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»Setzt die Schwerkraft dir zu?«, fragte Zasha.

»Irgendwie schon.«

»Möchtest du bei mir zu Hause übernachten? Ich bekomme langsam Hunger.«

»Na klar. Danke.«

Zasha lenkte das Boot über den Fluss zu einem Wasserlauf auf der Jersey-Seite, der westwärts führte. Es war schwer zu sagen, ob es sich um einen Kanal oder einen natürlichen Zufluss handelte. Landeinwärts verbreiterte sich das Gewässer nach Norden, und Zasha bog in diese Richtung ab und legte an einem hölzernen Steg an, der in etwas hineinragte, das nun wie ein seichter See aussah. Ganze am Hang gelegene Stadtviertel verschwanden hier unter Wasser. Nordamerika hatte seit jeher eine Senkungsküste, jetzt mehr als je zuvor.

Sie machten einen Spaziergang im Licht eines wilden Sonnenuntergangs, der geschmacklos orange und rosa am Himmel vermischte. Bei solchen Gelegenheiten war es der östliche Himmel, an dem die eigentliche Show stattfand, subtiler, aber prachtvoller. Doch in diese Richtung schauten die Leute nie.

Zashas Zuhause war ein winziger Verschlag bei ein paar Bäumen, der so selbstgebastelt und heruntergekommen aussah wie die Hütten irgendeiner Favela.

»Was ist das hier?«

»Es gehört zu den Meadowlands.«

»Und du darfst dir hier einfach ein Zuhause hinbauen?«

»Schön wär’s! Genau genommen zahle ich eine horrende Miete, aber die Leute vom Merkur-Haus schießen mir etwas zu, damit ich hier draußen bleibe, weit weg von ihnen.«

»Schwer vorstellbar.«

»Wie dem auch sei, es ist in Ordnung so. Ich pendele gerne.«

Swan ließ sich dankbar in einen ramponierten Sessel nieder und schaute im Zwielicht Zasha beim Herumwerkeln zu. Es war schon lange her, dass sie verpartnert gewesen waren, sich zusammen im Sonnensystem herumgetrieben, Terrarien gebaut und Zephyr großgezogen hatten; sogar Zephyrs Tod war schon lange her. Und sie waren nie besonders gut miteinander ausgekommen. Kurz nachdem Zephyr gegangen war, hatten sie sich voneinander getrennt. Trotzdem war Swan die Art vertraut, auf die Zasha sich über den Herd beugte und darauf wartete, dass das Teewasser kochte, mit einem verstohlenen, wissenden Blick, den Swan ebenfalls wiedererkannte.

Sie sagte: »Und, hast du mit Alex zusammengearbeitet?«

»Aber ja«, antwortete Zasha und warf ihr einen kurzen Blick zu. »Sie war meine Chefin. Du weißt doch, wie so was läuft.«

»Was meinst du damit?«

»Ich meine, dass sie einen geliebt und sich um einen gekümmert hat, und dafür hat man genau das getan, was sie von einem erwartete.«

Swan konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. »Tja, stimmt.« Sie dachte über Zashas Worte nach, ohne den Schmerz zu beachten. »Irgendwie hat sie sich an die Bedürfnisse anderer Menschen angepasst. Mit ihrer Hilfe hat man immer bekommen, was man brauchte.«

»M-hm. Ich weiß, was du meinst.«

»Aber jetzt ist sie tot, und sie hat mir eine Nachricht hinterlassen. Im Prinzip hat sie mich als Kurier nach Io eingesetzt, zu Wang, und bei Pauline hat sie auch etwas abgeladen. Alles für den Fall, dass ihr etwas passieren würde, meinte sie.«

»Was willst du damit sagen?«

Swan beschrieb, wie Alex’ Geist sie heimgesucht hatte – die Sache mit den Umschlägen –, und erzählte von ihrer Reise zum Jupiter und dem Eindringling auf Io.

»Davon habe ich gehört. Ich wusste nicht, dass du dort warst«, erwiderte Zasha und blickte stirnrunzelnd auf den Teekessel, das Gesicht in das blaue Licht der Herdflamme getaucht.

»Woran haben du und Alex gearbeitet?«, fragte Swan. »Und warum hat sie mir in diesen Nachrichten, die sie hinterlassen hat, nichts davon erzählt? Sie … es kommt mir vor, als wäre ich bloß der Botenjunge für sie, und Pauline eine Art Safe.«

Zasha antwortete nicht.

