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Wahram dachte darüber nach. »Was ist mit dem toten Terrarium draußen im Asteroidengürtel? Mit Yggdrasil?«

»Ich weiß nicht so recht. Vielleicht sollte es dafür sorgen, dass die Leute sich verwundbar fühlen. Vielleicht haben sie nur ihre Methode ausprobiert. Aber ich gebe zu, dass es seltsam ist. Das ist einer der Gründe, warum ich diese Qubanoiden sehen will, und wen auch immer man hier sonst noch festgenommen hat.«

Eine Gruppe von Menschen kam zum Haupteingang heraus, und Genette lief schnurstracks auf sie zu. Viele von ihnen waren Kleine; bei der Erstürmung des Gebäudes hatte man anscheinend eine Art Trojaner eingesetzt – mehrere von ihnen hatten sich durch die Luftschächte Zutritt verschafft und den Angriff mit Gasladungen eingeleitet.

»Alles klar, komm«, sagte Genette, wenig später wieder an Wahrams Seite zurückgekehrt. »Verschwinden wir von hier. Wir müssen diese Dinger so schnell wie möglich von dem Planeten hier fortschaffen.«

Eine Schlange von etwa zwei Dutzend Menschen, die meisten davon normalgroß, aber mit einem Kleinen und einer Großen darunter, kamen zur Tür heraus, an ihren Sicherheitswesten aneinandergekettet. Genette hielt einen nach dem anderen an und stellte ihnen sehr höflich einige Fragen, wobei er sie jeweils nur für ein paar Sekunden festhielt. Auch Wahram musterte die Personen, die an ihnen vorbeigingen, und ihm fielen ihre vielleicht etwas zu geschmeidigen Bewegungen auf und der durchdringende, glasige Blick, den einige hatten. Trotzdem hätte er nicht darauf gewettet, die Menschen von den künstlichen Personen unterscheiden zu können. Das war jedenfalls beunruhigend. Ein kleiner Tropfen des Entsetzens schien ihm durch die Kehle und bis herab in den Magen zu rinnen und sich dort auszubreiten.

Genette hielt die letzte Gestalt in der Reihe an. »Aha!«

»Wer ist das?«, fragte Wahram.

»Ich glaube, das ist Swans Bowls-Spieler.« Genette hielt Passepartout empor und machte ein Foto. Dann nickte er, als er die zusammenpassenden Fotos auf dem kleinen Monitor des Armbandqubes sah. »Und wie es scheint« – er strich der jungen Person mit einem Stab über den Kopf –, »handelt es sich letztlich doch um einen Menschen.«

Stumm erwiderte Genettes Gegenüber seinen Blick.

Genette sagte: »Vielleicht ist das ja unser Programmierer, was? Das können wir auf dem Weg ermitteln. Ich will so schnell wie möglich von der Venus verschwinden.«

Das bedeutete, dass sie die Stadt ein weiteres Mal eilig durchqueren und anschließend den Weg durch die Schleusen zu ihrer improvisierten Helikopterlandefläche zurücklegen mussten. Mehr als einmal ließen Beamte, die eigentlich jeden Grund gehabt hätten, eine so große Gruppe zu befragen, sie einfach passieren. Einige von ihnen redeten dabei die ganze Zeit nervös mit ihren Headsets.

Als sie wieder in der Luft waren, warf Genette Wahram mit demonstrativ aufgerissenen Augen einen Blick zu und wischte sich über die Stirn. Ihr Helikopter flog nach Colette, und am dortigen Raumhafen eilten sie auf eine der Landeflächen und bestiegen ein Raumflugzeug, mit dem sie einen holprigen Flug in eine tiefe Umlaufbahn hinter sich brachten, um sich schließlich von einem Interplan-Kreuzer aufnehmen zu lassen.

Es handelte sich um die Schnelle Gerechtigkeit; als alle an Bord waren, setzten sie einen Kurs Richtung Pluto.

In den Wochen, in denen sie unterwegs waren, verhörten sie mehrfach den Bowls-Spieler, doch er sagte kein einziges Wort. Es handelte sich bei ihm eindeutig um einen Menschen, einen jungen Mann im Alter von 35. Es gelang ihnen, seinen Weg von Chateau Garden, wo Swan ihn kennengelernt hatte, zu einer der blockfreien Welten zurückzuverfolgen, die nicht bereit war, seinen Namen an Außenstehende weiterzugeben. In einem Akt zufälliger Hellsichtigkeit hatte Interplan diese Welt unter der Bezeichnung U-238 katalogisiert.

