»Wie zum Beispiel?«, forderte ihn jemand heraus.
»Die Arktische Liga ist zu einer der fortschrittlichsten und kooperativsten politischen Organisationen der Erde geworden. Das mittlere Nordamerika ist nun wieder eine Büffelsteppe, was für große Begeisterung sorgt. Den Regenwald am Amazonas hat man auf sein gesamtes ehemaliges Becken ausgedehnt und hält ihn nun in einem ähnlichen Zustand wie dem, in dem er sich vor Kolumbus’ Zeiten befand. Südostasien und Südasien haben, unterstützt durch ihre Wälder und ihre Wasser- und Klimasituation, ein Bevölkerungsgleichgewicht und die größte Wiedereinwilderung auf dem ganzen Planeten erzielt. All das sind messbare Verbesserungen seit der Reanimierung.«
»Es ist nicht mal annähernd genug Zeit verstrichen, um derartige Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Tierinvasion wird von vielen als grauenhafte Stümperei beschrieben, die eine ganze Reihe entsetzlicher Probleme erzeugt hat.«
»Zu Unrecht.«
Eine Weile ging der Streit um die Situation auf der Erde hin und her. Schließlich erinnerte der oberste Berater der Saturn-Verwaltung sie daran, dass es hier um einen Dreieckshandel mit Mars und Merkur ging. Wahram wies darauf hin, dass der Mars nachhaltig von den in sein System eingedrungenen Qube-Humanoiden beeinflusst, man konnte sogar sagen: infiziert worden war. Erst kürzlich hatte man sie aufgespürt und ins Exil geschickt; die Marsianer waren darüber so erfreut gewesen, dass sie Jean Genettes Exilstatus aufgehoben hatten und den nun gefeierten Inspektor mit Dank für gute Dienste zu Hause willkommen hießen. Vermutlich war dieser Dispens nur der erste Schritt zu einem neuen Geist der Kooperation. Viele Ratsmitglieder nickten angesichts dieser guten Neuigkeiten und widmeten sich Einzelheiten wie dem Umfang der Stickstofflieferungen, dem Zeitplan und der Bezahlung. Es wurde über die erwünschten Druckverhältnisse der Titan-Atmosphäre debattiert.
Wahram wartete, bis die meisten Anwesenden ungeduldig wurden und das Thema zum Abschluss bringen wollten. Dann bat er darum, auf die eigentliche Frage zurückzukommen. Sein Anliegen wurde im Prinzip einstimmig angenommen und die Sitzung geschlossen.
In der letzten Frage ging es darum, wie sie die Abmachung ihren Partnern vermitteln wollten, worauf Wahram sagte: »Ich fliege zum Merkur, um Swan Er Hong einen Heiratsantrag zu machen. Ich hoffe, dass wir uns beim Epithalamium am Olympus Mons die Treue geloben werden. So können wir dann auch mit den richtigen Leuten auf dem Mars ins Gespräch kommen.«
Ah, gut, sagten alle. Herzlichen Glückwunsch. Einige sahen überrascht aus; andere nickten wissend. Das wird alles einfacher machen. Ihr seid dann so etwas wie ein festes Saturn-Merkur-Komitee.
Ja, antwortete Wahram.
Swan
Als Swan die Erde verließ, war sie ausgesprochen zufrieden mit sich, weil sie der qubischen Person beim Untertauchen geholfen hatte, und sie freute sich auch über Zashas Verhalten, was ihr sehr viel mehr bedeutete, als ihr bewusst gewesen war. Sie nahm den Weltraumaufzug in Quito und durchlebte einmal mehr die Satyagraha-Aufführung. Diesmal hinterließ der friedvolle letzte Augenblick den stärksten Eindruck bei ihr. Immer höher klomm die einfache Oktave, wie ein Meditationsgesang, der einen von den Füßen hob; und wenn man in der zum Ende hin immer weiter abnehmenden Schwerkraft tanzte, wurde das zu einem sehr körperlichen Gefühl, eine Art Taumel, getragen von den Schwingen der Musik.