»Komm schon, erzähl es mir«, sagte Swan. »Du kannst es mir sagen. Wenn es von dir kommt, halte ich das schon aus. Ich bin es gewohnt, dass du mir erzählst, was für ein schlechter Mensch ich bin.«

Zasha atmete aus und goss zwei Tassen Tee ein. Dampf stieg im Halbdunkel auf und fing von irgendwo ein wenig Licht ein. Z reichte ihr eine Tasse und setzte sich ihr gegenüber auf einen Küchenstuhl. Swan wärmte sich die Hände an ihrer Tasse.

»Es gibt Sachen, über die ich nicht reden kann …«

»Ach komm schon!«

»… und Sachen, über die ich durchaus reden kann. Sie hat mich in eine Gruppe mit reingeholt, die auf der Jagd nach ein paar seltsamen Qubes war. Das war interessant. Aber es war auch etwas, das sie vertraulich behandeln wollte, ebenso wie einige andere Sachen, die sie am Laufen hatte. Möglicherweise war sie der Meinung, dass du nicht besonders verschwiegen bist.«

»Warum sollte sie so etwas denken?«

Doch selbst Zasha wusste zwei oder drei Beispiele für Situationen, in denen Swan sich indiskret verhalten hatte, und Swan selbst wusste noch einige mehr.

»Das waren Versehen«, fügte Swan schließlich hinzu. »Und nicht mal besonders schlimme.«

Zasha nippte vorsichtig an ihrem Tee. »Tja, aber vielleicht sah es ja so aus, als ob solche Versehen bei dir häufiger wurden. Du bist nicht mehr die, die du einmal warst, das musst du zugeben. Du hast dein Gehirn mit Erweiterungen vollgestopft …«

»Das habe ich nicht.«

»Na ja, mit vier oder fünf. Das hat mir von Anfang an nicht gefallen. Wenn man den religiösen Teil des Temporallappens vergrößert, kann einen das zu einem ganz anderen Menschen machen, ganz zu schweigen von dem Epilepsie-Risiko. Und das war nur der Anfang. Jetzt hast du dieses Tierzeug da drin, und du hast Pauline da drin, die alles aufnimmt, was du siehst – das ist keine Kleinigkeit. Es kann Schaden anrichten. Am Ende bist du irgend so ein posthumanes Etwas. Oder zumindest eine andere Person.«

»Ach komm, Z. Ich bin immer noch dieselbe wie eh und je. Und alles, was man tut, kann einem schaden. Das kann kein Hinderungsgrund sein. Alles, was ich mit mir gemacht habe, betrachte ich als Teil meiner Existenz als menschliches Wesen. Warum sollte man so etwas denn bitte nicht tun, wenn man die Möglichkeit dazu hat? Ich würde mich schämen, es nicht zu tun! Es geht nicht darum, posthuman zu sein, sondern darum, voll Mensch zu sein. Es wäre dumm, all die guten Dinge, zu denen man in der Lage ist, nicht zu tun, es wäre antimenschlich.«

»Tja«, sagte Zasha, »du hast all das getan und anschließend damit aufgehört, Terrarien zu entwickeln.«

»Ich war fertig damit! Wir hatten die Entwicklungsphase sowieso hinter uns. Es ging ihnen nur noch darum, mehr von den Dingern zu bauen. Und viel von dem, was wir gemacht haben, war ohnehin dumm. Wir hätten zu dem Zeitpunkt eigentlich überhaupt keine Ascensions machen sollen, sondern lieber die traditionellen Biome über die Auslöschung hinwegretten. Das müssen wir nach wie vor! Ehrlich gesagt weiß ich nicht, was wir uns dabei gedacht haben.«

Das überraschte Zasha. »Ich mag die Ascensions. Sie unterstützen die genetische Dispersion.«

»Und zwar zu sehr. Aber darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass ich etwas anderes ausprobieren wollte, und das habe ich auch getan.«

»Du bist Künstlerin geworden.«

»Ich war seit jeher Künstlerin. Ich habe nur das Medium gewechselt. Und eigentlich nicht mal das. Ich habe den Fokus verstärkt. Das war es, was ich wollte. Komm schon, Zasha. Ich lebe ein ganz normales menschliches Leben. Wenn du all diese Möglichkeiten zurückweist, macht dich das nicht menschlicher, sondern nur rückwärtsgewandter. Ich gehe nicht mal ansatzweise so weit wie manch andere Leute. Ich habe kein drittes Auge, und ich breche mir bei einem Orgasmus nicht die Rippen. Ich will bloß …«