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Das Innere von Wegener hatte beträchtliche Ausmaße. Das Terrarium war etwa zwanzig Kilometer lang und hatte einen Durchmesser von fünf Kilometern, und durch die Drehung wurde ein G-Äquivalent erzeugt. Der Großteil des Innenraums war ein Naturpark, mit einigen kleinen Ortschaften dazwischen, die größtenteils in Bug- und Hecknähe lagen. Die Mischung aus Savanne und Pampa war sehr schön anzusehen, dachte Wahram, während sie sich dem ersten Dorf näherten und dabei zum Land über ihren Köpfen aufblickten. Präriegras und Waldstückchen wölbten sich über ihnen wie die Kuppel einer gigantischen Sixtinischen Kapelle, in die Michelangelo das Bild eines denkbaren Gartens Eden gemalt hatte – eine Savanne, die erste Lebenswelt des Menschen, die etwas Tiefliegendes ansprach. Allerdings erzeugte die Topologie der Terrarien bei Wahram immer das Gefühl, sich in der Röhre einer aufgerollten Landschaft zu befinden. Wenn man an dem Längengrad entlangschaute, auf dem man sich befand, sah das Land immer wie ein gestrecktes, u-förmiges Tal aus, wobei weiter entferntere, höhere Bäume die näheren überragten und sich in einer immer steiler werdenden Krümmung dem Talboden entgegenneigten, bis die Seitenwände schließlich vertikal standen wie in manchen großen Glazialtälern – doch die Wände ragten noch weiter empor, bogen sich einwärts und brachen die Vertikalität auf eine unverkennbare Art und Weise auf. Ab diesem Punkt befand sich die Landschaft über einem und stand schlicht und einfach auf dem Kopf. Wie zum Beispiel in diesem Moment, als er hinter einer Wolke einen Vogelschwarm von oben sehen konnte, der über einen direkt überkopfhängenden See hinwegflog.

Wahram quartierte sich in einem kleinen Saturn-Gästehaus ein, das sich im nächstgelegenen Ort mit Namen Plum Lake befand. Im Erdgeschoss gab es ein kleines Restaurant, also meldete er sich zum Küchendienst (er mochte diese einfachen Arbeiten), und nachdem er geduscht hatte, machte er einen Spaziergang durch den Ort. Es war ein hübsches Städtchen, am See gelegen und mit einer Anhöhe in der Nähe und einer Tramstation am östlichen Ortsrand. Von dort aus fuhren Bahnen durch das Parkgelände zu anderen Städten. Der Hauptplatz in der Mitte war voller Venusianer, die sich wahrscheinlich auf dem Heimweg befanden: hauptsächlich große, breitschultrige junge Chinesen mit durchdringenden Augen und breitem Lächeln. Bei ihrer gefährlichen Arbeit auf der Venus standen sie hüfttief im Trockeneis. Zu Hause auf dem Titan verrichtete Wahram eine ähnliche Art von Arbeit, aber der Titan hatte nur 0,14 g, was ihm bei kleinen Missgeschicken oft das Leben gerettet hatte. Venus mit seinen 0,9 g schien im Vergleich höchst gefährlich..

Am Stadtrand stieß er auf eine Baumreihe und einen Zaun. Er meldete sich bei einem kleinen Laden an und las auf einer Plakette, dass seine neue Bekanntschaft Swan Er Hong das hiesige Biom vor etwa siebzig Jahren gestaltet hatte. Das war eine Überraschung: Er hatte gehört, dass sie früher Biome entwickelt hatte, aber bei ihrer Ankunft hatte sie keinerlei Interesse an Wegener gezeigt.

Wahram holte eine von mehreren kleinen Betäubungspistolen aus einer Schachtel, steckte sie sich in die Manteltasche und ging durch das Tor in den Park. Er wanderte schräg die Bodenkrümmung hinauf. Das Erdreich bestand aus schwerem, schwarzem Löss, teils tansanischen und teils argentinischen Ursprungs, wie er bei dem Laden gelesen hatte. Ein Wäldchen breitkroniger Akazien wies Schäden von Elefanten auf, die ihre Stoßzähne an den Stämmen gerieben hatten. Die Baumspitzen, die sich direkt überkopf befanden, sahen aus wie runde Flechtengewächse. Hohe Grasbüschel versperrten ihm die Sicht auf seine unmittelbare Umgebung; dort, wo der Park sich hinter den nahen Baumwipfeln krümmte, war mehr zu erkennen. Links oben, oberhalb der Bäume, befand sich eine kleine Felsformation, die ihm ein guter Aussichtspunkt schien. Auf diesen Gedanken mochte allerdings auch ein Puma oder eine Hyäne kommen, also näherte er sich den Felsen wachsam. Die meisten Tiere nahmen sich vor Menschen in Acht, aber er wollte keines erschrecken. Man braucht keine Gefahr, um Aufregung zu erleben, hatte seine Mutter immer zu ihm gesagt. Das wäre dekadent, und Dekadenz kann ich nicht leiden! Seine restlichen Eltern waren weniger selbstgerecht gewesen. Vielleicht lag das daran, dass sie alle um den Saturn lebten und ihre Vorstellung von Gefahr deshalb eine gewisse Schieflage aufwies. Aber seine Mutter hatte sich klar ausgedrückt, und Wahram war nicht dekadent. Das Neue konnte ihn immer wieder aufrütteln, und auch jetzt pochte sein Herz ein wenig schneller.

