Raumschiffe aus dem ganzen Sonnensystem kamen auf Charon zusammen, denn hier sammelte die Gruppe der Alexandriner und die Interplan-Agenten, die mit ihnen zusammenarbeiteten, alle festgenommenen Qube-Humanoiden – und damit alle, die ihres Wissens hergestellt worden waren. Alle waren am selben Tag gefangen genommen worden, an dem sie die Anlage in Vinmara geschlossen hatten, die meisten sogar innerhalb derselben Stunde. Beinahe die Hälfte war auf dem Mars ergriffen worden. Die gesamte Operation war mittels persönlicher Kontakte geplant und koordiniert worden, und der genaue Moment der Durchführung war am Tag zuvor mitgeteilt worden, als Genette eine einzige Funkmeldung abgesetzt hatte, eine Aufführung des Jazz-Klassikers »Now’s the Time«. Der Plan war in allen Einzelheiten ohne nennenswerte Pannen durchgeführt worden, obwohl mehr als zweitausend Agenten an der Operation beteiligt gewesen waren und man 410 Humanoide gefangen genommen hatte. Nicht ein einziger hatte erkennen lassen, dass er oder sie etwas von der drohenden Verhaftung gewusst hatte.
Nun plante Genette, all diese Humanoiden ins Exil zu schicken, zusammen mit dem Bowls-Spieler und etwa dreißig anderen Personen, die mit den Qube-Attacken zu tun hatten. Man war übereingekommen, eines der Raumschiffe zu nehmen, die derzeit auf dem Plutomond Nix gebaut wurden. Bei dem Raumschiff handelte es sich genau genommen nur um ein spezialisiertes Terrarium – ein fast völlig in sich geschlossenes biologisches Lebenserhaltungssystem, außerordentlich gut bevorratet und mit extrem leistungsstarkem Antrieb. Es würde nicht etwa als eine Art Gefangenenschiff fungieren, ähnlich wie die, die im Asteroidengürtel kreisten, sondern aus dem Sonnensystem herausgeschossen werden. Das Innere des Terrariums würde man versiegeln und die navigierende KI außerhalb des Innenzylinders unterbringen. Und dann würde es losgehen: Vierhundert Qube-Humanoiden, der Bowls-Spieler und die Gruppe von Menschen, die man der Komplizenschaft bei einer der Attacken für schuldig befunden hatte. Es waren nicht besonders viele, da der Bowls-Spieler bei der Planung und Durchführung seiner Attacken offenbar kaum menschliche Verbündete gebraucht hatte. Also: ins Exil, fort vom Sonnensystem und vom Rest der Menschheit.
»Aber Lakshmi sollte doch wohl auch mit dort drin sein!«, wandte Wahram Genette gegenüber ein.
»Der Meinung bin ich auch, aber wir haben sie nicht zu fassen bekommen. Die Venusianer werden sich um sie kümmern müssen, oder vielleicht können wir ihr hier auf Ceres den Prozess machen und sehen, wie weit wir damit kommen.«
»Aber dieses Exilschiff«, sagte Wahram. »Was ist, wenn die Qubes zu den Kontrollen durchbrechen? Wenn sie umkehren und zu uns zurückkommen, voller Rachedurst und intelligenter denn je?«
»Die Geschwindigkeiten sind zu groß«, sagte Genette leichthin. »Der Treibstoff an Bord wird sich schnell verbrauchen und sie dabei auf eine enorme Geschwindigkeit beschleunigen. Bis sie das Problem des Wiederauftankens bewältigt haben, werden sie eine jahrhundertelange Reise vor sich haben, um zurück ins Sonnensystem zu gelangen. Bis dahin wird die Zivilisation wissen, wie man mit ihnen fertigwird.«
»Wie, meinst du, könnte das gelingen?«
»Ich habe keine Ahnung. Jedenfalls werden wir einen Weg finden müssen, mit den Qubes zurechtzukommen. Daran führt kein Weg vorbei, das Kind ist in den Brunnen gefallen. Ich vermute, dass die Qubes früher oder später einfach zum normalen Leben dazugehören werden, solange sie keine menschlichen Körper bewohnen und solange man verhindert, dass irgendwelche Programmierer sie in die Finger kriegen. Etwa so wie Passepartout jetzt.«
»Oder Swans Pauline?«
»Vielleicht ist es keine so gute Idee, einen Qube im Kopf mit sich herumzutragen«, räumte Genette ein. »Ich frage mich, ob Swan damit einverstanden wäre, ihren in ein Armband wie das von Passepartout zu verlegen.«
Das bezweifelte Wahram, obwohl er sich nicht sicher war, weshalb. Überhaupt wurde er sich immer unsicherer, was Swan betraf.
