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Während sie dort draußen die Affen beobachtete, dachte sie über ihr Leben nach. Da war sie mit ihren 137 Jahren. Die meiste Zeit hatte sie ihren Körper ziemlich misshandelt; er würde nicht ewig halten, vielleicht nicht einmal mehr besonders lange. Andererseits machte die Medizin ständig Fortschritte und eröffnete Jahr für Jahr neue, ungeahnte Möglichkeiten. Mqaret war fast zweihundert Jahre alt. Man musste also zumindest darüber nachdenken.

Sie hatte nur wenige enge Bindungen, und vielleicht waren sie auch nicht mehr so besonders eng. Dennoch verfügte sie über alles, was sie brauchte; es ging ihr gut. Swans Tochter war irgendwo dort draußen und lebte ihr Leben auf ihre ganz eigene Art, ohne nennenswerte Pannen. Dann und wann meldete sie sich. Das war nicht das Problem. Anderen Menschen stand Swan näher, und das war in Ordnung. Ihr junger Freund Kiran war auf der Venus geblieben, er hatte drauf bestanden, und dort war er wieder mitten im Getümmel und schickte ihr regelmäßig Berichte. Es kam ihr mehr wie eine Beziehung vor als sonst etwas in ihrem Leben, und dort draußen warteten zweifellos noch mehr solche Beziehungen auf sie; irgendwie packten sie dauernd Leute am Arm und zogen sie in ihr Leben hinein. Die Leute von ihrer Farm waren klasse. Swan gefiel ihre Arbeit; sie mochte das Spiel und auch die Kunst, das Spielen, das Arbeit war. Also ging es um etwas anders. Es lief eigentlich auf eine recht philosophische Frage hinaus: Wie sollte man sein? Was sollte einem wichtig sein? Und wie wurde man ein bisschen weniger einzelgängerisch? Denn jetzt, wo Alex fort war, redete sie zwar mit vielen Menschen, doch letztlich fehlte ihr jemand, dem sie auf die Art etwas erzählen konnte, wie sie Alex immer etwas erzählt hatte.

Ach, du fehlst mir, Hettie Moore

Doch keinem hier kann ich davon erzählen –

Die Welt vor meinen Augen fällt ins Schwarz.

Allein auf der Farm sang sie die alte Ballade und überlegte, was sie tun musste, um alles wieder ins Lot zu bringen. Vielleicht nichts. Der Tod ließ das Leben schrumpfen. Teile starben vor dem Ganzen. Wenn ein geliebter Mensch starb, dann starb ein Teil von einem mit. Manche Leute waren, wenn sie abtraten, wie eine bestimmte Art von Wacholderbusch, die Swan einmal gesehen hatte und die nur noch aus einem lebenden Zweig an einem toten Stumpf bestanden. Dagegen ließ sich nichts machen.

Das einzige Glück lag in der Tugend. Nein, das stimmte nicht. Jeder Teil des dreieinigen Gehirns kannte seine eigene Art von Glück. Eidechsen in der Sonne, Säugetiere auf der Jagd, Menschen, die etwas Gutes tun. Gut ist das, was für das Land gut ist. Wenn man also arbeitete, als wäre man auf der Jagd, im Licht und in der Wärme, und dabei eine Landschaft erschuf – einen Ort, an dem Menschen für viele Generationen leben konnten –, dann war man dreifaltig glücklich. Das sollte doch wohl genügen.

Aber man wollte es auch teilen. Einfach nur, damit es jemanden gab, mit dem man zusammen zufrieden sein konnte. Alex war mit ihr zufrieden gewesen.

Sie hatte die umherreisenden Isolationisten gesehen, einzelgängerische alte Raumer, die allein umherzogen und keinerlei Partnerschaften mit anderen Menschen eingingen. Swan gehörte zu ihnen; ihr halbes Leben lang war sie schon eine von ihnen. Waren sie alle bloß auf der Suche? Sie erinnerte sich an etwas, das die Leute manchmal sagten: Ich möchte jemanden kennenlernen. Kennenlernen; damit meinten sie »mit jemandem zusammen sein«. Ich möchte mit jemandem zusammen sein. »Kennenlernen« war der zukunftsgerichtete Konjunktiv von »zusammen sein«, der Modus des Wünschens. Und wenn man die Augen offen hielt, sah man es: Die Partnerbindung ließ sich nicht unterkriegen. Es war ein konditionaler Futur, ein Verb im Konjunktiv: mit jemandem zusammen zu sein, um diesen jemand dann kennenzulernen. Etwas Atavistisches, als wären sie Schwäne oder irgendwelche anderen Geschöpfe mit einem genetischen Hang zur Zweisamkeit. »Swan ist kein Schwan«, verkündete sie ihren verblüfften Mitarbeitern im Park. Aber woher wusste sie das?