Während ihres Flugs Richtung Pluto und Charon gelang es Wangs Qube, noch einiges mehr über das kurze Leben des Bowls-Spielers herauszufinden. Es war eine traurige Geschichte, wenn auch nicht ungewöhnlich: ein kleines Terrarium, betrieben von einer Sekte, in diesem Fall von Ahura-Mazdˉa-Verehrern; strikte Geschlechtertrennung; patriarchal, polygam; besessen von körperlicher Züchtigung als Strafe für dämonische Missetaten. Er als instabiles Kind in dieser engen Welt. Berichte über Aggression ohne Reue. Ab seinem vierten Lebensjahr dort, bis er im Alter von vierundzwanzig abtrünnig geworden war. Lernte auf Vesta, wo ihn niemand kannte, programmieren; eine Weile an der Ceres-Akademie voll und ganz mit Qube-Design beschäftigt, ehe er die Bildungseinrichtung wieder verließ; blieb im gesellschaftlichen Leben an der Akademie ein Außenseiter. Letztlich von Ceres verbannt, weil er einmal zu oft die dortigen Sicherheitsvorschriften verletzt hatte; anschließend Rückkehr zu seinem heimatlichen Felsbrocken, wo er geblieben war, soweit bekannt. Doch in Wirklichkeit hatte sich schlicht und einfach niemand dafür interessiert, wohin es ihn anschließend verschlagen hatte. Wie er zu seiner Arbeit auf der Venus gekommen war, blieb unklar, dieser Lebensabschnitt lag in dem Dunkel, das die Venus-Arbeitsgruppe umgab – insbesondere Lakshmi hatte die geplante Sabotage des Sonnenschilds sehr erfolgreich im Verborgenen vorangetrieben. Dann kamen Vinmara und das Labor, in dem man Humanoiden angefertigt hatte, einschließlich derjenigen, die auf dem Mars die Regierung infiltriert hatten. Andere waren zur Erde und weiter in den Asteroidengürtel gereist und hatten dort die Steinchenschleuder gebaut und bedient. Dieser junge Mann hatte die Steinchenattacken also entweder erfunden oder Qubes entwickelt, die sie erfunden hatten; und er oder seine Schöpfungen hatten die Attacken durchgeführt.

»Yggdrasil?«, sagte Genette einmal zu dem Bowls-Spieler.

Die Messgeräte, an die der Körper und das Gehirn des Jugendlichen angeschlossen waren, zeigten eine deutliche Spitze.

Genette nickte. »Bloß ein Test, was? Um zu zeigen, dass das Konzept funktioniert?«

Einmal mehr zeigten die Geräte einen deutlichen Anstieg seiner Vitalwerte. Von der Vorstellung, dass solche Spitzen eine verlässliche Möglichkeit darstellten, jemanden beim Lügen zu ertappen, hatte man sich längst verabschiedet, aber trotzdem ließen gesteigerte physiologische Aktivitäten gewisse Rückschlüsse zu.

Da der junge Mann weiterhin kein Wort von sich gab, erlangten sie keinerlei Gewissheit darüber, warum all das geschehen war. Aber ein Zusammenhang mit der Yggdrasil schien eindeutig zu bestehen.

Für Genette kam es einzig und allein darauf an. »Ich glaube, die Angriffe auf Terminator und Venus waren politisch motiviert«, sagte er zu Wahram, während der Junge sich nach wie vor im Zimmer befand und stumm an die Wand starrte. Die Krakellinien des Messgeräts sprachen an seiner statt, als eine Art lautloses Schreien. »Ich vermute, dass Lakshmi sie gutgeheißen hat. Aber zuerst haben sie die Yggdrasil geknackt, und wahrscheinlich war das die Idee von ihm hier. Vielleicht eine Demonstration für Lakshmi. Ein Beweis dafür, dass das Konzept funktioniert. Und so mussten dreitausend Menschen sterben.«

Genette starrte dem jungen Mann ins verkniffene Gesicht und sagte schließlich zu Wahram: »Komm, lass uns von hier verschwinden. Hier gibt es nichts mehr zu tun.«

In den drei Wochen, die sie für die Reise nach Pluto und Charon brauchten, verschlechterte sich der Zustand von Wahrams verletztem Bein, und nach eingehender Beratung beschloss das Ärzteteam an Bord, es unterhalb des Knies zu amputieren und ihm mithilfe pluripotenter Stammzellen ein neues linkes Bein wachsen zu lassen. Wahram ließ all das über sich ergehen und versuchte, möglichst wenig daran zu denken und das in ihm aufsteigende Entsetzen durch den Gedanken zu mildern, dass mit seinen 113 Jahren sein gesamter Körper ein medizinisches Artefakt war, und dass das Nachwachsenlassen eines verlorenen Glieds zu den einfachsten und ältesten Eingriffen in den menschlichen Körper gehörte. Dennoch war es gruselig, und dabei zuzuschauen erzeugte ein Phantomjucken. Er lenkte sich ab, indem er Genette regelmäßig darüber ausfragte, woran das Interplan-Team gerade arbeitete. Aber wie sehr er sich auch ablenkte, er konnte sich einfach nicht an das Gefühl gewöhnen, das sein neues Bein verursachte.