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Sinkflug in einer blauen, magnetischen Aurora, einem Feuerwerk aus Elektronen. Unter ihnen weitet sich der Mond von einem Ball zu einer Ebene zu einer aufgewühlten Berglandschaft aus einander überlappenden Vulkanen, deren massige Kegel kaum auszumachen sind in all den Streifen von Gelb auf Beige auf Weiß auf Schwarz auf Ziegel- oder Bronzefarben, Streifen in allen Tönen des Gebrannten, aber vor allem in Gelb. Hier und dort verstreute schwarze oder rote oder weiße Ringe verweisen auf aktive Vulkanschlote, die die Eingeweide des Himmelskörpers um sich herum in unregelmäßigen Kreisen verteilen. Doch die meisten der Farbflecken sind noch weit unregelmäßiger, und insgesamt ist die Oberfläche von Io ein einziges Durcheinander, aus dem das menschliche Auge keine Topografie ableiten kann. Es ist das, wonach es aussieht, eine geschmolzene Welt, eine Welt in Flammen. Die Namen, die die Menschen ihr gegeben haben, sind redundant. Feuergötter, Donnergötter, Blitz- und Vulkangötter, jede brennbare Gottheit von Agni, dem Hindu-Gott des Feuers bis zu Völund, dem germanischen Götterschmied. All diese Namen versuchen, dem Mond ein menschliches Antlitz zu verleihen, und scheitern daran. Io ist kein Ort für Menschen. Die harte Kruste an seiner Oberfläche, allein durch die Berührung mit dem Vakuum des Alls abgekühlt, ist so dünn, dass sie an vielen Stellen nicht einmal einen Menschen tragen würde. Einige der ersten Entdecker haben das auf die harte Tour herausgefunden: Als sie sich zu weit von ihrem Landungsboot entfernt haben, sind sie durch den schwefligen Grund gebrochen und in der rot glühenden Lava verschwunden.

Wir glauben, dass wir auf festerem Grund stehen, weil wir auf kälteren Planeten oder Monden leben. Aber das ist ein Irrtum.

Swan und Wang

Die Station auf Io, die Wangs Qube und sein Versorgungsteam beherbergte, lag weit oben in der Flanke von Ra Patera, einem der größten Berge des Sonnensystems. Während ihres Sinkflugs mit der Fähre kam ihnen dessen fächerförmiger Ausläufer beinahe wie eine horizontale Fläche vor. Die Fähre wurde von einem Loch in einer Betonlandefläche verschluckt, und anschließend schloss sich ein Dach über ihnen. Ab dann waren sie die meiste Zeit unter der Erde. Alles, was sie auf den zahlreichen Bildschirmen der Station und durch die Fenster im kleinen Kommandoturm von dem Mond sehen konnten, gehörte zum Ausläufer des Ra.

Auf der Brücke im Kommandoturm befanden sich mehrere Personen. Keine davon blickte zu Swan und Wahram auf, und auch nicht zu Wang, als er hereinkam.

Wang Wei erwies sich als rundliche Person mit tadellosen Manieren. Eine echte Größe in seinem Feld, wie Mqaret wohl gesagt hätte: einer der wichtigsten Experten für Qubes im ganzen Sonnensystem. Manchmal herrschten solche Menschen über sehr bemerkenswerte kleine Ruritanier. Swan fragte sich, ob Alex mit ihrem Gedanken recht gehabt hatte, dass die Balkanisierung des Sonnensystems eine gezielte, wenn auch unbewusste menschliche Reaktion auf die Qubes war, eine Art Widerstand gegen ihre zunehmende Macht.

Wang begrüßte Swan und Wahram und nahm mit einem kurzen »Ah, danke« den Umschlag von Alex entgegen, den Swan ihm hinhielt. Anscheinend wusste er bereits davon. Er las den Brief und steckte den Datenstreifen, der herausfiel, in die nächstbeste Konsole. Eine ganze Weile las er aufmerksam und ließ dabei den Zeigefinger über den Monitor wandern.