»Ich möchte jemanden kennenlernen«, sagte sie probeweise zu Mqaret.

Mqaret lachte sie aus. »Du magst diesen Kerl! Diesen Wahram vom Saturn. Vielleicht meinst du ja eigentlich: ›Ich habe jemanden kennengelernt.‹«

Swan glotzte Mqaret an. Ihr war noch immer nicht ganz klar, dass man geliebt werden konnte. Oder sogar lieben. »Aber ich habe ihn schon vor langer Zeit kennengelernt. Ich kenne ihn jetzt schon seit Jahren!«

»Umso besser«, erwiderte Mqaret. »Du kennst ihn. Tatsächlich musstest du sogar eine Menge Zeit mit ihm verbringen. Was ist in diesem Tunnel geschehen? Oder ist da etwa nichts geschehen?«

»Die meiste Zeit haben wir gepfiffen«, antwortete sie. »Aber ja. Es ist etwas geschehen.«

»Vielleicht ist es das, was eine Ehe ausmacht«, sagte Mqaret. »Zusammen pfeifen. Eine Art Darbietung. Also nicht bloß eine Unterhaltung, sondern wirklich eine Darbietung.«

»Die Ehe«, wiederholte Swan, voll Staunen über dieses Wort. In ihren Augen handelte es sich um ein Konzept aus dem Mittelalter, von der alten Erde – und der Gedanke daran brachte eine starke Assoziation mit Patriarchat und Besitzansprüchen mit sich. Nicht für den Weltraum gedacht, und nicht für ein langes Leben gedacht. Man bewegte sich in Epochen durch das Leben, jede war ein Abschnitt in der eigenen Lebensgeschichte, der einige wenige oder auch viele Jahre dauerte, und dann veränderten sich die Umstände und man befand sich in einem neuen Leben mit neuen Bekanntschaften. Das ließ sich nicht ändern, nicht wenn man dort draußen war und im großen Karussell mitfuhr; wenn man sein Leben deformierte, um eine Beziehung über ihre natürliche Dauer hinaus aufrechtzuerhalten, riskierte man, sie am Ende zu ruinieren, sodass sie der Länge nach splitterte und nichts als eine bittere Wunde und das Gefühl hinterließ, dass alles eine Lüge gewesen war, obwohl man eigentlich einfach seinen Weg fortsetzen und einen der kleinen Tode mit anschließender Verwandlung hätte durchlaufen sollen, die mit den kurzen Zeitaltern des Lebens einhergingen. So war das eben.

Zumindest war das ihr Eindruck, und auch der von vielen anderen, die sie kannte. Es war die Gefühlsstruktur ihrer Kultur und ihrer Zeit. Raumer waren freie Menschen, endlich frei und endlich Menschen. Dieses Gefühl teilten sie alle und bestärkten einander darin, und Swan hatte immer daran geglaubt und war immer der Meinung gewesen, damit recht zu haben. Aber Gefühlsstrukturen waren kulturell, historisch; sie veränderten sich mit der Zeit, genau wie sich Menschen veränderten; die Strukturen wurden selbst immer wieder neu geboren. Wenn sich Kulturen also im Laufe der Zeit änderten und ein Einzelner eine Veränderung in dieser Kultur miterlebte, dann … veränderte der Einzelne sich dann nicht auch? Konnte er das? Konnte sie das?

Aber war die Ehe nicht eine Art Versprechen, sich nicht zu verändern?

Sie stapfte durch die Feuchtgebiete und dachte immer weiter darüber nach. Eines Tages hüpfte ein Frosch, der die gleiche Farbe wie die Steine hatte, vor ihrer unachtsamen Hand davon und saß anschließend da und starrte zu ihr empor, wachsam und neugierig, ruhig, aber bereit zu einem weiteren Sprung. »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich habe dich nicht gesehen.« Aber jetzt, wo sie den Frosch gesehen hatte, saß er da und glänzte deutlich stärker als die Steine, lebendig und atmend.

Sie ging auf Wanderschaft. Von Terminator aus ging sie nordwärts, in die Tricrena-Albedo. Hinaus in das verworrene Helldunkel der Tag-Nachtgrenze des Planeten, wo die schräg einfallenden Sonnenstrahlen mit einem Mal auf die geneigte Ebene fielen, so gleißend, dass das noch im Schatten liegende Land schwärzer aussah als dunkle Materie. Splitter von Schwarz und Weiß – ihr Auge war kaum dazu in der Lage, sie zu einer Landschaft zusammenzufügen. Genau so liebte sie es zuweilen. Ihr schizophrener Lebensraum.