfliegen.
„Was hat Sie veranlaßt, zu mir zu kommen?“ fragte Hapgood den jungen Korrespondenten der „New York Times“.
„Das will ich Ihnen offen gestehen“, antwortete Bason.
„Ich bin ehrgeizig.“
„Aha! Also ehrgeizig sind Sie? Haben Sie auch an die Gefahren gedacht, die Ihnen drohen? Vielleicht ist es nicht Ruhm, was Sie erwartet, sondern der Tod.“
„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt“, entgegnete Bason.
Er war groß und breitschultrig und hatte, wenn auch nicht schöne, so doch anziehende Gesichtszüge. Ein typischer junger Durchschnittsamerikaner.
Hapgood war zufrieden. Eben solch einen Gefährten brauchte er.
„Ich will auch offen zu Ihnen sein“, sagte er. „Vor allem ist es mir darum zu tun, Kamow zu schlagen.“ Bason nickte. „Um dabei ganz sicher zu gehen, mußte ich die Beschleunigung des Raumschiffes mit vierzig Metern in der Sekunde festlegen. Ich will Ihnen nicht verheimlichen, daß das für die Besatzung gefährlich ist.“
Das Gesicht des Journalisten zeigte bei dieser Mitteilung nicht das geringste Anzeichen von Beunruhigung oder Besorgnis. „Ich kenne mich in diesen Dingen wenig aus“, antwortete er mit gewinnender Offenherzigkeit. „Sie sagen, das sei gefährlich. Ich glaube es Ihnen. Aber wenn Sie sich in diese Gefahr begeben, warum sollte ich es dann nicht auch tun?“
„Nun, wenn es so ist“, meinte Hapgood erfreut, „dann bin ich sehr froh, einen solchen Begleiter gefunden zu haben.“ Er schüttelte Bason kräftig die Hand.
Über der Venus
Den 15. September werden wir nie vergessen. An diesem Tage durchstießen wir die Wolkendecke der Venus.
Der geheimnisvolle Schleier, der die Oberfläche des Planeten verborgen hielt, ist nun gelüftet.
Das, was unter dichten Wolken versteckt war und dem menschlichen Auge vor noch so kurzer Zeit als unerreichbar galt, bot sich unseren Blicken dar, und die Kamera hielt alles im Bild fest.
Wir näherten uns der Venus am 14. September etwa um zwölf Uhr. Der Planet, der uns anfangs als eine schmale Sichel erschien, vergrößerte sich schnell und zeigte sich uns gegen zwanzig Uhr in seiner vollen Phase. Die sonnenbeschienene Venus leuchtete wie ein schneeiger Berggipfel an einem klaren, sonnigen Tag auf der Erde. Es waren noch etwa zwei Millionen Kilometer bis zur Venus, und ihre sichtbare Fläche wirkte fast genauso groß wie die des Mondes, wenn wir ihn in der Vollmondphase sehen.
Mit bloßem Auge konnte man erkennen, daß die Oberfläche des Planeten dicht bedeckt war mit weißen Wolken.
Vor dem Hintergrund des schwarzen, sternenbesäten Himmels sah die schneeweiße „Schwester der Erde“ märchenhaft schön aus. Ich klebte förmlich an meinem Fenster, außerstande, mich von diesem Anblick loszureißen, und machte eine Farbfilmaufnahme nach der andern.
Am 15. September um sieben Uhr morgens befahl uns Kamow, die Helme aufzusetzen, und schaltete die Motoren zum Bremsen ein.