Wahram wandte sich einer weiteren Frage zu, die ihn beunruhigte. »Ist diese Bestrafung nicht sehr ungewöhnlich und grausam?«
»Ungewöhnlich ist es«, räumte Genette fröhlich ein. »Sogar einzigartig. Aber Grausamkeit ist in diesem Falle relativ.«
»Jemanden in Gesellschaft von Qubes fortzuschicken? Ist das nicht eine Art Isolationshaft, etwas Albtraumhaftes?«
»Das Exil ist nichts Grausames. Glaub mir, ich weiß, wovon ich rede. Der Verstand ist ein Ort für sich. Theoretisch können sie sich dort drinnen ein sehr hübsches Terrarium einrichten, sich anschließend irgendwo weit weg auf einer leeren Erde ansiedeln und einen ganz neuen Seitenarm der Menschheit ins Leben rufen. Niemand hält sie davon ab. Es ist bloß ein Exil, weiter nichts. Ich bin selbst ein Exilant, und es handelt sich um eine anerkannte Form schwerer, aber nichttödlicher Bestrafung. Immerhin hat dieser Mann dreitausend Menschen getötet, nur um eine Waffe zu testen. Und er hat Quantencomputer programmiert, die daraufhin nicht mehr Gut von Böse unterscheiden können. Er hat ihnen die Fähigkeit gegeben, eigene Absichten zu verfolgen, und das ohne eine vernünftige Einschränkung, und sie sind nun eine Bedrohung, gegen die wir derzeit keine brauchbare Verteidigung haben. Deshalb glaube ich, dass wir, indem wir sie wegschicken, etwas über unseren Umgang mit Qubes signalisieren. Wir schalten sie nicht einfach ab und nehmen sie auseinander, wie manche Leute fordern, sondern schicken die gefährlichen ins Exil, genau wie wir Menschen wegschicken. Für die zurückgelassenen Qubes muss das doch ein gutes Signal sein. Und dann sorgen wir dafür, dass sie in Gehäusen bleiben, wo wir sie unter Kontrolle haben – zumindest hoffe ich, dass wir sie dort unter Kontrolle haben. Vielleicht funktioniert es, vielleicht auch nicht. Aber vor allem hoffe ich, dass wir verhindern können, dass weitere Qubes welcher Art auch immer hergestellt werden, zumindest für eine Weile, und wir uns stattdessen etwas Zeit nehmen, uns genauer anzusehen, was klügere Qubes oder Qubes mit einem eigenen Willen oder Qubes in Menschenkörpern mit sich bringen könnten. Meiner Meinung nach haben wir der Gerechtigkeit Genüge getan und uns ein wenig Zeit erkauft. Deshalb bin ich froh, dass die Plutonier und der Mondragon und alle anderen wichtigen Parteien, einschließlich Shukras, unserer Meinung sind. Swan wird es hoffentlich genauso sehen, wenn sie davon hört, und alle anderen auch.«
»Vielleicht«, sagte Wahram.
Ihm war nach wie vor nicht ganz wohl bei Genettes Lösung. Aber jede andere mögliche Strafe, die ihm einfiel, war entweder zu hart (der Tod für alle Beteiligten) oder zu milde (Wiedereingliederung in die Gesellschaft). Exil – das erste interstellare Schiff als Gefängnis. Tja, im Asteroidengürtel gab es Gefängnisterrarien, die von der Außenwelt abgeschottet waren und in denen Zustände herrschten, die von utopisch bis höllisch reichten. Die Gruppe des Bowls-Spielers und ihre Geschöpfe konnten also aus ihrer Welt machen, was sie wollten. Angeblich. Trotzdem kam es Wahram wie eine Art Hölle vor. Letztlich konnte Jean Genette ebenso unmenschlich sein wie der Bowls-Spieler; von unerschütterlicher Heiterkeit, und dabei undurchschaubar. Auch jetzt hatte Genette diesen typischen Blick, mit dem der Inspektor praktisch jeden bedachte – ob Heiliger, Krimineller, Fremder, Bruder oder Schwester. Es war der immer gleiche, vogelartige Blick, offen wertend, interessiert, bereit, sich überzeugen zu lassen.
Da Wahram weiterhin Bedenken hatte, las er die Akten aller Menschen und Humanoiden, die sich in ihrem Gewahrsam befanden und die beim gegenwärtigen Stand mehrere Tausend Seiten umfassten. Als er fertig war, kehrte er aufgebrachter denn je zu Genette zurück.