Doch der Felsvorsprung war leer. Auf den Steinen wuchsen echte Flechten. Es sah aus, als seien sie mit einer Schicht Halbedelsteine bestreut, in Gelb und Rot und Blassgrün. Er kauerte sich in eine Spalte und schaute sich um.

Er sah eine Gepardin mit zwei Jungen zwischen den Grasbüscheln unter ihm. Die Aufmerksamkeit der Mutter war auf einige Kamphirsche gerichtet, die nicht weit von ihnen grasten. Wahram fragte sich, welchen Reim Kamphirsche sich auf Geparden machten – ob es in Südamerika wohl ein ähnlich schnelles Raubtier gab? Das erschien ihm unwahrscheinlich.

Er schätzte sich glücklich, einen wachen Geparden zu sehen, denn normalerweise schienen diese Tiere zu schlafen. Es sah aus, als versuchte diese Mutter, ihren Jungen das Jagen beizubringen. Sie drückte eines mit der Pfote herunter, damit es flach auf dem Boden lag. Der Chiralwind rauschte von links herab, sodass er auf der windabgewandten Seite der Raubkatzen saß; sie würden ihn nicht riechen. Zumindest machte es den Eindruck, obwohl die Sinne vieler Tiere genau genommen so scharf waren, dass Menschen im Vergleich taub und blind wirkten.

Er ließ sich nieder, um zuzusehen. Die Jungen, deren Fell noch scheckig war, wirkten verwirrt, als begriffen sie nicht, dass man ihnen etwas beibringen wollte. Sie kämpften miteinander und wollten wahrscheinlich viel lieber spielen. Der Zeitraum, in dem das Gehirn am stärksten wuchs, war auch der Zeitraum der größten Verspieltheit.

Auch die Geparden befanden sich auf der windabgewandten Seite der Hirsche, die kein bisschen beunruhigt wirkten, sich ihnen sogar näherten. Die Geparden-Mutter kauerte sich ins Gras, und nun taten ihre Jungen es ihr mit nervös zuckenden Schwänzen nach.

Dann schnellte die Mutter in einem Wirbel von Grashalmen los, und die Jungen setzten ihr hinterher. Die Hirsche stoben in weiten, hohen Sätzen auseinander und ließen die Geparden in einer Staubwolke zurück; doch dann mussten die Hirsche ein Baumgrüppchen umrunden, und die Gepardin erwischte das letzte Tier der Gruppe und riss es zu Boden. Die beiden verwandelten sich in ein Fellknäuel, bei dem die Gepardin schließlich oben lag, die Zähne fest in die Wirbelsäule des Hirschs geschlagen. Der Hirsch bäumte sich noch einmal kurz auf, dann lag er still. Der Anblick des roten Bluts war wie immer ein leiser Schock. Die Jungen kamen nach, und Wahram fragte sich, ob sie bei der Lektion etwas gelernt hatten, außer dass sie erwachsen werden und schnell rennen mussten.

Er stellte fest, dass er aufgestanden war. Im nächsten Moment sah er links von sich eine Bewegung und erkannte, dass es sich um einen Menschen handelte: Swan. Überrascht winkte er ihr zu, und sie hob das Kinn, während sie der Gepardin weiter beim Töten zusah. Nun zeigte die Mutter ihren Kätzchen, wie man einen Hirsch frisst. Nicht, dass sie dafür viel Anleitung benötigt hätten. Wahram beobachtete die Szene. Der erleuchtete Bereich des Sonnenstreifens befand sich derzeit weit vorne im Bug des Terrariums, das Licht fiel schräg ein und hatte eine Sonnenuntergangsfärbung. Die Grasbüschel wiegten sich im Wind. Es kam ihm vor, als habe er an etwas Uraltem teil.

Swan kam zu ihm herüber und stieg auf die Felsformation. Es war ihm unangenehm, dass man ihn hier allein antraf, was nicht in allen Parks legal war und im Allgemeinen als unvernünftig galt. Andererseits war sie schließlich auch allein.