»Es ist wirklich ein Jammer, dass wir Alex verloren haben«, sagte er schließlich zu Swan. »Mein herzliches Beileid. Sie war die Achse unseres kleinen Rads, und jetzt werden wir in alle Richtungen fortgewirbelt wie zerbrochene Speichen.«

Überrascht antwortete Swan: »Sie hat mir in ihrer Nachricht mitgeteilt, dass ich zu Ihnen kommen soll. Die Briefe hat sie mir in ihrem Arbeitszimmer hinterlassen. Eine Art Notfallplan, schätze ich. Und der Umschlag für Sie war ein Teil davon.«

»Ja. Sie hat mir gesagt, dass sie vielleicht etwas Derartiges tun würde. Und Sie haben auch einen Datenstreifen in Ihren internen Qube geladen, zumindest legt Alex das in ihrem Brief hier nahe.«

»Das stimmt. Aber mein Qube will mir nichts darüber erzählen.«

»Das entspricht zweifellos Alex’ Anweisungen. Das Datenmaterial ist für Spezialisten. Was Sie haben, ist eine Art Sicherungskopie«, erklärte Wang wie zur Entschuldigung.

Swan bedachte erst Wang und dann Wahram mit einem finsteren Blick. Die beiden steckten unter einer Decke, wie Wahram und Genette auf Merkur. »Sagen Sie mir, was hier vorgeht«, verlangte sie. »Sie beide haben mit Alex an etwas gearbeitet.«

Die beiden zögerten einen Moment, ehe Wang sagte: »Ja. Seit vielen Jahren. Alex stand wie gesagt im Zentrum. Wir haben mit ihr zusammengearbeitet.«

»Aber sie hielt nichts davon, sich in der Cloud zu bewegen«, erwiderte Swan und breitete die Arme zu einer Geste aus, die die Station umfasste. »Sie hat die Dinge im Kopf behalten, nicht wahr? Sie aber arbeiten mit Qubes, das stimmt doch auch? Wangs Qube, Wangs Algorithmus?«

»Ja«, antwortete Wang.

Wahram fügte hinzu: »Alex hat sich von Qubes ferngehalten, damit man sie nicht zurückverfolgen konnte. Und dafür brauchte sie Unterstützung von einem Qube. So ist das heutzutage nun einmal, und das wusste sie.«

Wang nickte. »Also hat sie sich für mich entschieden. Ich habe keine Ahnung warum. Möglicherweise hat sie gedacht, ich hätte mehr Kontakte zu dem, was sie immer als Liga der blockfreien Welten bezeichnete, als es wirklich der Fall war. Ich habe zwar ein solches Netzwerk, aber es ist nicht besonders weitreichend. Niemand hat eine vernünftige Beschreibung dieses Systems in seiner jetzigen Form.«

»Ist es das, worauf Alex aus war?«, fragte Swan.

Wahram schüttelte den Kopf. »Sie kannte das System so gut wie nur möglich. Wang kennt die Blockfreien, aber meiner Meinung nach ist es noch wichtiger, dass sein Qube hier abgetrennt ist. Jeder seiner Kontakte zum Rest des Systems wird von Wang kontrolliert. Das hat Alex gefallen, weil sie versucht hat, all ihre Geschäfte auf direkte Kommunikation von Mensch zu Mensch umzustellen.«

»Aber sie hat uns diese Nachrichten hinterlassen«, sagte Swan. »Für den Fall, dass sie nicht mehr in der Lage sein würde zu reden. Also wollte sie, dass wir reden. Sie wollte, dass Sie beide mit mir reden.«

»Offensichtlich.«

»Dann sagen Sie mir, was Sie vorhaben!«

Die beiden Männer warfen einander einen Blick zu. Eine ganze Weile starrten sie zu Boden.

Dann schaute Wang ihr in die Augen, was Swan überraschte. Sein Blick war durchdringend. »Wir wissen alle nicht genau, wie wir mit dieser Situation umgehen sollen, weil es hier unter anderem um Qubes geht und Sie einen eingebetteten Qube haben. Deshalb würde Alex Ihnen nichts über diesen Teil des Ganzen erzählen, und ich habe das auch nicht vor. Jetzt, wo Alex’ Liste mit Kontakten sicher hier angekommen ist, können wir, die wir mit ihr zusammengearbeitet haben, versuchen, ihre Pläne weiter voranzutreiben.«

Swan sagte: »Also haben Sie Informationen von Alex, und mein Qube hat Informationen von Alex, aber ich kann keine Informationen von Alex bekommen.«

Wang schaute zu Wahram. Wahrams breites Gesicht sah aus, als würde er mit Nadeln gepiesackt. Seine Glupschaugen und Wangs durchdringender Basiliskenblick: So standen sie dort und schauten Swan an. Sie wussten nicht, was sie zu ihr sagen sollten. Erzählen würden sie ihr nichts.

Mit einem plötzlichen Schnauben winkte Swan ab und verließ das Zimmer.