Sie kehrte in einem Terrarium namens Henry David zum Merkur zurück. Es handelte sich um einen klassischen Neuengländer, mit ein paar kleinen schindelgedeckten Dorfhäuschen und vereinzelten Weideflächen, die die Laub- und Mischwälder auflockerten. Dort war es Oktober, und die Ahornblätter hatten sich herbstlich eingefärbt. Die Bäume standen in grellem gelbem, orangefarbenem, rotem und grünem Kleid, alle Farben durcheinander und über die gesamte Innenfläche des Zylinders verteilt. Blickte man nach oben, dann schien das bunte Gewölbe eine eigene Sprache aus Farben zu sprechen, flimmernd, immer knapp davor, eine Bedeutung zu offenbaren. Swan wanderte auf den Waldwegen und ging von einer freien Hügelkuppe zur nächsten. Einmal sammelte sie gefallene Blätter auf und arrangierte sie so auf einer Lichtung, dass sie einen sanften, stufenlosen Farbverlauf von Rot über Orange über Gelb über Gelbgrün bis Grün ergaben. Dieses bunte Band am Boden machte ihr große Freude, genauso wie der Wind, der es fortblies. Einen anderen Tag verbrachte sie damit, stundenlang einem schwarzen Bären und seinem Jungen zu folgen. Am Nachmittag kamen sie an einen verlassenen Apfelhain, wo ein uralter, verkrüppelter Baum trotz allem eine große Zahl Äpfel hervorgebracht hatte, so viele, dass einige Äste sich Richtung Boden neigten. Die Bären taten sich daran gütlich. Neben dem Baum stand aufrecht ein halbhohes Fass, das mit Regenwasser gefüllt war, und das Junge stieg hinein und nahm ein Bad. Sein glänzendes Fell wurde schwarz und stand in nassen Borsten ab.
Zurück auf dem Merkur fand sie sich wieder in ihrem Leben in Terminator ein. Sie erwachte draußen auf ihrem Balkon, frühstückte in der Morgenkühle, machte ihre Dehnübungen in Richtung Sonne und verneigte sich dabei leicht eingeschüchtert vor Sol Invictus. Sie ließ den Blick über die Stadt wandern und betrachtete all die vertrauten Wahrzeichen, die man wiederaufgebaut hatte, ebenso wie die neuen Bäume und Sträucher, die jeden Tag ein wenig größer aussahen, ein wenig mehr, als gehörten sie hierher. Sie hatte eine Postkarte genommen, die ihr Alex vor langer Zeit über einen Kurier zugestellt hatte, und sie über der Spüle an die Wand geheftet, wo Alex’ Handschrift täglich verkündete:
O Freude meines Geistes – uneingekerkert strahlt er Blitze
Es genügt nicht, diesen Erdball und eine Spanne Zeit zu haben,
Ich will Tausende von Erdkugeln und alle Zeiten haben.
Inzwischen war auch in Terminator Herbst, und die Reihe lohfarbener japanischer Ahornbäume zwei Terrassen unterhalb ihres Balkons trug ein rot schillerndes Kleid. Staub hatte sich über die königsblauen Dachziegel gelegt, die sie weiter unten sah. Das neue Wetterprogramm schien mehr windige Tage vorzusehen als das alte, und manchmal wurde es stürmischer, als sie es hier jemals erlebt hatte. Das gefiel ihr. Manchmal kam ein gewisser kalter, böiger Wind auf, der sie dazu verführte, alles stehen und liegen zu lassen und ihn auf einen langen Spaziergang durch die Stadt zu begleiten. Vorne wirkte Terminator sehr viel größer als zuvor, die Plattform reichte weiter und stellte mehr Platz für Park- und Farmland bereit. Im flachen Teil der Stadt und im Park gab es neue Kanäle. Brücken über Kanäle, Fahrradwege, breite Boulevards und Esplanaden. Ihre Stadt. Genauso, aber anders. Ihr kam in den Sinn, dass man die Stadt vorne noch weiter in die Nacht ausdehnen konnte; theoretisch konnten sie im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte die Schienen auf der gesamten Nachtseite des Merkur bedecken.
Den Großteil ihrer Tage verbrachte sie draußen in der Farm, wo sie am Teich und an den Feuchtgebieten arbeitete. Das neue Mündungsgebiet gedieh nicht besonders gut, es gab gewisse Uneinigkeiten über den richtigen Salzgehalt und den Einsatz einer kleinen hydraulischen Gezeitenmaschine. Genau genommen stritten sie sich. Und Swan versuchte noch immer zu verstehen, warum die Gibraltaraffen die Höhlen nicht mochten, die sie ihnen in einem kleinen Hügel mit einem Steilhang an der Westseite zur Verfügung gestellt hatten. Die Affen waren wunderschön, und normalerweise hatten sie keine Probleme nach Art der Menschen. Aber da saßen sie, auf den Platten unterhalb der Höhlen, und weigerten sich hineinzugehen. Früher oder später würde Swan wahrscheinlich selbst dort hochklettern müssen, um sich die Sache anzusehen.